Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Alte Spuren und immer neue Wege
Eine Kunstgeschichtsstudentin der Heinrich-Heine-Universität schreibt über das Werk „Ohne Titel“des Düsseldorfer Künstlers Christof Hartmann.
DÜSSELDORF Die Weite der Bildfläche (226 x 300 cm) bringt dich in Bewegung. Ein Fixpunkt ist kaum zu finden. Hin- und herwandernd ertastest du die unüberschaubare Materialfülle des hier stattfindenden Erzählens. Das Erleben der rauen Oberfläche in großem Format kündet von gewesener Zeit, von Umwandlungen, von Schürfungen, Abnutzung, Abschnitten und Schnitten, Verkrustungen, neuen Durchblicken, Überraschungen, Umwegen, Überblendungen, von Vergangenheit und Gegenwart. Erzählstränge verflechten sich, brechen ab, finden neue Wege, verdichten sich und verlassen einander. Jute, Plastikfolie, alte bemalte Leinwände, gelackte Stoffe, Fotos haben längst ihre ursprünglichen Formen verlassen, überraschen einander in neuen Begegnungen und wirken wie ein dichter Teppich.
Gleich, ob aus der privaten Welt oder aus industriellem Abfall, die Allianzen der Materialien verweigern sich einem sinnhaft sicheren Zugriff. Man spürt aber: Jede materielle Einheit hat ihre eigene Vergangenheit. Und die erstrahlt nirgendwo als luxuriös, grandios oder heldenhaft, auch wenn hier und da metallisch glänzende Elemente aufblitzen. Hierarchische Ordnungen finden nicht statt. Gleichberechtigt kommt alles, was ist, an die Oberfläche, um direkt daneben wieder unterzutauchen.
Zeit, die wir nicht nur beobachten oder an der Uhr ablesen, sondern der wir, wie alle Materialien, in unserem Sein unterworfen sind, zeigt sich hier als weise Geschichtenerzählerin, die keine Spur des Gelebten vergisst. In der Materialität ist alles Gewesene so still und vollständig gespeichert wie die Erde Informationen speichert und so über Millionen von Jahren Kunde gibt. In Christof Hartmanns Bild ist eine jüngere Vergangenheit gespeichert, eine, die wir in der Erfahrung und Mitgestaltung teilen.
So sehr die Materialien tastbar, unverstellt krude und real sind, so sehr entfalten sie in ihrem leisen Miteinander eine erzählerische Aura. Farben bündeln dann und wann einen eigenen Klang und verlieren sich wieder in der Vereinzelung. Das Berühren der bewegten Oberfläche, zu dem der Künstler herzlich einlädt, stützt die Imagination geschichteter und verdichteter Realität. Nur erzählt das Bild keine Geschichten. Es opfert jede konkrete Aussage zugunsten einer verhaltenen Poesie.