Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die abgewickelte Revolution
Die Stasi-Unterlagenbehörde wird als selbstständige Einrichtung dichtgemacht und ins Bundesarchiv eingegliedert – die DDR als Teil der gemeinsamen Geschichte. Insgesamt aber steht es um die Erinnerungskultur nicht gut.
Geschichte ist selten nur Vergangenheit. Wie sie präsentiert und eingeordnet wird, wer an was wo erinnert, sagt immer auch viel über die Gegenwart mit ihren Bedürfnissen und Kräfteverhältnissen. Manchmal kollidieren diese Bedürfnisse auch miteinander. So wie in diesen Tagen in Berlin: An diesem Donnerstag werden die Schilder von der selbstständigen Stasi-Unterlagen-Behörde abgeschraubt, wird Roland Jahn als letzter Bundesbeauftragter verabschiedet und seine mehr als 1300 Mitarbeiter von dem nur 900 Beschäftigte zählenden Bundesarchiv geschluckt. Fast gleichzeitig, kommende Woche, wird ein neues Zentrum für Flucht, Vertreibung und Versöhnung eröffnet, das neue Schwerpunkte setzt.
Parallel werden also die Verbrechen der Staatssicherheit in der DDR zwischen 1950 und 1990 eingegliedert, die schlimmen Erlebnisse der Vertreibung zwischen 1944 und 1950 dagegen herausgehoben. Die zeitliche Kollision ist Zufall. Einerseits sollte die ständige Ausstellung zur erzwungenen Migration im Deutschlandhaus in Berlin schon vor Jahren eröffnet werden, wurde lediglich jetzt mit dem Rückfahren des Lockdowns fertig. Andererseits hängt der Anlass für die offizielle „Überführung“der Stasi-Unterlagen mit dem Auslaufen der zweiten Amtszeit von Behördenchef Jahn zusammen. Das Zusammentreffen macht den problematischen Umgang mit der deutschen Geschichte jedoch noch deutlicher.
Im Grunde hätte es auch anders sein können: den 17. Juni nicht als Stichtag für das Auslaufen der eigenständigen Jahn-Behörde zu nehmen, sondern als markantes Datum für ihre fortgesetzte Notwendigkeit. Schließlich war der 17. Juni bis zur Wiedervereinigung der
Tag der Deutschen Einheit. Mit ihm erinnerte die Bundesrepublik an die blutige Niederschlagung der Arbeiteraufstände in der DDR des Jahres 1953 mit sowjetischen Panzern auf den Straßen, Ausnahmezustand, Kriegsrecht, Hinrichtungen – und einer massiven Verstärkung der Stasi-Aktivitäten gegen die eigene Bevölkerung. Die Erstürmung der Stasi-Zentrale im Januar 1990 durch mutige Bürgerrechtler war eine Umkehrung dieser Geschichte und hatte sich in der Unterlagenbehörde symbolisch und praktisch erhalten.
Sie bekam schnell weltweite Aufmerksamkeit und wurde beispielgebend für den Umgang der Demokratie mit Terrorinstrumenten zerfallener Diktaturen. Bürgerrechtler taten sich im vergangenen Jahr zusammen, um die „Abwicklung“dieses Symbols zu verhindern. Auch Jahns Vorgängerin Marianne Birthler wandte sich gegen die Pläne. Doch Jahn wirkte intensiv daran mit, dass er keinen Nachfolger mehr haben würde.
Seine Gemütslage angesichts des Endes seiner Dienstzeit? „Ich habe ein gutes Gefühl“, sagt Jahn unserer Redaktion. Seine Begründung; „Wir haben es geschafft, dass die Menschen die besondere Errungenschaft der Friedlichen Revolution, das Stasi-Unterlagen-Archiv, auch in den nächsten Generationen nutzen können, denn es ist jetzt dauerhaft Teil des Gedächtnisses der Nation.“
Es ist Jahns Versuch, auch mental aufzuwerten, was rational vernünftig erscheint. Mit Dokumenten und Archiven haben die Profis in Koblenz beste Erfahrungen. Die Konservierung und Digitalisierung wird nicht nur weitergehen, sondern beschleunigt. Ins Gesetz bekam Jahn zudem hineingeschrieben, dass das Archivgut nicht nur an der früheren Stasi-Zentrale in Berlin, sondern ausdrücklich auch in Rostock, Frankfurt/Oder, Halle, Leipzig und Erfurt verwahrt wird. Das Aktenstudium wird dort
„Wir sind jetzt dauerhaft Teil des Gedächtnisses der Nation“
Roland Jahn
Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde
genauso möglich sein wie nun auch im Westen. Es gab dafür im Bundestag eine breite Mehrheit von CDU, CSU und FDP, bei Enthaltung von Grünen und Linken und Gegenstimmen der AfD.
Zudem vollzog das Parlament in der vergangenen Woche eine weitere Selbstverpflichtung aus dem neuen Gesetz: Es wählte erstmals eine Stasi-Opfer-Beauftragte. Nach langem Tauziehen zwischen Union und SPD, die ihre Kandidaten nicht durchbringen konnten, einigte sich die Koalition schließlich auf Evelyn Zupke (59), einstige Bürgerrechtlerin im Weißenseer Kreis, die an der Aufdeckung von Wahlfälschungen mitwirkte – und damit am Anfang vom Ende der DDR. Aber sie ist lediglich eine Art Ombudsfrau mit einem kleinen Stab und nicht Leiterin einer Großbehörde.
Im Umgang mit den Akten ändert sich also vorerst nichts. Und auch das Signal, dass die DDR nun noch mehr Teil der gemeinsamen deutschen Geschichte geworden ist, lässt sich positiv interpretieren. Doch zuständig für die Stasi-Unterlagen ist im Bundesarchiv nun ein Vizepräsident. Die friedlichen Revolutionäre sind nicht mehr Sieger, sondern nur noch Zweiter. Und das macht für das Selbstverständnis eine ganze Menge aus.
Es trifft zudem zusammen mit einem eher tristen Zustand der Erinnerungskultur in Berlin. Das von vielen internationalen Besuchern und Schulklassen besuchte Deutsche Historische Museum ist auf dem Stand der 90er-Jahre stehengeblieben, es breiten sich Erzählungen aus, die DDR-Wirklichkeit verklären, und auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist das Einheitsdenkmal am Schloss immer noch nicht fertig. Es löste zuletzt Protest aus, weil die Stützpfeiler der künftigen Einheitswippe durch das Fundament des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals getrieben wurden. Eine weitere Kollision der Geschichte. Und wieder eine, bei der die Friedliche Revolution unter Druck geriet. Dieses Mal allerdings aus der anderen Richtung.