Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Mehrkampf-Elite misst sich in Ratingen
Für die deutschen Siebenkämpferinnen und Zehnkämpfer geht es am Wochenende um die Tickets für die Olympischen Spiele in Tokio. Carolin Schäfer und Weltmeister Niklas Kaul führen das nationale Aufgebot an.
RATINGEN Für Carolin Schäfer ist Ratingen ein gutes Pflaster. 2017 gewann die Siebenkämpferin von der LG Eintracht Frankfurt das hiesige Mehrkampf-Meeting und wurde im selben Jahr Vize-Weltmeisterin in London. 2018 verteidigte Schäfer ihren Titel in Ratingen und holte bei der Europameisterschaft in Berlin Bronze. Am Wochenende will sie nun das Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio (23. Juli bis 8. August) in Ratingen lösen.
Es ist zugleich Schäfers Saisoneinstieg, nachdem sie beim Meeting im österreichischen Götzis aufgrund von Nebenwirkungen einer Corona-Impfung hatte passen müssen. Die 29-Jährige benötigt als „Olympia-Leistungsnachweis“6250 Punkte, die direkte Qualifikationsnorm liegt bei 6420 Zählern. „Caro hat definitiv die Chance, den Leistungsnachweis zu bringen“, sagt Bundestrainer Frank Müller. „Sie hat sich in der Woche nach Götzis noch durchchecken lassen, alles ist behoben.“
Die Konkurrenz in Ratingen ist allerdings groß: 19 Siebenkämpferinnen sind am Wochenende am Start, 14 von ihnen sind Athletinnen, die Bestleistungen jenseits der 6000 Punkte erreicht haben, sechs davon gehören dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV ) an. Für Vanessa Grimm, Fünfte in Götzis, sowie die Leverkusenerinnen Sophie Weißenberg und Anna Maiwald sieht Bundestrainer Müller gute Chancen für Tokio, Louisa Grauvogel könne ebenfalls in die notwendigen Punkte-Bereiche vorstoßen. Die Österreicherinnen Verena Preiner, die vor Kurzem geheiratet hat und nun Mayr heißt, und Ivona Dadic sowie die Ukrainerin Hanna Kasyanova gehören mit Bestleistungen jenseits der 6500 Punkte zu den internationalen Top-Athletinnen. „Es wird super spannend“, glaubt Müller.
Das dürfte auch auf die Männer-Konkurrenz zutreffen, die Niklas Kaul in Ratingen anführt. Der 23-Jährige, der 2019 in Doha jüngster Zehnkampf-Weltmeister aller Zeiten wurde, wurde in Götzis Fünfter und blieb mit 8263 Punkten unter der direkten Olympia-Norm (8350). „Ich wäre besser im Bett geblieben“, hatte Kaul anschließend gesagt und zunächst offen gelassen, ob er in Ratingen starten wird. Das Risiko, dass dort dann aber drei andere Athleten die Norm knacken und er Olympia verpassen könnte, war ihm dann aber doch zu groß, der Weltmeister ist Samstag am Start. „Niklas wird den ersten Tag massiv angehen und will zeigen, dass er mehr drauf hat als in Götzis, wo er immer mal wieder in alte Bewegungsmuster gefallen ist“, sagt Müller.
Was da mitklingt – möglicherweise beendet Kaul den Wettkampf nicht, wenn er feststellt, dass ihm von anderen Athleten keine allzu große Gefahr droht. „Ich kann da nicht orakeln“, sagt Müller und ergänzt: „Ich weiß, dass er den ersten Tag richtig angehen wird. Er hatte in Götzis Probleme beim Übergang von den Hürden auf den Diskus, das würden wir gerne testen. Aber man muss auch sehen, wie er sich nach dem ersten Tag fühlt. Dann wird im relativ kleinen Kreis zwischen ihm und seinen Eltern, Schrägstrich Trainern entschieden.“Michael und Stefanie Kaul coachen ihren Sohn. „Niklas kann in Tokio eine Medaille gewinnen, darauf hat er alles ausgerichtet. Wir finden alle gut, dass er in Ratingen startet, aber ob er weitermacht, entscheidet er mit seinen Eltern. Das ist eine Entscheidung, die die drei treffen, und da mischen wir uns auch nicht ein“, betont Müller.
20 Zehnkämpfer sind in Ratingen
dabei, darunter fünf Deutsche mit Bestleistungen jenseits der 8000 Punkte. Zum Beispiel Kai Kazmirek von der LG Rhein-Wied, der bei der bis dato letzten Auflage des Meetings in Ratingen 2019 gewann, sowie Mathias Brugger und Tim Nowak vom SSV Ulm. Letzterer hatte Götzis aufgrund eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel ausfallen lassen müssen, sei aber nun topfit, sagt er und betont: „Tokio ist das große Ziel.“Das gilt am Wochenende für die gesamte deutsche Mehrkampf-Elite in Ratingen.
Die hätte ein volles Stadion verdient, was aber aufgrund des strengen Hygienekonzeptes des DLV nicht möglich sein wird. „Wir können nur 250 Zuschauer einlassen und haben uns deshalb entschieden, ausgewählten Ratinger Ehrenamtlichen und den Familien der Athleten Zutritt zu gewähren – damit sind wir ausgefüllt“, sagt Meeting-Direktor Frank Lebert vom DLV. „Trotzdem zeichnet Ratingen die familiäre Atmosphäre aus“, betont Claudia Erwes-Sidar, 2. Vorsitzende des ausrichtenden TV Ratingen. „Die Zuschauer sind nicht so weit entfernt von den Athleten, die die Nähe aufsaugen und dadurch Bestleistungen herauskitzeln können.“