Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Zahl der Zwangsheiraten verdoppelt
Mit Plakaten und Spots im ÖPNV will das Land ein Hilfsangebot bekannter machen.
DÜSSELDORF Die NRW-Landesregierung will mit einer Kampagne Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen eine Zwangsverheiratung droht, Kontakt zu Hilfe- und Unterstüzungsangeboten vermitteln. Am Dienstag stellte Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) die Initiative „Exit NRW – Schutz vereint – Nordrhein-Westfalen gegen Zwangsheirat“vor. Gerade in den Sommerferien würden junge Frauen und Männer immer wieder Opfer von „Ferienverheiratungen“, erklärte das Ministerium.
In 23 Städten werden knapp 1700 Plakate in Bussen und Bahnen mit Slogans wie „Sommer, Sonne, Zwangsheirat“zu sehen sein. Zudem wird ein Werbeclip im Fahrgast-TV gesendet. Nach Angaben von Sylvia Krenzel, Leiterin der Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat in Bielefeld, ist die Zahl von 14 Fällen im Jahr 2019 auf 26 der Polizei gemeldete Fälle im vergangenen Jahr hochgeschnellt. Krenzel zufolge melden sich pro Jahr etwa 250 junge Menschen mit einem Hilfegesuch bei den NRW-Fachberatungsstellen.
90 Prozent seien weiblich, 35 Prozent jünger als 18 Jahre. Die Mehrheit stamme aus patriarchalisch geprägten Ländern, Krenzel nannte etwa Marokko, Albanien, das Kosovo, die Türkei, Syrien und den Irak. „Es muss davon ausgegangen werden, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches höher liegt“, sagte Ministerin Scharrenbach. Sorgen bereite den Fachberatungsstellen, dass durch die Pandemie Möglichkeiten weggefallen seien, in denen sich die Betroffenen anderen Menschen anvertrauten. „Das Im-Blick-Sein ist in der Pandemie weggefallen“, so Krenzel. Die Beratungsstellen würden die Betroffenen zunächst beraten, eine Gefahrenanalyse anstellen. Spitze sich die Lage zu, müssen die Hilfesuchenden sich dafür entscheiden, die Familie zu verlassen und anonym untergebracht zu werden.
Die Fraktionschefin der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Josefine Paul, sagte, das Thema Zwangsheirat brauche dringend mehr Aufmerksamkeit: „Es muss klar sein, was Zwangsverheiratung ist: nicht weniger als ein Verbrechen und eine Menschenrechtsverletzung. Insofern begrüßen wir jede mögliche Maßnahme, die auf dieses Thema aufmerksam macht.“Paul verlangte, es dürfe nicht bei Plakaten und Info-Flyern bleiben. „Aufklärung muss zwingend auch über die Jugendarbeit erfolgen. Gerade Sozialarbeiter haben oftmals ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Jugendlichen und können dort wichtige Multiplikatoren und Ansprechpersonen sein.“Dafür brauche es langfristig eine gesicherte finanzielle Unterstützung in diesem Bereich statt einmaliger Kampagnen, so die Grünen-Politikerin.
Auch die Sprecherin für Gleichstellung der SPD-Fraktion, Anja Butschkau, begrüßte die Kampagne der Landesregierung und äußerte ihre Hoffnung, dass betroffenen Kindern und Jugendlichen schnell und niedrigschwellig geholfen werden könne. „Wir regen aber an, die Handlungsmaßnahmen im Bereich Prävention vor allem in den Schulen zu verstärken. Auch die Elternarbeit und der Dialog mit den Migrantenselbstorganisationen sollte in diesem Zusammenhang ausgebaut werden“, so Butschkau. Gleichzeitig warnte sie davor, Familien mit Migrationshintergrund zu stigmatisieren und unter Generalverdacht zu stellen. „Hier ist ein Höchstmaß an Sensibilität geboten.“