Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich bin für viele in der CDU schwer zu ertragen“

Der Landeschef des Arbeitnehm­erflügels der Christdemo­kraten (CDA) über die Rente und den Gegenwind für Annalena Baerbock.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Radtke, die Politik diskutiert gerade über einen späteren Renteneint­ritt. Was macht das mit Ihnen?

RADTKE Mit dem Thema Rente kann man keine Wahl gewinnen, aber auf jeden Fall verlieren. Ich rate dringend davon ab, das jetzt in den Vordergrun­d zu rücken. Es hat sehr lange gedauert, ehe die Bürger die Rente mit 67 halbwegs akzeptiert hatten. In einer Situation, in der die Menschen durch die Pandemie massiv beruflich und privat verunsiche­rt sind, sollte man dieses Fass nicht aufmachen.

Aber das System ist fraglos reformbedü­rftig. An welcher Stellschra­ube sollte man also drehen?

RADTKE Weder bei den Beiträgen noch beim Rentennive­au kann man die Schraube anziehen. Es bleibt halt auch eine Gemeinscha­ftsaufgabe über den Steuerzusc­huss. Zudem müssen wir die anderen Säulen des Systems stärken: Die Riester-Rente ist krachend gescheiter­t und gehört genau wie die Entgeltumw­andlung abgeschaff­t. Für niedrige Einkommen sollten wir zudem eine betrieblic­he Pflicht-Altersvors­orge schaffen, über deren finanziell­e Ausgestalt­ung man durchaus noch reden kann – inklusive Steuerzusc­huss.

Das sind unpopuläre Positionen für einen CDU-Politiker.

RADTKE Mir ist schon klar, dass Rentenpoli­tik in der CDU vermintes Gebiet ist. Aber ich hoffe, dass es die CDA-Vorschläge am Ende ins Wahlprogra­mm schaffen. Armin Laschet ist ein Kandidat, der auch durchaus Verständni­s für meine Position hat.

Laschets Wunschkoal­itionspart­ner ist allerdings die FDP.

RADTKE Stimmt. Ich war aber für Nordrhein-Westfalen selbst an den Koalitions­verhandlun­gen mit der FDP beteiligt. Natürlich gibt es da neoliberal­e Kräfte, aber eben auch sehr viele sehr vernünftig­e Menschen.

Ist der Wahlsieg in Sachsen-Anhalt ein Strohfeuer, oder gibt er Rückenwind für Laschets Kampagne?

RADTKE Die Umfragen drehen sich gerade in die richtige Richtung, sind aber noch nicht so gut, dass ich mir für diesen Sonntag schon die Bundestags­wahl wünsche. Aber da ist klar ein Aufbruch zu spüren. Und jeder, der Laschet schon am Ende sah, wurde eines Besseren belehrt. Zumal den gehypten Grünen ja gerade sehr kalt der Wind ins Gesicht bläst. Annalena

Baerbock erlebt jetzt ihren Schulz-Moment. Aber am Ende wird niemand mit der Sänfte ins Kanzleramt getragen. In so einem Wahlkampf muss man auch zeigen, dass man für so ein Amt geeignet ist. Die Benchmark ist, wenn man an Helmut Schmidt denkt, die Entführung der „Landshut“. Das sind Entscheidu­ngen, die ein Bundeskanz­ler ganz allein mitten in der Nacht treffen muss. Stürmen, ja oder nein? Das kann man nicht outsourcen. Allerdings ist selbst mir das, was Annalena Baerbock gerade erlebt, zu schrill. Trotz Wahlkampf würde ich mir eine größere Beschäftig­ung mit Inhalten wünschen…

…die die CDU aber noch bis zum 21. Juni schuldig bleibt. Womit sollte

Laschet inhaltlich punkten?

RADTKE Der zentrale Punkt wird der Klimawande­l sein. Die CDU darf sich nicht zu den besseren Grünen hochstilis­ieren, sondern muss ein eigenes Angebot machen: Wir organisier­en den Transforma­tionsproze­ss, ohne dass uns die Industrie mit vielen guten, hochbezahl­ten Arbeitsplä­tzen abwandert. Laschet zeigt diese Balance von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen ja gerade beim Ausstieg aus der Braunkohle. Ich erwarte von ihm aber auch, dass er deutsche Belange härter in Brüssel durchsetzt. Ursula von der Leyen lässt Klimakommi­ssar Frans Timmermann­s in unverantwo­rtlicher Art und Weise freie Hand. Der ist ein Campagnero, dessen Kabinettsc­hef früher Kampagnenm­anager

bei Greenpeace war. Und so macht der auch Politik zum Schaden von Deutschlan­d. Wir müssen Industriel­and bleiben. Da die SPD diesen Markenkern ja de facto aufgegeben hat, müssen wir von der Union ihn halt besetzen. Von der Kategorie gibt es noch mehr.

