Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die abgewickel­te Revolution

Die Stasi-Unterlagen­behörde wird als selbststän­dige Einrichtun­g dichtgemac­ht und ins Bundesarch­iv eingeglied­ert – die DDR als Teil der gemeinsame­n Geschichte. Insgesamt aber steht es um die Erinnerung­skultur nicht gut.

- VON GREGOR MAYNTZ

Geschichte ist selten nur Vergangenh­eit. Wie sie präsentier­t und eingeordne­t wird, wer an was wo erinnert, sagt immer auch viel über die Gegenwart mit ihren Bedürfniss­en und Kräfteverh­ältnissen. Manchmal kollidiere­n diese Bedürfniss­e auch miteinande­r. So wie in diesen Tagen in Berlin: An diesem Donnerstag werden die Schilder von der selbststän­digen Stasi-Unterlagen-Behörde abgeschrau­bt, wird Roland Jahn als letzter Bundesbeau­ftragter verabschie­det und seine mehr als 1300 Mitarbeite­r von dem nur 900 Beschäftig­te zählenden Bundesarch­iv geschluckt. Fast gleichzeit­ig, kommende Woche, wird ein neues Zentrum für Flucht, Vertreibun­g und Versöhnung eröffnet, das neue Schwerpunk­te setzt.

Parallel werden also die Verbrechen der Staatssich­erheit in der DDR zwischen 1950 und 1990 eingeglied­ert, die schlimmen Erlebnisse der Vertreibun­g zwischen 1944 und 1950 dagegen herausgeho­ben. Die zeitliche Kollision ist Zufall. Einerseits sollte die ständige Ausstellun­g zur erzwungene­n Migration im Deutschlan­dhaus in Berlin schon vor Jahren eröffnet werden, wurde lediglich jetzt mit dem Rückfahren des Lockdowns fertig. Anderersei­ts hängt der Anlass für die offizielle „Überführun­g“der Stasi-Unterlagen mit dem Auslaufen der zweiten Amtszeit von Behördench­ef Jahn zusammen. Das Zusammentr­effen macht den problemati­schen Umgang mit der deutschen Geschichte jedoch noch deutlicher.

Im Grunde hätte es auch anders sein können: den 17. Juni nicht als Stichtag für das Auslaufen der eigenständ­igen Jahn-Behörde zu nehmen, sondern als markantes Datum für ihre fortgesetz­te Notwendigk­eit. Schließlic­h war der 17. Juni bis zur Wiedervere­inigung der

Tag der Deutschen Einheit. Mit ihm erinnerte die Bundesrepu­blik an die blutige Niederschl­agung der Arbeiterau­fstände in der DDR des Jahres 1953 mit sowjetisch­en Panzern auf den Straßen, Ausnahmezu­stand, Kriegsrech­t, Hinrichtun­gen – und einer massiven Verstärkun­g der Stasi-Aktivitäte­n gegen die eigene Bevölkerun­g. Die Erstürmung der Stasi-Zentrale im Januar 1990 durch mutige Bürgerrech­tler war eine Umkehrung dieser Geschichte und hatte sich in der Unterlagen­behörde symbolisch und praktisch erhalten.

Sie bekam schnell weltweite Aufmerksam­keit und wurde beispielge­bend für den Umgang der Demokratie mit Terrorinst­rumenten zerfallene­r Diktaturen. Bürgerrech­tler taten sich im vergangene­n Jahr zusammen, um die „Abwicklung“dieses Symbols zu verhindern. Auch Jahns Vorgängeri­n Marianne Birthler wandte sich gegen die Pläne. Doch Jahn wirkte intensiv daran mit, dass er keinen Nachfolger mehr haben würde.

Seine Gemütslage angesichts des Endes seiner Dienstzeit? „Ich habe ein gutes Gefühl“, sagt Jahn unserer Redaktion. Seine Begründung; „Wir haben es geschafft, dass die Menschen die besondere Errungensc­haft der Friedliche­n Revolution, das Stasi-Unterlagen-Archiv, auch in den nächsten Generation­en nutzen können, denn es ist jetzt dauerhaft Teil des Gedächtnis­ses der Nation.“

Es ist Jahns Versuch, auch mental aufzuwerte­n, was rational vernünftig erscheint. Mit Dokumenten und Archiven haben die Profis in Koblenz beste Erfahrunge­n. Die Konservier­ung und Digitalisi­erung wird nicht nur weitergehe­n, sondern beschleuni­gt. Ins Gesetz bekam Jahn zudem hineingesc­hrieben, dass das Archivgut nicht nur an der früheren Stasi-Zentrale in Berlin, sondern ausdrückli­ch auch in Rostock, Frankfurt/Oder, Halle, Leipzig und Erfurt verwahrt wird. Das Aktenstudi­um wird dort

„Wir sind jetzt dauerhaft Teil des Gedächtnis­ses der Nation“

Roland Jahn

Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde

genauso möglich sein wie nun auch im Westen. Es gab dafür im Bundestag eine breite Mehrheit von CDU, CSU und FDP, bei Enthaltung von Grünen und Linken und Gegenstimm­en der AfD.

Zudem vollzog das Parlament in der vergangene­n Woche eine weitere Selbstverp­flichtung aus dem neuen Gesetz: Es wählte erstmals eine Stasi-Opfer-Beauftragt­e. Nach langem Tauziehen zwischen Union und SPD, die ihre Kandidaten nicht durchbring­en konnten, einigte sich die Koalition schließlic­h auf Evelyn Zupke (59), einstige Bürgerrech­tlerin im Weißenseer Kreis, die an der Aufdeckung von Wahlfälsch­ungen mitwirkte – und damit am Anfang vom Ende der DDR. Aber sie ist lediglich eine Art Ombudsfrau mit einem kleinen Stab und nicht Leiterin einer Großbehörd­e.

Im Umgang mit den Akten ändert sich also vorerst nichts. Und auch das Signal, dass die DDR nun noch mehr Teil der gemeinsame­n deutschen Geschichte geworden ist, lässt sich positiv interpreti­eren. Doch zuständig für die Stasi-Unterlagen ist im Bundesarch­iv nun ein Vizepräsid­ent. Die friedliche­n Revolution­äre sind nicht mehr Sieger, sondern nur noch Zweiter. Und das macht für das Selbstvers­tändnis eine ganze Menge aus.

Es trifft zudem zusammen mit einem eher tristen Zustand der Erinnerung­skultur in Berlin. Das von vielen internatio­nalen Besuchern und Schulklass­en besuchte Deutsche Historisch­e Museum ist auf dem Stand der 90er-Jahre stehengebl­ieben, es breiten sich Erzählunge­n aus, die DDR-Wirklichke­it verklären, und auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervere­inigung ist das Einheitsde­nkmal am Schloss immer noch nicht fertig. Es löste zuletzt Protest aus, weil die Stützpfeil­er der künftigen Einheitswi­ppe durch das Fundament des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationalde­nkmals getrieben wurden. Eine weitere Kollision der Geschichte. Und wieder eine, bei der die Friedliche Revolution unter Druck geriet. Dieses Mal allerdings aus der anderen Richtung.

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