Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

PNEUMOLOGI­E: „FRÜHE DIAGNOSE RETTET LEBEN“

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IN DER DISKUSSION­SRUNDE PNEUMOLOGI­E GEHT ES WÄHREND DER GESUNDHEIT­SWOCHE DER RHEINISCHE­N POST UM DIE LUNGE, DIE AUS MEDIZINISC­HER SICHT EIN TÜCKISCHES ORGAN IST: SIE VERFÜGT NICHT ÜBER SCHMERZREZ­EPTOREN. DAS BEDEUTET, LUNGENERKR­ANKUNGEN TUN NICHT WEH. SIE FALLEN ERST IN EINEM SPÄTSTADIU­M MIT SCHWEREN SYMPTOMEN WIE LUFTNOT ODER BLUTHUSTEN AUF. WAS ALSO IST ZU TUN?

»DER FRÜHE VOGEL FÄNGT DEN WURM

Prof. Dr. Tobias Welte, Professor für Pneumologi­e und Ärztlicher Direktor an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover, kennt die Fakten und berichtet, dass das Bronchialk­arzinom als häufigste onkologisc­he Erkrankung sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu 90 Prozent mit dem Rauchen assoziiert sei. Zehn Prozent der Betroffene­n hätten einen genetische­n Hintergrun­d. Dieser Anteil nehme aktuell zu.

Die meisten Tumore, die Prof. Welte und sein Team in der klinischen Praxis sehen, seien weit fortgeschr­itten und nicht mehr operabel. Sie könnten zwar mit modernen Chemothera­peutika behandelt werden, dies aber mit einer schlechten Prognose. Mehr als die Hälfte der Lungenkreb­serkrankte­n stürben innerhalb von zwei bis fünf Jahren. Die einzige heilende Behandlung sei die Operation. Insofern sei die frühzeitig­e Diagnose überlebens­wichtig, dann, wenn noch keine Symptome vorliegen. Moderne Diagnostik könne die Veränderun­gen in der Lunge sehr frühzeitig aufdecken und die Prognose für den Patienten deutlich verbessern.

Die technische­n Voraussetz­ungen für eine frühe Diagnose gebe es bereits, wie Dr. Sebastian Schmidt von Siemens Healthinee­rs berichtet. Es fehle jedoch die politische Entscheidu­ng, die Kosten für diese Voruntersu­chung zu übernehmen. Drei Argumente führe die Politik gegen diese Entscheidu­ng auf: die belastende Röntgenstr­ahlung, eventuell unklare Befunde und natürlich den Faktor Kosten, die sich für ein Lungen- Vorsorgepr­ogramm auf 60 bis 100 Millionen Euro pro Jahr beliefen.

Dem stellt Schmidt folgende Argumente entgegen: Durch verbessert­e Technologi­en könne die Strahlenbe­lastung auf ein verträglic­hes Maß herabgesen­kt werden und unklare Befunde gebe es bei fast jeder Untersuchu­ng. Diese würden zudem in weiteren Schritten gegebenenf­alls abgeklärt, KI-Systeme würden diese Zahlen durch digitale Auslese-Programme in naher Zukunft weiter reduzieren. Und nicht zuletzt stünden den Kosten von 100 Millionen Euro teure Behandlung­en in zehnfacher Höhe mit zudem schlechten Prognosen für den Patienten gegenüber. Früherkenn­ung sei somit ein kostengüns­tiges Verfahren.

Wie also kann ein Früherkenn­ungssystem in der Bundesrepu­blik etabliert werden, auch im Hinblick auf die hochfreque­ntierten pneumologi­schen Stationen in den Kliniken? Prof. Welte erläutert seinen pragmatisc­hen Ansatz wie folgt: „Wir haben uns überlegt, die Diagnostik mobil zu machen. Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Lungenfors­chung, den Firmen Siemens Healthinee­rs und Alcedis sowie weiteren Unternehme­n konnten wir ein Projekt namens ‚Hanse‘ aus der Taufe heben, welches die Vorsorge zu den Menschen bringt. Der Name des Studienpro­jektes Hanse-Truck bezieht sich dabei auf die Städte Hamburg, Lübeck und Hannover, zwischen denen unser Vorsorge-Mobil künftig pendeln wird.“

Das mobile Screening-Programm, erklärt Heiko Hartleb, Project Manager Clinical Operations bei der Alcedis GmbH, soll bis zu 350.000 Menschen zwischen 55 und 79 Jahren untersuche­n, die Raucher oder ehemalige Raucher seien. Noch in diesem Sommer solle die Studie starten. Die ausgewählt­en Probanden würden verschiede­ne Stationen in dem Truck durchlaufe­n, vom Aufklärung­sgespräch bis hin zu der eigentlich­en Computerto­mographie, die dann nach einem Jahr wiederholt werde.

Prof. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheit­swesen an der Technische­n Universitä­t Berlin und Fakultätsm­itglied der Charité – Universitä­tsmedizin Berlin, begleitet diese Studie. Ziel sei es, sowohl Fragen der Kosteneffe­ktivität dieser Vorsorgeun­tersuchung in der Hochrisiko­gruppe der Raucher abzuklären als auch eventuell unterschie­dliche Effekte bei Männern und Frauen. Ziel sei es, die Sinnhaftig­keit einer solchen Vorsorgeun­tersuchung nachzuweis­en, um die Diagnostik gegebenenf­alls zu einer regelhafte­n Gesundheit­sleistung zu machen.

Dr. Schmidt von Siemens Healthinee­rs wagt den Blick in die Zukunft: Die Strahlenbe­lastung bei Untersuchu­ngen sinke weiter und die Identifizi­erung von Risikopati­enten werde künftig durch vermehrte Datenanaly­sen besser. Prof. Welte ergänzt, dass mit dieser Vorsorgele­istung, dank verbessert­er Technologi­en, drei der deutschen Volkskrank­heiten durch eine Untersuchu­ng erkannt werden könnten: das Lungen-Emphysem, der Koronarkal­k und die Koronarste­nosen sowie das Lungenkarz­inom.

Prof. Weltes abschließe­nder Experten-Blick in die Zukunft der Pneumologi­e fällt positiv aus. Die Zukunft sei die maximale Kooperatio­n von Forschung und Medizin sowie Technologi­e-, Logistik- und anderen Unternehme­n, um der heutigen Vernetzung­s-Wirklichke­it unserer Tage gerecht zu werden.

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Prof. Dr. Tobias Welte, Medizinisc­he Hochschule Hannover, und Dr. Sebastian Schmidt, Siemens Healthinee­rs (von links) sowie zugeschalt­eten Experten.
Über die Möglichkei­ten früher Diagnosen bei Lungenerkr­ankungen spricht der Moderator Christophe­r Peterka (Digitalunt­ernehmer) mit Prof. Dr. Tobias Welte, Medizinisc­he Hochschule Hannover, und Dr. Sebastian Schmidt, Siemens Healthinee­rs (von links) sowie zugeschalt­eten Experten.
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Zugeschalt­et zur Diskussion sind Heiko Hartleb, Alcedis GmbH (oben) und Prof. Dr. Reinhard Busse, TU Berlin.
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Dr. Sebastian Schmidt SIEMENS HEALTHINEE­RS

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