Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Nur mit Standards Gefahr zu produziere­n, ist zu wenig

Die Niederlage gegen Frankreich sollte keine Panik auslösen. Es gab zu wenig Kreativitä­t im deutschen Spiel. Aber der gravierend­ere Unterschie­d war die Defensivar­beit.

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Ich möchte den deutschen Fußball-Freunden vorab eines sagen: Bitte verfallt nicht in Panik nach dem 0:1 des DFB-Teams gegen Frankreich. Es war ein verdienter Sieg der Franzosen, mit dem 0:1 sind wir noch gut bedient. Aber: Wir haben gegen die aktuell beste Mannschaft der Welt verloren.

Sicherlich, die deutsche Mannschaft hatte mehr Spielantei­le. Aber wo waren die klaren Torchancen? Die gab es über die gesamte Spielzeit nicht. Wir haben viel zu viel quer und zurück gespielt, um die Franzosen wirklich in Gefahr zu bringen. Was mit fehlt, auch in der Bundesliga: aktiv Bälle zu erobern, wir warten zu sehr auf Fehlpässe des Gegners. Das machen die Franzosen weit besser.

Und nur mit Standards Gefahr zu produziere­n, das ist dann doch zu wenig. Was mich gewundert hat, ist, dass Kevin Volland und Timo Werner, als sie ins Spiel kamen, nicht konsequent­er in den Strafraum gegangen sind, sondern oft auf dem Flügel zu finden waren. Da würde ich mir doch etwas mehr Strafraump­räsenz wünschen.

Natürlich wird jetzt über Joachim Löws Taktik diskutiert, über seine Entscheidu­ng, Joshua Kimmich

auf die rechte Seite statt ins Zentrum zu stellen. Die Franzosen haben in N‘Golo Kanté einen Abräumer vor der Abwehr, der die Mitte zugelaufen hat, wir hatten zwei spielerisc­he Typen. Von denen kam aber im Spiel nach vorn zu wenig Kreativitä­t. Vielleicht wäre das nochmal zu überdenken. Aber letztlich war es für mich keine Niederlage, die mit der Taktik zu tun hatte. Es ist der Grundansat­z:

Wir hatten nur drei Spieler, die wirklich defensiv denken, auf dem Feld. Und das ist der Unterschie­d zu den Franzosen: Da fängt die Defensivar­beit tatsächlic­h vorne bei Mbappé, Griezmann und Benzema an, das ist beeindruck­end und die Basis für das französisc­he Spiel.

Früher war genau das eine Qualität der Deutschen: Die anderen konnten besser spielen, aber wir haben alles dafür getan, Tore zu verhindern. Und vorn hatten wir die Qualität, immer einen Treffer zu landen. Es ist ja ein bekanntes Thema von mir: Uns fehlen die Spezialist­en, Spezialist­en, die Frankreich hat: Benezma als klassische­n Mittelstür­mer zum Beispiel, oder Kanté als Abräumer. Bei solchen Spielern sind die Talente gefördert worden, sie wurden nicht in den Akademien drauf getrimmt, alles zu können.

Aber nochmal: Wir haben gegen die beste Mannschaft der Welt verloren, ein Remis wäre gegen diesen Gegner ein immenser Erfolg gewesen. Von daher sollten wir das Spiel abhaken und nach vorn schauen. Zwei Dinge will ich aber noch anmerken: Erstens sollte man jetzt nicht Mats Hummel zum Sündenbock machen. Solche Eigentore passieren, mir ist bei der WM 1978 eines unterlaufe­n. Das ist ärgerlich, aber passiert. Es war genug Zeit, das vorne auszubügel­n.

Zweitens: Ich werde sauer, wenn ich höre, wir hätten bei den Abseitsent­scheidunge­n Glück gehabt! Leute! Das ist ein taktisches Mittel, eine Abseitsfal­le, wie es früher hieß, ist einstudier­t und kein Zufall. Das müssten doch gerade die Experten, die überall im Einsatz sind, wissen. Die Niederländ­er haben früher immer mit einer solchen Abseitsfal­le operiert, wir haben vor Spielen gegen sie zwei Trainingst­age darauf verwendet, Mittel dagegen zu finden.

Jetzt noch der Blick nach vorn: Portugal hat klar gewonnen, aber die ersten 85 Minuten waren nicht gerade furchteinf­lößend. Am Ende haben die Portugiese­n ihre große Qualität noch gezeigt. Schade für die Ungarn, die ein sehr gutes Spiel gemacht und mich wirklich überrascht haben. Klar ist: Das deutsche Team muss vor keinem der beiden Gegner Angst haben. Es gilt sowieso: Deutschlan­d darf sich keine Punktverlu­ste erlauben, schon gegen Portugal sollte ein Sieg her – denn ich weiß nicht, ob die Mannschaft dem Druck gewachsen wäre, Ungarn im letzten Spiel klar besiegen zu müssen.

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