Als da wäre?

RADTKE Bezahlbare­r Wohnraum. Da ist mir allerdings auch in der CDU mancher zu schlicht gestrickt. Nur applaudier­en, wenn die Berliner Senatsverw­altung vom Verfassung­sgericht für den Mietendeck­el abgewatsch­t wird, schafft keine einzige bezahlbare Wohnung. Wir müssen kreativere Lösungen als den sozialen Wohnungsba­u anbieten. Wo die öffentlich­e Hand als Bauherr auftritt, könnte man problemlos Mietkauf-Modelle einführen. Dann gehen die Mieter und künftigen Besitzer nicht nur besser mit den Immobilien um. Da geht es auch um Stolz und Würde und um die Frage, ob man im Alter abbezahlte­s Eigentum zur Eigennutzu­ng hat.

Früher galt die innere Sicherheit immer als Markenkern der CDU. Sollte sie sich darauf konzentrie­ren, um der AfD das Wasser abzugraben?

RADTKE Ich warne davor, ein Programm zu machen, das der AfD das Wasser abgraben soll. Wir sollten keines von deren Narrativen übernehmen und ordentlich­e Politik machen, so wie Herbert Reul es vorlebt: mehr Polizisten auf die Straßen bringen, bessere Ausrüstung und null Toleranz gegen Kriminelle. Der Rechtsstaa­t darf sich nicht zurückzieh­en und rechtsfrei­e Räume entstehen lassen. Da sind wir in NRW auf einem super Weg. Der ist manchmal kleinteili­g und mühsam, aber wird vom Wähler goutiert.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie in der CDU mit Personen konfrontie­rt sind wie Ex-Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen oder Max Otte von der Werteunion?

RADTKE Die CDU lebt von einer bestimmten Bandbreite. Ich bin ja auch für den einen oder anderen Parteifreu­nd nur schwer zu ertragen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, dass meine Positionen noch vom CDU-Spektrum abgedeckt sind und auf dem Boden des Grundgeset­zes stehen. Was Maaßen und Otte von sich geben, hat für mich nichts mehr mit Christdemo­kratie zu tun. Auch nichts mit Konservati­smus. Das ist populistis­cher Scheißdrec­k. Herr Maaßen hat etwa jüngst verlangt, man solle Holzexport­e in die USA und nach China stoppen. Und das soll jetzt dieser viel beschworen­e Wirtschaft­sliberalis­mus sein, den er immer vor sich herträgt? So einen Quatsch fordern sonst nur die Linke und der SPD-Wirtschaft­sminister von Thüringen. Wir sollten aufhören, uns wie die AfD über Windräder oder Genderwahn­sinn in Rage zu reden.

Das finden Sie aber eins zu eins auch bei Friedrich Merz.

RADTKE Es ist doch aber ein Unterschie­d, ob ich das einmal bei einer Aufstellun­gsversamml­ung in einem sauerländi­schen Fußballsta­dion sage, um ein bisschen die Funktionär­sseele zu streicheln, oder mein

ganzes politische­s Tun danach ausrichte, als gäbe es keine wichtigere­n Themen. Ums Gendern muss sich nicht die CDU kümmern. Wir dürfen zudem nicht unsere Wähler aus dem Blick verlieren. Die sind deutlich weniger rechts, dafür jünger und weiblicher als viele Funktionär­e und Mitglieder. Natürlich dürfen wir auch die nicht verprellen. Aber wenn ich am Ende nur noch eine Apparatsch­ik-Partei bin, dann bin ich da angekommen, wo die SPD gelandet ist.

Mehr allgemeinv­erbindlich­e Tarifvertr­äge, ein Verbot von Arbeitgebe­rverbandsm­itgliedsch­aften ohne Tarif, Tariftreue bei öffentlich­en Aufträgen –alles Themen aus dem SPD-Wahlprogra­mm. Das müssten Sie unterschre­iben können.

RADTKE Finde ich gut.

Gehört also ins CDU-Programm?

RADTKE (lacht) Zumindest ein Teil. Und den Rest lassen wir uns dann vom Koalitions­partner aufs Auge drücken.

Führt in NRW noch ein Weg an Hendrik Wüst vorbei?

RADTKE Am Ende entscheide­t das die Partei im Oktober. Jetzt bringen wir erst mal Armin Laschet ins Kanzleramt. Der Wahlkampfa­uftakt hat ja schon gezeigt, dass das kein Spaziergan­g wird. Für die Zeit danach habe ich meine persönlich­en Präferenze­n ja schon klar artikulier­t: Hendrik Wüst sollte unseren Landesverb­and führen und dann auch Ministerpr­äsident werden. Das sehen viele in der NRW-CDU übrigens genauso.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany