Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Dieser Frankenstein ist ein Adonis
Ist es egal, warum wir glücklich sind? Der Kinofilm „Ich bin dein Mensch“von Maria Schrader ist ein philosophisches Vergnügen.
Die Regisseurin weitet die Geschichte in den Zuschauerraum
Die Menschen sind ein bisschen doof, wenn es um die Liebe geht. Sobald sie denken, sie hätten ihr ideales Gegenüber gefunden, regiert allzu oft Herz über Kopf, und dann ist es egal, dass die andere vielleicht eine Maschine ist. Ja, hier steht ganz bewusst „die andere“, denn die Kulturgeschichte der Liebe zwischen Mensch und Automat wurde bislang männlich dominiert. Bei E. T. A. Hoffmann im „Sandmann“zum Beispiel. Die Romantik war ja ohnehin eine Epoche, in der Mischwesen die Fantasie der Künstler bevölkerten, und in dieser Erzählung verfiel Nathanael seiner Olimpia. Die Automatin konnte nur wenige Worte sprechen, „Ach, ach!“zum Beispiel, aber das genügte. Nathanael fand das tiefgründig, und schon war es um ihn geschehen.
Die Regisseurin Maria Schrader variiert nun das alte Thema, sie gibt ihm einen zeitgenössischen Twist, denn in ihrem Film „Ich bin dein Mensch“verliebt sich eine Frau in einen Roboter, wobei die Frau nicht mehr so beschränkt ist wie in früheren Geschichten der Mann. Alma (Maren Eggert) ist im Gegenteil sogar Wissenschaftlerin, sie erforscht Keilschriften, und der programmierte Mann ist als solcher kaum zu erkennen: Er redet unheimlich kluges Zeug, ist hilfsbereit und kultiviert, er kümmert sich voller Zuneigung und sieht verflixt gut aus, denn er wird gespielt von Dan Stevens, dem Darling aus der Serie „Downton Abbey“.
Tom heißt dieser Traumtyp, ein Update des männlichen Geschlechts, von Ingenieuren ins Leben geholt und nicht von einer Hebamme. Alma hat mitbestimmt, wie er ausgestattet wird. Sie füllte einen Fragebogen aus und half dabei, den perfekten Partner zu erschaffen. Blaue Augen und guter Body inklusive: Frankenstein als Adonis. Alma ist zwar solo, denn ihr Ex bekommt mit seiner Neuen ein Kind, aber nicht Sehnsucht treibt sie, sondern die Aussicht auf ein Forschungsprojekt in Chicago. Ihr Chef gehört einer Ethikkommission an, die über die Zulassung künstlicher Menschen entscheiden soll. Dürfen die demnächst heiraten? Oder die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen? Alma ist sozusagen inkognito unterwegs, um ein Gutachten zuliefern zu können. Als Dank für ihre Expertise winkt die Reise nach Amerika.
Mit Alma und Tom beginnt es erst mal nicht so gut, denn die Festplatte des Robo-Lovers wurde nicht nur mit Infos über Almas Vorlieben gespeist, sondern auch mit galanten Statistiken. Also spricht er Sätze wie: „Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte.“Außerdem lässt er Wasser in die Badewanne, verteilt Rosenblätter und stellt Kerzen auf, und spätestens da ist Alma raus: „Was soll das?“– „97 Prozent der deutschen Frauen wünschen sich das.“– „Dann rate mal, wozu ich gehöre.“
Aber natürlich bleibt es nicht bei dieser Antipathie, es geht sogar recht schnell, dass Alma Tom küsst, denn der Kuss auf den Mund aktiviert einen Sensor, der einen senkrechten Effekt hat, der in der Waagerechten genutzt werden kann. Das ist denn auch das Faszinierende an diesem Film: zu sehen, wie die Wissenschaftlerin Alma wider bessere Vernunft agiert. Und nichts anderes ist das Verlieben ja: Hingabe wider bessere Vernunft. Es scheint alles perfekt, die Umwelt reagiert auf die beiden so freundlich und gewogen, wie man auf ein verliebtes Paar im Freundeskreis nun mal reagiert.
„Ich bin dein Mensch“variiert literarische Motive, und er führt die cineastische Tradition der humanoiden Amore fort, die in den vergangenen Jahren wieder stärker geworden ist. Man denkt im Kino gleich an „Blade Runner“, (1982) wo sich Harrison Ford in eine Replikantin verliebt. Noch frischer ist die Erinnerung an „Her“(2013) von Spike Jonze, der zeigt, wie Joaquin Phoenix der von Scarlett Johansson geborgten Stimme eines Betriebssystem verfällt. In „Ex Machina“(2015) von Alex Garland werden die Körper stärker mit einbezogen, und jeder dieser Storys ist gemein, dass der Zuschauer in eine Zukunft blickt, die im Grunde bereits die Gegenwart ist. Das Urteil darüber, was richtig ist und was falsch, lässt sich nicht so leicht fällen, wie man es zuvor erwartet hätte. Genau das macht den Reiz des Themas aus.
Maren Eggert hat für ihre Darstellung den Silbernen Bären bei der Berlinale bekommen. Tatsächlich macht sie (und auch Dan Stevens) ihre Sache hervorragend. Sie hadert und weint, sie fragt sich, ob sie nicht bloß Theater spiele, aber Theater ohne Publikum, und irgendwann steht sie vor der Frage, die den Kern dieser heiter-philosophischen Produktion trifft: Ist es nicht egal, weswegen man glücklich ist, wenn man doch glücklich ist?
Maria Schrader hat zuletzt einige bemerkenswerte Produktionen vorgelegt: die Serie „Unorthodox“etwa und den Stefan-Zweig-Film „Vor der Morgenröte“. Demnächst wird sie ihren ersten Film in den USA drehen, sie adaptiert das Buch „She Said“von Megan Twahey und Jodi Kantor über die Weinstein-Enthüllungen. „Ich bin dein Mensch“ist nun ein guter, aber kein ganz großer Film. Der Verlauf der Geschichte ist dann doch absehbar, Berlin sieht allzu sauber, sommerlich und gezirkelt aus. Und größere Verheerungen, Irritationen und Überraschungen gibt es auch nicht. Alles wirkt schöner, als es ist.
„Ich bin dein Mensch“ist dennoch unbedingt sehenswert. Die Regisseurin belässt es nämlich nicht dabei, ihre Geschichte auf der Leinwand zu erzählen. Sie weitet sie in den Zuschauerraum. Man erwischt sich dabei, dass man Alma und Tom ein gutes Leben wünscht. Genau genommen sogar: ein gemeinsames Leben. Ist ein solcher Gedanke noch romantisch? Oder schon doof?
Ach, ach.