Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Gesprächsangebot der Ungehorsamen
Extinction Rebellion hat mit Aktionen im Regierungsviertel die Politik in Aufruhr versetzt. Nun zeigt sich die Gruppe dialogbereit. Das Landtagspräsidium will erst die strafrechtlichen Ermittlungen abwarten. Die Polizei findet klare Worte.
DÜSSELDORF Es war ein gezielter Hinweis auf die erhöhten Schutzmaßnahmen am Landtag, als Herbert Reul (CDU) sich am Mittwoch mit Polizisten vor Ort austauschte. Der NRW-Innenminister kam am Rande der Plenarsitzung mit Beamten unter anderem der Reiterstaffel ins Gespräch. Reul hatte nach zwei Aktionen der Umweltaktivisten von Extinction Rebellion (XR) eine Verstärkung des polizeilichen Schutzes am Landtag und an Regierungsgebäuden verfügt.
Die Aktivisten haben sich unterdessen mit einem Schreiben an das Landtagspräsidium gewandt und ein Gesprächsangebot unterbreitet. „Wir bedauern sehr, dass die Anliegen von Extinction Rebellion an Regierungsgebäuden in Düsseldorf bei Ihnen nicht in der von uns gewünschten Weise angekommen sind“, heißt es in der E-Mail, die unserer Redaktion vorliegt.
Die Gruppe hatte am 20. Mai einen Wohnwagen vor den Landtag gerollt; mehrere Aktivisten ketteten sich am Boden fest, andere erklommen das Vordach. Unter anderem weil sie damit die Bannmeile verletzten, hat Landtagspräsident André Kuper (CDU) Strafanzeige erstattet. Am 7. Juni besetzten mehrere XR-Aktivisten dann das Vordach des NRW-Innenministeriums.
In dem Schreiben heißt es, bei den Aktionen habe es sich um „kreative Kommunikationsangebote“gehandelt. Die stets friedlichen und gewaltfreien Proteste seien jedoch als Angriffe, Störungen und gar als Versuche der Lächerlichmachung von Institutionen empfunden worden, schreibt die Gruppe. „Extinction Rebellion möchte in keiner Weise die parlamentarische Demokratie und das freie Mandat gefährden, sondern fordert im Gegenteil eine direktere Beteiligung der Bürger:innen – wie schon etwa in Irland und Frankreich geschehen – durch Einberufung von gelosten Bürger:innenversammlungen.“Diese seien eine konstruktive, rechtlich bereits mögliche und demokratische Ergänzung des parlamentarischen Systems.
An der Aktion am Landtag beteiligt war der Bonner Geologie-Professor Nikolaus Froitzheim. „Extinction Rebellion stört bewusst. Der Grund ist, dass seit Jahrzehnten bekannt ist, dass wir die CO2-Emission zurückfahren müssen, doch passiert ist seit dem ersten Bericht das Weltklimarates vor 30 Jahren gar nichts. Im Gegenteil: Seit 1990 haben wir weltweit noch einmal so viel emittiert wie in den 200 Jahren zuvor. Unter den Wissenschaftlern macht sich deshalb der Frust breit.“Die Gruppe veranstalte Aktionen des zivilen Ungehorsams und sehe sich dabei in der Tradition von Gruppen wie der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika oder Gandhis friedlichem Widerstand in Indien, der am Ende zum Abzug der britischen Kolonialtruppen geführt habe, sagt der Geologie-Professor.
Für ihn könnte die Teilnahme durchaus noch unangenehm werden, schließlich sind Beamte zur Neutralität und Rechtstreue verpflichtet. „Natürlich habe ich auch persönlich Sorgen, dass dies für mich Konsequenzen – etwa dienstrechtlicher Natur – haben kann. Das Brechen der Bannmeile war ja keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern dürfte als Straftat verfolgt werden.“Allerdings seien seine Sorgen bedeutend größer, dass sich an der derzeitigen Untätigkeit nichts ändere und man in die schon jetzt spürbare Katastrophe steuere. „Ich bin deshalb auch gerne bereit, die Dringlichkeit unserer Anliegen vor Gericht darzulegen. Aus meiner Sicht befinden wir uns in einem rechtfertigenden Notstand. Für ein so globales Ziel muss man im Übrigen bereit sein, Opfer zu bringen.“Er sei nie politisch gewesen, allenfalls bei den Friedensdemonstrationen
in Bonn in den 80er-Jahren mitmarschiert. Sein Erweckungserlebnis habe er dann 2018 bei einem Vortrag des Klimaforschers Mojib Latif gehabt.
Froitzheim: „Mich treibt um, dass sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Spitzenpolitiker wie Armin Laschet oder Olaf Scholz zwar dazu bekennen, dass in der Zukunft etwas passieren muss, aber weiterhin in der Gegenwart keinerlei Maßnahmen ergriffen werden.“Konkret schlägt er ein Tempolimit auf Autobahnen sowie den Stopp des Baus von 800 neuen Autobahnkilometern vor. Zudem verlangt Froitzheim einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle.
Während XR darauf beharrt, ausschließlich friedlich zu protestieren, findet die Deutsche Polizeigewerkschaft dafür entschiedenere Worte. Deren stellvertretender Bundesvorsitzender Manuel Ostermann schrieb bei Twitter: „Wenn wir von Exctinction Rebellion reden, dann reden wir von Extremisten und nicht von Aktivisten.“
CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen, selbst langjähriger Beamter im Bundeskriminalamt, regte an, als Konsequenz das Versammlungsrecht noch einmal nachzuschärfen.
In dem Schreiben der Gruppe heißt es, Ende 2019 habe man schon versucht, einen Gesprächstermin mit dem Präsidium zu vereinbaren, aber leider keine Rückmeldung erhalten. „Wir würden uns freuen, dies jetzt nachholen zu können, um unser gegenseitiges Verständnis zu verbessern.“
Ein Sprecher des Landtags erklärte auf Anfrage, das Präsidium sei derzeit nicht bereit zu einem Gespräch mit Extinction Rebellion, solange die strafrechtlichen Ermittlungen oder möglichen Verfahren laufen. Kuper sagte: „Unsere parlamentarische Demokratie lebt vom Austausch der Meinungen. Diesen Umgang pflegen wir hier im Landtag aktiv mit Bürgerinnen und Bürgern und Interessengruppen. Gespräche kann man aber nicht durch illegale Aktionen erzwingen.“