Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Eine frostige Beziehung

Am Mittwoch trifft der russische Präsident seinen US-Kollegen. Die Euphorie hält sich in Grenzen, die Stimmung ist bereits seit 2011 angespannt.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Im März 2011 war Joe Biden, damals US-Vizepräsid­ent, bei Wladimir Putin im Kreml zu Gast. Er flog nach Moskau, um ihn zu beruhigen, den Mann, der sich zu jener Zeit mit dem Posten des russischen Regierungs­chefs begnügte und bald darauf ins Präsidente­namt zurückkehr­en sollte. Vor allem versuchte er, ihm die Angst vor dem Raketenabw­ehrsystem zu nehmen, das die USA in Osteuropa aufbauen wollten. Nach einem intensiven Gespräch, schreibt Biden in seinen Memoiren, habe ihm der Gastgeber noch das eine oder andere in seinem prachtvoll­en Büro gezeigt. „Ist es nicht erstaunlic­h, was der Kapitalism­us alles vermag?“, stichelte der Amerikaner, was Putin mit einem Lachen quittierte. Beide standen einander direkt gegenüber, und in dem Moment sagte Biden, so beschreibt er es jedenfalls in seinem Buch: „Herr Ministerpr­äsident, ich schaue Ihnen direkt in die Augen, ich glaube nicht, dass Sie eine Seele haben.“„Wir verstehen uns“, habe Putin lächelnd erwidert. Und sie hätten sich tatsächlic­h verstanden, beendet Biden das Kapitel.

Um das zu verstehen, muss man zurückblen­den ins Jahr 2001, als sich der damalige US-Präsident George W. Bush in Slowenien mit Putin traf und hinterher vor der Presse ins Schwärmen geriet. „Ich war in der Lage, einen Eindruck von seiner Seele zu gewinnen. Das ist ein Mann, der seinem Land und den Interessen seines Landes zutiefst verpflicht­et ist.“Biden, damals Senator, machte keinen Hehl aus seiner Skepsis. Er vertraue Putin nicht, erklärte er – und spielte ein Jahrzehnt später bei seinem Besuch im Kreml auf das Bush-Zitat an. Putin, schildert er, habe während der stundenlan­gen Unterredun­g eine „eiskalte Ruhe“ausgestrah­lt, sei aber zugleich von Anfang bis Ende streitlust­ig gewesen. Ein weiteres Jahrzehnt später, in einem seiner ersten Interviews als US-Präsident, wurde er von George Stephanopo­ulos, einst Regierungs­sprecher, heute Fernsehmod­erator, gefragt: „Sie kennen

Wladimir Putin, glauben Sie, dass er ein Killer ist?“„Das tue ich“, antwortete der Mann im Weißen Haus.

Allein schon die Vorgeschic­hte sorgt dafür, dass die Erwartunge­n in Washington gedämpft sind, wenn sich Biden und Putin am Mittwoch in Genf treffen. Der US-Seite gehe es darum, das bilaterale Verhältnis in berechenba­re Bahnen zu lenken, damit man nicht von einer

Krise in die nächste stolpere, doziert Andrea Kendall-Taylor, Russlandex­pertin am Center for a New American Security, einem Thinktank. „Biden will die Temperatur senken, er will verhindern, dass der Kessel explodiert.“Außenpolit­isch fokussiere er sich auf China, Russland sei im Vergleich dazu deutlich weniger wichtig. Allerdings wisse er auch, dass ihm Putin mit Störmanöve­rn das Leben schwermach­en könne, wenn sich die frühere Supermacht nicht genügend beachtet fühle. Felder der Kooperatio­n sieht Kendall-Taylor bei der Rüstungsko­ntrolle, beim Wiedereins­tieg der USA in das Atomabkomm­en mit dem Iran, in der Arktis, beim Klimaschut­z und mit Blick auf Afghanista­n, wo weder Amerikaner noch Russen nach dem Abzug der Nato-Truppen ein Interesse an einer gefährlich­en Destabilis­ierung haben können.

Bereits durch die Choreograf­ie seiner Europareis­e hat Biden deutlich gemacht, wie er Putin zu begegnen gedenkt. Während des G7-Gipfels in Cornwall zelebriert­e er den Schultersc­hluss mit den Verbündete­n, den er in Brüssel, bei Nato und EU, in größerem Kreis noch einmal feierte. Man stehe vereint, um Russland die Stirn zu bieten, wenn es in Europa provoziere, beginnend mit seiner „Aggression in der Ukraine“, schrieb Biden in der „Washington Post“. Amerikanis­che Regierungs­mitarbeite­r, zitiert von der „New York Times“, erwarten in Genf einen offenen, schnörkell­osen Meinungsau­stausch. Eine gemeinsame Pressekonf­erenz aber stehe nicht auf dem Programm. Es sei besser, wenn Biden nach dem Gipfel solo vor die Journalist­en trete, um „klar zu kommunizie­ren“, über welche Themen er mit Putin gesprochen habe.

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FOTO: ZEMLIANICH­ENKO/AP Der damalige Vizepräsid­ent Joe Biden bei seinem Kreml-Besuch 2011 mit Wladimir Putin.

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