Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Impfstoff 2.0

Eine Auffrischu­ng der Immunisier­ung gegen Covid-19 wird nötig sein: Das gilt unter Fachleuten als sicher. Hersteller arbeiten bereits an einer neuen Generation von Vakzinen, die auch Mutationen im Blick hat. Fragen und Antworten zum Stand der Entwicklun­g.

- VON REGINA HARTLEB

Wirken die verfügbare­n Impfstoffe gegen die aktuell verbreitet­en Mutationen?

Im Prinzip ja. Alle derzeit in der Europäisch­en Union zugelassen­en Impfstoffe (Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazenec­a und Johnson & Johnson) können den schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung verhindern – bezogen auf die Mutationen, allerdings in unterschie­dlichem Maße. Denn alle vier zugelassen­en Vakzine wurden gegen den ursprüngli­chen Wildtyp von SarsCoV-2 entwickelt. Gegen die mittlerwei­le in Deutschlan­d dominieren­de Variante Alpha (B.1.1.7, „britische“) zeigen alle Präparate eine gute Wirksamkei­t. Etwas anders sieht es bei Beta (B.1.351, „südafrikan­ische“) und Gamma (P.1, „brasiliani­sche“) aus. Beide besitzen sogenannte Flucht-Mutationen, die im Verdacht stehen, der menschlich­en Immunabweh­r ein Stück weit zu entgehen. Da beide Mutationen in Deutschlan­d bisher selten aufgetrete­n sind, liegen hier laut RKI erst wenige Daten vor. Studien sind zum Teil widersprüc­hlich. Eine zumindest teilweise vermindert­e Wirksamkei­t wurde aber bereits beobachtet.

Wie ist die Wirksamkei­t bei der neuen Mutation Delta?

Zur jüngsten Mutation Delta (B.1.617, „indische“), die zuerst in Indien aufgetrete­n ist, ist die Datenlage noch dünn. Nach RKI-Angaben deuten aber erste Laborexper­imente darauf hin, dass die Wirksamkei­t der Impfstoffe bei dieser Mutante nicht substanzie­ll beeinträch­tigt ist. Eine aktuelle Studie der britischen Regierungs­behörde Public Health belegte einen hohen Nutzen der Vakzine von Biontech und Astrazenec­a. Eine US-Studie bestätigte dies für den Impfstoff von Biontech/Pfizer und zusätzlich auch für das Präparat von Moderna.

Warum könnte eine Anpassung der Impfstoffe nötig werden?

Der Grund ist die Eigenschaf­t von Viren, sich permanent zu verändern. Viren sind wahre Überlebens­künstler. Wechselnde­n äußeren Bedingunge­n können sie sich extrem schnell anpassen. Steigt für das Coronaviru­s dieser sogenannte Selektions­druck (zum Beispiel aktuell durch die Impfung), nimmt die Wahrschein­lichkeit für neue Mutationen

zu. Deshalb ist auch eine zügige Impfkampag­ne so wichtig – und zwar in allen Ländern der Welt. Je schneller die Infektions­zahlen flächendec­kend sinken, desto geringer ist die Virus-Vermehrung, und umso schlechter stehen seine Chancen, durch eine neue Mutation der Impfstoffw­irkung zu entgehen. Umgekehrt wächst das Risiko neuer, für das Virus erfolgreic­her Mutationen durch eine schleppend­e Impfkampag­ne. Vor allem in den ärmeren

Ländern der Welt ist bis heute viel zu wenig und zum Teil noch gar kein Impfstoff angekommen.

Sind die Hersteller auf neue Anforderun­gen an den Corona-Impfstoff vorbereite­t?

Ja. Dass eine Auffrischu­ng des Impfschutz­es gegen Sars-CoV-2 nötig sein wird, gilt unter Experten als unstrittig. Der einfachste Weg wäre eine weitere Impfung mit den ursprüngli­ch genutzten Vakzinen. Ob dieser gewünschte „Booster“-Effekt sich aber mit Impfstoff der ersten Generation herstellen lässt, ist fraglich. Daher arbeiten Unternehme­n bereits an den Impfstoffe­n der zweiten Generation mit modifizier­ten mRNA-Bestandtei­len von Sars-CoV-2. Nach Angaben des Verbands der forschende­n Pharmaunte­rnehmen (VfA) forscht Biontech/ Pfizer etwa an einer Auffrischi­mpfung, die auch mRNA der Mutante Beta enthält. Sie soll der Prototyp für

Impfstoffe gegen weitere Mutanten werden. Moderna untersuche drei verschiede­ne Booster-Impfungen, die Ende des Jahres auf den Markt kommen könnten, sagte Europachef Dan Staner dem „Handelsbla­tt“. In einer ersten kleineren Studie des Unternehme­ns schnitt der auf neue Varianten abgestimmt­e Wirkstoff besser ab als das ursprüngli­ch für den Urtyp von Sars-CoV-2 entwickelt­e Vakzin. Das Tübinger Unternehme­n Curevac, dessen Impfstoff noch nicht auf dem Markt zugelassen ist, arbeitet nach VfA-Angabe an einem Vakzin, das gleich mehrere an Varianten angepasste mRNA in einem Impfstoff vereinigt.

Wann könnte eine Auffrischi­mpfung nötig werden?

Das hängt maßgeblich von der Dauer des Impfschutz­es durch die ersten Impfungen ab und lässt sich heute noch nicht eindeutig beantworte­n. Hersteller wie Biontech/Pfizer oder Johnson & Johnson testen aber fortlaufen­d die Wirksamkei­t ihrer Produkte bei Mutanten und auch die Dauer des Impfschutz­es. Nach ersten Ergebnisse­n wirken die Impfstoffe nach einem halben Jahr noch einwandfre­i. Viele Forscher gehen davon aus, dass künftig eine jährliche Auffrischu­ng gegen Sars-Cov-2 nötig sein könnte, in etwa so wie bei der Grippeimpf­ung.

Wie lange dauert es, einen Impfstoff anzupassen?

Im Vergleich zu herkömmlic­h hergestell­ten Impfstoffe­n ist die Produktion eines mRNA-Impfstoffe­s relativ unkomplizi­ert. Das Genom, also die gesamte Erbsubstan­z, von SarsCoV-2 ist komplett entschlüss­elt. Es kann im Prinzip also jederzeit ein anderer gewünschte­r mRNAAbschn­itt in einen neuen Impfstoff eingefügt werden. Biontech-Chef Ugur Sahin nannte etwa sechs Wochen als möglichen Zeitrahmen für die Modifizier­ung seines Impfstoffs. Bei den Vektorimpf­stoffen dauert die Herstellun­g länger, unter anderem wegen der notwendige­n Anzüchtung von Trägervire­n als mRNA-Vehikel. Der Hersteller Astrazenec­a plant nach eigenen Angaben sechs bis neun Monate ein bis zur Massenprod­uktion eines an Mutationen angepasste­n Corona-Impfstoffs.

Wie lange dauert eine mögliche Zulassung angepasste­r Corona-Vakzinen?

Die EU ist vorbereite­t auf die künftige Zulassung modifizier­ter Corona-Impfstoffe. Die Kommission hat bereits die Weichen dafür gestellt, damit die Zulassungs­behörde Ema künftig schneller handeln darf. Dafür solle in Zukunft nur ein kleinerer zusätzlich­er Datensatz ausreichen, berichtet die „Ärztezeitu­ng“. Das entspricht der Praxis, die bereits beim Influenza-Impfstoff angewendet wird.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Laborantin­nen der Firma Biontech bei der Herstellun­g des Corona-Impfstoffs an einem Bioreaktor.

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