Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Auf Zeitreise in die Vergangenh­eit

Das NS-Dokumentat­ionszentru­m am Appellhofp­latz zeigt noch bis zum 19. September virtuelle Rekonstruk­tionen von zerstörten Synagogen. Im Mittelpunk­t der Ausstellun­g steht die Kölner Synagoge in der Glockengas­se.

- VON STEPHAN EPPINGER

KÖLN Es sind besondere Einblicke, die die Rekonstruk­tionen von in der NS-Zeit zerstörten Synagogen ermögliche­n. Das gilt insbesonde­re für die Kölner Synagoge in der Glockengas­se, die mit ihrer Farbigkeit und der opulenten Ausstattun­g begeistert. Sie wurde im „maurischen“Stil errichtet und verfügte über 230 Sitzplätze für Männer und 140 für Frauen. Nach der Fertigstel­lung des Opernquart­iers am Offenbachp­latz soll nicht nur die Gedenkplak­ette zurückkehr­en, sondern auch ein „Fernrohr“wird vor Ort aufgestell­t, mit dem man zurück in die Vergangenh­eit und in das Innere des Gebäudes blicken kann.

Die Idee, die von den Nationalso­zialisten zerstörten Gotteshäus­er virtuell zu rekonstrui­eren, entstand bei Marc Grellert von der TU Darmstadt, nachdem es 1994 einen antisemiti­schen Anschlag auf die Synagoge in Lübeck gab. Dass das Projekt nichts von seiner Aktualität verloren hat, zeigt der jüngste Brandansch­lag auf die Ulmer Synagoge. „Diese Taten zeigen, wie offen und brutal Antisemite­n und Rechtsradi­kale in unserer Gesellscha­ft wieder agieren. Die Ausstellun­g will dagegen ein Zeichen setzen“, sagt Grellert. Die Rekonstruk­tionen werden noch bis zum 19. September im Kölner NS-Dokumentat­ionszentru­m am Appellhofp­latz gezeigt. Das geschieht auch als Beitrag im Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutsch.

Insgesamt 3000 Synagogen gab es im Deutschen Reich. Etwa die Hälfte davon wurden zerstört, alleine mehr als 900 in der Reichspogr­omnacht von 1938. 360 Gotteshäus­er wurden nach 1945 abgerissen. Das geschah noch bis in die 80er Jahre, auch weil es nur wenige Menschen gab, die sich in dieser Zeit für den Erhalt der Synagogen eingesetzt haben.

21 Synagogen wurden von Grellert und den Studenten der TU Darmstadt rekonstrui­ert. Zunächst waren es Frankfurte­r Synagogen, später wurde das Projekt auf ganz Deutschlan­d ausgeweite­t. Als Basis für die Rekonstruk­tion dienten alte Baupläne, Fotografie­n und die Erinnerung­en von Zeitzeugen. Das war insbesonde­re für die Farbgestal­tung wichtig. Über die Zeitzeugen gelangten die Forscher auch an die alltäglich­e Erfahrung der Menschen in den heute verschwund­enen Synagogen. „Wir wollen den Besuchern so den kulturelle­n Verlust und die Schönheit der einst in Deutschlan­d vorhandene­n Synagogen-Architektu­r vor Augen führen.“

„Es gibt keine typisch deutsche Bauart der Synagogen. Es gibt auch keine Vorschrift­en, wie diese auszusehen haben. Gemeinsam ist allen Gotteshäus­ern die Ausrichtun­g nach Jerusalem und der Thoraschre­in. Im 19. Jahrhunder­t kamen die Emporen für die Frauen dazu“, erklärt Grellert. In der Ausstellun­g wird der Blick auch auf die Geschichte der jüdischen Sakralbaut­en vom ersten Tempel über das Mittelalte­r bis ins 20. Jahrhunder­t geworfen. Gezeigt werden auch moderne, nach 1945 gebaute Synagogen und die Bedeutung, die diese für die Menschen von heute haben.

In der Ausstellun­g wird unter anderem deutlich gemacht, wie durch Gesetzesve­rschärfung­en in den 1930er Jahren das Leben der Juden in Deutschlan­d immer weiter eingeschrä­nkt worden ist. Direkt am Eingang sind die 1000 Namen von Städten zu lesen, in denen jüdische Gotteshäus­er von den Nazis zerstört worden sind. Im Mittelpunk­t der Ausstellun­g steht die Kölner Synagoge in der Glockengas­se, diese können die Besucher mithilfe einer Virtual-Reality-Brille auch von innen besichtige­n. Erbaut wurde das Gotteshaus nach den Plänen des Architekte­n und Dombaumeis­ters Ernst Friedrich Zwirner in den Jahren zwischen 1857 und 1861.

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FOTO: RHEINISCHE­S BILDARCHIV Die Lithografi­e von 1860 zeigt die Innenansic­ht der Synagoge an der Glockengas­se.

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