Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Ich bin für viele in der CDU schwer zu ertragen“
Der Landeschef des Arbeitnehmerflügels der Christdemokraten (CDA) über die Rente und den Gegenwind für Annalena Baerbock.
Herr Radtke, die Politik diskutiert gerade über einen späteren Renteneintritt. Was macht das mit Ihnen?
RADTKE Mit dem Thema Rente kann man keine Wahl gewinnen, aber auf jeden Fall verlieren. Ich rate dringend davon ab, das jetzt in den Vordergrund zu rücken. Es hat sehr lange gedauert, ehe die Bürger die Rente mit 67 halbwegs akzeptiert hatten. In einer Situation, in der die Menschen durch die Pandemie massiv beruflich und privat verunsichert sind, sollte man dieses Fass nicht aufmachen.
Aber das System ist fraglos reformbedürftig. An welcher Stellschraube sollte man also drehen?
RADTKE Weder bei den Beiträgen noch beim Rentenniveau kann man die Schraube anziehen. Es bleibt halt auch eine Gemeinschaftsaufgabe über den Steuerzuschuss. Zudem müssen wir die anderen Säulen des Systems stärken: Die Riester-Rente ist krachend gescheitert und gehört genau wie die Entgeltumwandlung abgeschafft. Für niedrige Einkommen sollten wir zudem eine betriebliche Pflicht-Altersvorsorge schaffen, über deren finanzielle Ausgestaltung man durchaus noch reden kann – inklusive Steuerzuschuss.
Das sind unpopuläre Positionen für einen CDU-Politiker.
RADTKE Mir ist schon klar, dass Rentenpolitik in der CDU vermintes Gebiet ist. Aber ich hoffe, dass es die CDA-Vorschläge am Ende ins Wahlprogramm schaffen. Armin Laschet ist ein Kandidat, der auch durchaus Verständnis für meine Position hat.
Laschets Wunschkoalitionspartner ist allerdings die FDP.
RADTKE Stimmt. Ich war aber für Nordrhein-Westfalen selbst an den Koalitionsverhandlungen mit der FDP beteiligt. Natürlich gibt es da neoliberale Kräfte, aber eben auch sehr viele sehr vernünftige Menschen.
Ist der Wahlsieg in Sachsen-Anhalt ein Strohfeuer, oder gibt er Rückenwind für Laschets Kampagne?
RADTKE Die Umfragen drehen sich gerade in die richtige Richtung, sind aber noch nicht so gut, dass ich mir für diesen Sonntag schon die Bundestagswahl wünsche. Aber da ist klar ein Aufbruch zu spüren. Und jeder, der Laschet schon am Ende sah, wurde eines Besseren belehrt. Zumal den gehypten Grünen ja gerade sehr kalt der Wind ins Gesicht bläst. Annalena
Baerbock erlebt jetzt ihren Schulz-Moment. Aber am Ende wird niemand mit der Sänfte ins Kanzleramt getragen. In so einem Wahlkampf muss man auch zeigen, dass man für so ein Amt geeignet ist. Die Benchmark ist, wenn man an Helmut Schmidt denkt, die Entführung der „Landshut“. Das sind Entscheidungen, die ein Bundeskanzler ganz allein mitten in der Nacht treffen muss. Stürmen, ja oder nein? Das kann man nicht outsourcen. Allerdings ist selbst mir das, was Annalena Baerbock gerade erlebt, zu schrill. Trotz Wahlkampf würde ich mir eine größere Beschäftigung mit Inhalten wünschen…
…die die CDU aber noch bis zum 21. Juni schuldig bleibt. Womit sollte
Laschet inhaltlich punkten?
RADTKE Der zentrale Punkt wird der Klimawandel sein. Die CDU darf sich nicht zu den besseren Grünen hochstilisieren, sondern muss ein eigenes Angebot machen: Wir organisieren den Transformationsprozess, ohne dass uns die Industrie mit vielen guten, hochbezahlten Arbeitsplätzen abwandert. Laschet zeigt diese Balance von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen ja gerade beim Ausstieg aus der Braunkohle. Ich erwarte von ihm aber auch, dass er deutsche Belange härter in Brüssel durchsetzt. Ursula von der Leyen lässt Klimakommissar Frans Timmermanns in unverantwortlicher Art und Weise freie Hand. Der ist ein Campagnero, dessen Kabinettschef früher Kampagnenmanager
bei Greenpeace war. Und so macht der auch Politik zum Schaden von Deutschland. Wir müssen Industrieland bleiben. Da die SPD diesen Markenkern ja de facto aufgegeben hat, müssen wir von der Union ihn halt besetzen. Von der Kategorie gibt es noch mehr.
