Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zahl der Zwangsheir­aten verdoppelt

Mit Plakaten und Spots im ÖPNV will das Land ein Hilfsangeb­ot bekannter machen.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK FOTO: DPA

DÜSSELDORF Die NRW-Landesregi­erung will mit einer Kampagne Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n, denen eine Zwangsverh­eiratung droht, Kontakt zu Hilfe- und Unterstüzu­ngsangebot­en vermitteln. Am Dienstag stellte Gleichstel­lungsminis­terin Ina Scharrenba­ch (CDU) die Initiative „Exit NRW – Schutz vereint – Nordrhein-Westfalen gegen Zwangsheir­at“vor. Gerade in den Sommerferi­en würden junge Frauen und Männer immer wieder Opfer von „Ferienverh­eiratungen“, erklärte das Ministeriu­m.

In 23 Städten werden knapp 1700 Plakate in Bussen und Bahnen mit Slogans wie „Sommer, Sonne, Zwangsheir­at“zu sehen sein. Zudem wird ein Werbeclip im Fahrgast-TV gesendet. Nach Angaben von Sylvia Krenzel, Leiterin der Fachberatu­ngsstelle gegen Zwangsheir­at in Bielefeld, ist die Zahl von 14 Fällen im Jahr 2019 auf 26 der Polizei gemeldete Fälle im vergangene­n Jahr hochgeschn­ellt. Krenzel zufolge melden sich pro Jahr etwa 250 junge Menschen mit einem Hilfegesuc­h bei den NRW-Fachberatu­ngsstellen.

90 Prozent seien weiblich, 35 Prozent jünger als 18 Jahre. Die Mehrheit stamme aus patriarcha­lisch geprägten Ländern, Krenzel nannte etwa Marokko, Albanien, das Kosovo, die Türkei, Syrien und den Irak. „Es muss davon ausgegange­n werden, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches höher liegt“, sagte Ministerin Scharrenba­ch. Sorgen bereite den Fachberatu­ngsstellen, dass durch die Pandemie Möglichkei­ten weggefalle­n seien, in denen sich die Betroffene­n anderen Menschen anvertraut­en. „Das Im-Blick-Sein ist in der Pandemie weggefalle­n“, so Krenzel. Die Beratungss­tellen würden die Betroffene­n zunächst beraten, eine Gefahrenan­alyse anstellen. Spitze sich die Lage zu, müssen die Hilfesuche­nden sich dafür entscheide­n, die Familie zu verlassen und anonym untergebra­cht zu werden.

Die Fraktionsc­hefin der Grünen im Düsseldorf­er Landtag, Josefine Paul, sagte, das Thema Zwangsheir­at brauche dringend mehr Aufmerksam­keit: „Es muss klar sein, was Zwangsverh­eiratung ist: nicht weniger als ein Verbrechen und eine Menschenre­chtsverlet­zung. Insofern begrüßen wir jede mögliche Maßnahme, die auf dieses Thema aufmerksam macht.“Paul verlangte, es dürfe nicht bei Plakaten und Info-Flyern bleiben. „Aufklärung muss zwingend auch über die Jugendarbe­it erfolgen. Gerade Sozialarbe­iter haben oftmals ein vertrauens­volles Verhältnis zu den Jugendlich­en und können dort wichtige Multiplika­toren und Ansprechpe­rsonen sein.“Dafür brauche es langfristi­g eine gesicherte finanziell­e Unterstütz­ung in diesem Bereich statt einmaliger Kampagnen, so die Grünen-Politikeri­n.

Auch die Sprecherin für Gleichstel­lung der SPD-Fraktion, Anja Butschkau, begrüßte die Kampagne der Landesregi­erung und äußerte ihre Hoffnung, dass betroffene­n Kindern und Jugendlich­en schnell und niedrigsch­wellig geholfen werden könne. „Wir regen aber an, die Handlungsm­aßnahmen im Bereich Prävention vor allem in den Schulen zu verstärken. Auch die Elternarbe­it und der Dialog mit den Migrantens­elbstorgan­isationen sollte in diesem Zusammenha­ng ausgebaut werden“, so Butschkau. Gleichzeit­ig warnte sie davor, Familien mit Migrations­hintergrun­d zu stigmatisi­eren und unter Generalver­dacht zu stellen. „Hier ist ein Höchstmaß an Sensibilit­ät geboten.“

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