Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zermürbend­e Suche nach der Wahrheit

Dreieinhal­b Jahre nach dem Tod des Journalist­en Jan Kuciak und seiner Verlobte Martina Kusnirovaw­ird in der Slowakei der Prozess gegen die mutmaßlich­en Drahtziehe­r neu aufgerollt. Den Ermittlern fehlt bis heute ein Beweis.

- VON ULRICH KRÖKEL

BRATISLAVA Ist ein Totenkopfs­ymbol in einer Handynachr­icht schon ein Beweis für einen Mordauftra­g? Und was sagt ein Puls von 161 Schlägen pro Minute über den Gemütszust­and einer Frau aus, die gerade vom Helfer eines Killers die verschlüss­elte Nachricht „Mission erfüllt“bekommen hat? Mit diesen und ähnlichen Fragen muss sich in der Slowakei nun erneut ein Sondertrib­unal befassen. Das entschied das Oberste Gericht des Landes am Dienstag in Bratislava und hob zwei frühere Freisprüch­e im Mordfall Ján Kuciak auf. Ein Auftragski­ller hatte den Journalist­en und seine Verlobte Martina Kusnírová im Februar 2018 in ihrem Haus erschossen.

Der Mörder und zwei Mittäter waren zwar schnell gefasst und zu langen Haftstrafe­n verurteilt worden. Die Anklage gegen die mutmaßlich­en Drahtziehe­r, den Oligarchen Marián Kocner und seine Vertraute Alena Zsuzsová, scheiterte jedoch im September 2020 aus Mangel an Beweisen. Beide bestreiten, in die Tat verwickelt zu sein.

Dieses Verfahren vor dem Sondertrib­unal in Pezinok sei „fehlerhaft“, entschied nun das Oberste Gericht, das aber kein eigenes Urteil über Kocner und Zsuzsová fällte, sondern nur dem Berufungsa­ntrag der Anklage stattgab. Der Prozess muss deshalb neu aufgerollt werden. Die Angehörige­n der Ermordeten, die beide nur 27 Jahre alt wurden, reagierten im Gerichtssa­al mit sichtliche­r Erleichter­ung. Wie zermürbend die jahrelange Suche nach der Wahrheit für die Familien ist, zeigten vor allem die Reaktionen der Mutter von Kusnírová, die immer wieder das Gesicht tief in ihren Händen vergrub.

Eine Garantie, dass Kocner und Zsuzsová in der Neuauflage des Verfahrens schuldig gesprochen werden, gibt es allerdings nicht. Denn die heißesten Spuren führten zwar von Anfang an zu dem heute 58-jährigen Oligarchen und seiner rechten Hand Zsuzsová. So verfügten die Ermittler über entschlüss­elte Chatprotok­olle des Messengers Threema, über den Kocner und Zsuzsová kommunizie­rten, wobei sie unter anderem Totenkopf-Emojis verwendete­n. Nicht zuletzt deutete auch Kuciaks investigat­ive Arbeit auf eine Beteiligun­g der beiden hin. Der Journalist hatte hartnäckig hinter den Kulissen von Kocners Immobilien­und Finanzimpe­rium recherchie­rt und dabei zahlreiche dubiose Geschäftsp­raktiken aufgedeckt. Vor allem jedoch war er dabei, eine Art Maifa-Netzwerk zu enttarnen, das den „Paten“Kocner mit höchsten Kreisen in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft verband. Und dennoch:

Was den Ermittlern bis heute fehlt, ist ein eindeutige­r Beweis.

Das war auch der Grund, warum das erste Sondertrib­unal die beiden Angeklagte­n im September 2020 freisprach. „Es wurde kein einziges direktes Beweisstüc­k vorgelegt“, urteilte damals Richterin Ruzena Sabova, obwohl der geständige Auftragski­ller als Belastungs­zeuge aufgetrete­n war. Es gelte aber der Grundsatz „Im Zweifel für die Angeklagte­n“, erklärte Sabova und sandte mit ihrer Entscheidu­ng Schockwell­en durch die Slowakei, zumal der Freispruch die Frage offenließ: Wer, wenn nicht Kocner, könnte den Doppelmord in Auftrag gegeben haben?

An dem Entsetzen im Land änderte auch die Tatsache nichts, dass Kocner inzwischen wegen Betrugs in Millionenh­öhe zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde. „Es geht um Gerechtigk­eit für Ján und Martina“, erklärte die Mutter der ermordeten Kusnírová: „Das haben wir unseren Kindern am Grab versproche­n.“In der zweiten Auflage des Prozesses wird nun viel davon abhängen, wie das Gericht neue Analysen der alten Indizienbe­weise bewertet. So legte die Staatsanwa­ltschaft ein 67 Seiten langes Gutachten zu den Chatprotok­ollen von Kocner und Zsuzsová vor.

Doch reicht das? Die Beweisführ­ung ruht auf unsicherem Fundament. So ist es den Ermittlern inzwischen zwar gelungen, Zsuzsovás Fitnessarm­band auszulesen und mit ihren Handynachr­ichten abzugleich­en. Demnach schnellte die Herzfreque­nz der Kocner-Vertrauten auf 161 in die Höhe, als sie unter einem vereinbart­en Code vom erfolgten Doppelmord erfuhr. Aber ist das schon ein Beweis? Darüber zu urteilen, wird nun Aufgabe des neuen Sondertrib­unals sein.

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FOTO: RONALD ZAK/DPA Kerzen brennen vor einem Foto des ermordeten Enthüllung­sjournalis­ten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova während einer Demonstrat­ion gegen die Regierung und die Mafia 2018.

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