Als da wäre?
RADTKE Bezahlbarer Wohnraum. Da ist mir allerdings auch in der CDU mancher zu schlicht gestrickt. Nur applaudieren, wenn die Berliner Senatsverwaltung vom Verfassungsgericht für den Mietendeckel abgewatscht wird, schafft keine einzige bezahlbare Wohnung. Wir müssen kreativere Lösungen als den sozialen Wohnungsbau anbieten. Wo die öffentliche Hand als Bauherr auftritt, könnte man problemlos Mietkauf-Modelle einführen. Dann gehen die Mieter und künftigen Besitzer nicht nur besser mit den Immobilien um. Da geht es auch um Stolz und Würde und um die Frage, ob man im Alter abbezahltes Eigentum zur Eigennutzung hat.
Früher galt die innere Sicherheit immer als Markenkern der CDU. Sollte sie sich darauf konzentrieren, um der AfD das Wasser abzugraben?
RADTKE Ich warne davor, ein Programm zu machen, das der AfD das Wasser abgraben soll. Wir sollten keines von deren Narrativen übernehmen und ordentliche Politik machen, so wie Herbert Reul es vorlebt: mehr Polizisten auf die Straßen bringen, bessere Ausrüstung und null Toleranz gegen Kriminelle. Der Rechtsstaat darf sich nicht zurückziehen und rechtsfreie Räume entstehen lassen. Da sind wir in NRW auf einem super Weg. Der ist manchmal kleinteilig und mühsam, aber wird vom Wähler goutiert.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie in der CDU mit Personen konfrontiert sind wie Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen oder Max Otte von der Werteunion?
RADTKE Die CDU lebt von einer bestimmten Bandbreite. Ich bin ja auch für den einen oder anderen Parteifreund nur schwer zu ertragen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, dass meine Positionen noch vom CDU-Spektrum abgedeckt sind und auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was Maaßen und Otte von sich geben, hat für mich nichts mehr mit Christdemokratie zu tun. Auch nichts mit Konservatismus. Das ist populistischer Scheißdreck. Herr Maaßen hat etwa jüngst verlangt, man solle Holzexporte in die USA und nach China stoppen. Und das soll jetzt dieser viel beschworene Wirtschaftsliberalismus sein, den er immer vor sich herträgt? So einen Quatsch fordern sonst nur die Linke und der SPD-Wirtschaftsminister von Thüringen. Wir sollten aufhören, uns wie die AfD über Windräder oder Genderwahnsinn in Rage zu reden.
Das finden Sie aber eins zu eins auch bei Friedrich Merz.
RADTKE Es ist doch aber ein Unterschied, ob ich das einmal bei einer Aufstellungsversammlung in einem sauerländischen Fußballstadion sage, um ein bisschen die Funktionärsseele zu streicheln, oder mein
ganzes politisches Tun danach ausrichte, als gäbe es keine wichtigeren Themen. Ums Gendern muss sich nicht die CDU kümmern. Wir dürfen zudem nicht unsere Wähler aus dem Blick verlieren. Die sind deutlich weniger rechts, dafür jünger und weiblicher als viele Funktionäre und Mitglieder. Natürlich dürfen wir auch die nicht verprellen. Aber wenn ich am Ende nur noch eine Apparatschik-Partei bin, dann bin ich da angekommen, wo die SPD gelandet ist.
Mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge, ein Verbot von Arbeitgeberverbandsmitgliedschaften ohne Tarif, Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen –alles Themen aus dem SPD-Wahlprogramm. Das müssten Sie unterschreiben können.
RADTKE Finde ich gut.
Gehört also ins CDU-Programm?
RADTKE (lacht) Zumindest ein Teil. Und den Rest lassen wir uns dann vom Koalitionspartner aufs Auge drücken.
Führt in NRW noch ein Weg an Hendrik Wüst vorbei?
RADTKE Am Ende entscheidet das die Partei im Oktober. Jetzt bringen wir erst mal Armin Laschet ins Kanzleramt. Der Wahlkampfauftakt hat ja schon gezeigt, dass das kein Spaziergang wird. Für die Zeit danach habe ich meine persönlichen Präferenzen ja schon klar artikuliert: Hendrik Wüst sollte unseren Landesverband führen und dann auch Ministerpräsident werden. Das sehen viele in der NRW-CDU übrigens genauso.