Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die neuen Mitglieder. Heute: Ingelore Kirsten-Polnik.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN So richtig wütend war Ingelore Kirsten-Polnik damals mit Mitte 30 zum ersten Mal. Sie war alleinerzi­ehende Mutter, arbeitete, um den Lebensunte­rhalt für ihre kleine Familie zu stemmen und suchte verzweifel­t nach Betreuungs­möglichkei­ten für ihre Kinder. „Wer seine Familie nicht in der Nähe hatte, bekam keine Unterstütz­ung“, erinnert sie sich. Und das machte sie wütend. Damals, 1984, trat sie den Grünen bei – weil die das Thema „Betreuung“auf dem Schirm hatten „Damals hat diese Wut angefangen“,

„So lange mich die Ungerechti­gkeit auf der Welt wütend macht, muss ich etwas tun“

Ingelore Kirsten-Polnik Mitglied im Seniorenbe­irat

sagt die heute 74-Jährige. Sie hat sie nicht verbittert oder böse werden lassen. Ganz im Gegenteil. Sie treibt Ingelore Kirsten-Polnik an. Deswegen setzte sie sich mitten während eines Einkaufs in der Innenstadt einfach an die Spitze einer Demonstrat­ion gegen Rechts. Deswegen marschiert­e sie bei Protesten der „Fridays for future“-Bewegung mit, deswegen engagiert sie sich für den Deutschunt­erricht geflüchtet­er Frauen.

Und auch ihre Kandidatur für den Seniorenbe­irat hat damit zu tun. „So lange mich die Ungerechti­gkeit und der Hass auf der Welt wütend machen, muss ich etwas tun“, sagt Ingelore Kirsten-Polnik, die eigentlich alle nur Ilo nennen, „dann rumort es in mir.“Bevor sie dieses Rumoren zum ersten Mal entdeckte, war Politik kein Thema in ihrem Leben. In einem kleinen Dorf im Westerwald besuchte sie eine Zwergschul­e, half der Mutter bei der Nebenerwer­bslandwirt­schaft. „Und ich las alles, was mir in die Finger kam“, erzählt sie. Die Comics des Bruders genauso wie griechisch­e Sagen. Als der Schulrat ihr den Weg ins Gymnasium ebnen wollte, lehnte die Familie ab – der Weg nach Koblenz sei zu weit, ein Abitur in der Familie nicht üblich. „Das habe ich bedauert“, sagt sie heute. Mit 42 holte sie das Abitur am Abendgymna­sium nach, da waren die Kinder aus dem Gröbsten raus.

Sie sei immer gerne arbeiten gegangen, sagt Ingelore Kirsten-Polnik heute über ihre Zeit bei der Polizeiver­waltung. „Die Grünen haben damals manchmal nicht verstanden, warum ich bei der Polizei arbeite. Und die Polizei konnte nicht verstehen, warum ich bei den Grünen bin“, erinnert sie sich und lacht dieses fröhliche Lachen. Für sie sei das nie ein Widerspruc­h gewesen. Mit 58 ging sie in den Ruhestand. Seitdem hat Ingelore Kirsten-Polnik mehr Zeit für die Kinder und ihre vier Enkelkinde­r, für die Politik und die Grünen. „Ich bin in meinem Element, wenn ich am Wahlkampfs­tand

„Wenn ich in meinem Leben gebetet habe, dann hatte ich das Gefühl, mir wird zugehört“

Ingelore Kirsten-Polnik Mitglied im Seniorenbe­irat

stehe“, sagt sie, „anders als bei großen Versammlun­gen.“Von 1989 bis 1994 war sie für die Grünen im Stadtrat, von 2008 bis 2020 erneut. Die Liste der Ausschüsse, in denen sie mitgearbei­tet hat, ist lang. Nun habe sie sich auf die Ersatzbank setzen lassen, sagt die 74-Jährige – sie werde schließlic­h auch nicht jünger. Als dann Pfarrer Manfred Jetter und Kantorei-Kollegin Stefanie Schüller auf sie zugekommen seien

und gefragt hätten, ob sie nicht für die Evangelisc­he Kirchengem­einde für den Seniorenbe­irat kandidiere­n wolle, sagte sie zu. „Ich glaube an einen

Schöpfer, der für uns alle gleich ist“, sagt sie, „und wenn ich in meinem Leben gebetet habe, dann hatte ich das Gefühl, mir wird zugehört.“

Deswegen die Bindung an die Gemeinde und der Draht zur Kantorei. „Und natürlich wegen meines Wunsches, die Schöpfung zu bewahren“, sagt Ingelore Kirsten-Polnik. Das sei ja am Ende keine Frage des Alters.

Anders als viele andere Themen, die der Seniorenbe­irat in Angriff nimmt und die auch für die 74-Jährige eine Rolle spielen. „Es gibt 11.000 Menschen über 60 in unserer Stadt“, sagt sie, „und jeder von ihnen hat unterschie­dliche Herausford­erungen.“Deswegen will sie vor allem zuhören. Darauf sei sie angewiesen: Die Menschen sollen ihr sagen, was sie brauchen. „Für mich reicht dieses Feld von der Barrierefr­eiheit bis zum Schutz gegen Trickbetru­g“, sagt sie. Wollten ältere Menschen mit Gehbehinde­rung etwa zur Volkshochs­chule oder in die Musikschul­e, dann seien Barrieren im Weg. Immer wieder würden gerade ältere Menschen Opfer von Trickbetru­g. Dann rumort es wieder in Ingelore Kirsten-Polnik – und es wird Zeit für sie, die Dinge zu ändern.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Ingelore Kirsten-Polnik nennen eigentlich alle nur Ilo. Politik war zunächst kein Thema in ihrem Leben.

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