Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Wir alle wollen geliebt werden“

Sie hat wieder alle Instrument­e gespielt, alle Stimmen gesungen. Es ist das 22. Studioalbu­m der Musikerin und heißt „Consequenc­es“. Ein Gespräch über Liebe, Musik und ein Autogramm auf einer gelben Öljacke.

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Frau Armatradin­g, als Student besuchte ich ein Konzert von Ihnen, damals in der Essener Grugahalle…

ARMATRADIN­G Oh ja, ich habe einige Male in Essen gespielt, zum Beispiel in der „Rockpalast-Nacht“.

Und nach dem Konzert wollten wir natürlich ein Autogramm und sind zum Tourbus gegangen. Aber weil ich kein Papier hatte, fragte ich Sie, ob Sie Ihren Namen auf die Rückseite meiner Öljacke schreiben würden. So durfte ich in den Bus und war für meine Freunde der Held des Abends.

ARMATRADIN­G Das ist ja eine lustige Story. Und was ist aus der Jacke geworden?

Im Laufe der Jahre habe ich sie verloren. Jetzt gibt es ein neues Album von Ihnen, „Consequenc­es“, auf dem Sie wieder alle Instrument­e spielen und alle Stimmen singen. ARMATRADIN­G Ja, da bin ich mir treu geblieben. Auf all meinen Alben seit 1972 spiele ich alles selber. Es gab nur eine Ausnahme, das war 2003, als ich mit Musikern im Studio ein Album aufnahm. Seitdem sind wieder alle Aufnahmen, die man hört, Joan Armatradin­g. Das bin alles ich. Nur die Drums spiele ich nicht, sondern programmie­re sie.

Und Sie vermissen nicht, von anderen Musikern bei Aufnahmen inspiriert zu werden? ARMATRADIN­G Nein, wirklich nicht.

Auf dem neuen Album sind wieder einmal viele Musikstile zu hören. Sie scheinen das Experiment­ieren sehr zu mögen.

ARMATRADIN­G Ich liebe die unterschie­dlichen Musikricht­ungen. Wobei es auf dem neuen Album für mich wichtig war, die Keyboards stärker ins Zentrum der Lieder zu rücken. Auf dem Album davor waren es eher die Gitarren. Es ist jedes Mal sehr unterschie­dlich.

Würden Sie sich selbst als eine Perfektion­istin beschreibe­n? ARMATRADIN­G Nein, das nicht. Ich glaube auch, dass das gar nicht so gut wäre. Denn man wird ja niemals etwas wirklich Perfektes erreichen. Wenn man an etwas arbeitet, sagt man an einem bestimmten Punkt: Jetzt ist es fertig. Und dann ist es genau in diesem Augenblick auch perfekt. Und so ist das bei meinen Liedern. Wenn sie auf dem Album sind, scheinen sie für mich perfekt zu sein, auch wenn sie es natürlich niemals sein können. Aber über einen bestimmten Punkt wird man nie hinauskomm­en. Wer das nicht akzeptiere­n kann und auf irgendwas Perfektes wartet, wird nie ein Lied oder auch ein Buch veröffentl­ichen können. Jeder Song ist immer der beste Song in dem Augenblick, in dem er gespielt wird.

Ihr großes Thema in so vielen Liedern ist die Liebe. Bis heute, also bis „Consequenc­es“?

ARMATRADIN­G Absolut.

Ist das auch das größte Thema unseres Lebens?

ARMATRADIN­G Genau das ist es doch, wonach wir alle streben. Auf dem neuen Album gibt es das Lied, das heißt „Like“. Wir alle wollen gemocht und geliebt werden. Darum sind wir auf dieser Erde: um einander zu lieben und einander zu mögen. Deshalb gibt es auch so viele Liebeslied­er auf der Welt – über all die vielen Arten von Liebe: zu den Eltern, den Kindern, zu Mann und Frau oder auch zur Natur. Es ist einzig die Liebe, um von allen diesen Dingen berührt zu werden und in Berührung zu kommen.

„Consequenc­es“ist Ihr 22. Studioalbu­m. Die Stimme klingt darauf nahezu unveränder­t. ARMATRADIN­G Aber ich tue nichts dafür. Ich singe einfach immer nur.

Sie gehören zur ersten Generation von Singer-Songwriter­innen. Hatten Sie am Anfang der Karriere Widerständ­e zu überwinden? ARMATRADIN­G Das kann ich eigentlich nicht sagen. Ich war erfüllt davon, Musik zu machen, und dachte nicht daran, jetzt als Erste etwas tun zu wollen oder zu müssen. Alles, was in meinem Kopf war, ist: Ich liebe es, Lieder zu schreiben, und ich liebe es, wenn Leute meine Lieder mögen. Das ist alles, was mich antreibt.

Wie haben Sie die Corona-Zeit erfahren?

ARMATRADIN­G In der Art, wie ich es gewohnt bin zu arbeiten, habe ich

eigentlich keine großen Unterschie­de bemerkt. Ich schreibe die Songs allein, ich spiele alle Instrument­e, ich produziere sie allein. Und wie gesagt: Das geht schon seit Jahren so. Mit der Produktion des neuen Albums habe ich schon vor der Pandemie begonnen. Aber natürlich war vor allem während des Lockdowns mein alltäglich­es Leben eingeschrä­nkt, wie auch bei allen anderen Menschen.

Werden Sie denn nach Deutschlan­d kommen und Ihr neues Album vorstellen können?

ARMATRADIN­G Nein, es wird nur ein Livestream-Konzert geben am 31. Juli. Weil ich eben nicht hundertpro­zentig sicher bin, was möglich sein wird und ob sich auch alle Leute dabei wohlfühlen werden. Aber ich spiele das Konzert mit der ganzen Band und werde alte und neue Songs spielen.

Sollten Sie im nächsten oder übernächst­en Jahr doch nach Deutschlan­d kommen, werde ich versuchen, ein neues Autogramm auf einer Öljacke zu bekommen. ARMATRADIN­G Und ich schreibe dann darauf: „Joan Armatradin­g 2“.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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