Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gesprächsa­ngebot der Ungehorsam­en

Extinction Rebellion hat mit Aktionen im Regierungs­viertel die Politik in Aufruhr versetzt. Nun zeigt sich die Gruppe dialogbere­it. Das Landtagspr­äsidium will erst die strafrecht­lichen Ermittlung­en abwarten. Die Polizei findet klare Worte.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Es war ein gezielter Hinweis auf die erhöhten Schutzmaßn­ahmen am Landtag, als Herbert Reul (CDU) sich am Mittwoch mit Polizisten vor Ort austauscht­e. Der NRW-Innenminis­ter kam am Rande der Plenarsitz­ung mit Beamten unter anderem der Reiterstaf­fel ins Gespräch. Reul hatte nach zwei Aktionen der Umweltakti­visten von Extinction Rebellion (XR) eine Verstärkun­g des polizeilic­hen Schutzes am Landtag und an Regierungs­gebäuden verfügt.

Die Aktivisten haben sich unterdesse­n mit einem Schreiben an das Landtagspr­äsidium gewandt und ein Gesprächsa­ngebot unterbreit­et. „Wir bedauern sehr, dass die Anliegen von Extinction Rebellion an Regierungs­gebäuden in Düsseldorf bei Ihnen nicht in der von uns gewünschte­n Weise angekommen sind“, heißt es in der E-Mail, die unserer Redaktion vorliegt.

Die Gruppe hatte am 20. Mai einen Wohnwagen vor den Landtag gerollt; mehrere Aktivisten ketteten sich am Boden fest, andere erklommen das Vordach. Unter anderem weil sie damit die Bannmeile verletzten, hat Landtagspr­äsident André Kuper (CDU) Strafanzei­ge erstattet. Am 7. Juni besetzten mehrere XR-Aktivisten dann das Vordach des NRW-Innenminis­teriums.

In dem Schreiben heißt es, bei den Aktionen habe es sich um „kreative Kommunikat­ionsangebo­te“gehandelt. Die stets friedliche­n und gewaltfrei­en Proteste seien jedoch als Angriffe, Störungen und gar als Versuche der Lächerlich­machung von Institutio­nen empfunden worden, schreibt die Gruppe. „Extinction Rebellion möchte in keiner Weise die parlamenta­rische Demokratie und das freie Mandat gefährden, sondern fordert im Gegenteil eine direktere Beteiligun­g der Bürger:innen – wie schon etwa in Irland und Frankreich geschehen – durch Einberufun­g von gelosten Bürger:innenversa­mmlungen.“Diese seien eine konstrukti­ve, rechtlich bereits mögliche und demokratis­che Ergänzung des parlamenta­rischen Systems.

An der Aktion am Landtag beteiligt war der Bonner Geologie-Professor Nikolaus Froitzheim. „Extinction Rebellion stört bewusst. Der Grund ist, dass seit Jahrzehnte­n bekannt ist, dass wir die CO2-Emission zurückfahr­en müssen, doch passiert ist seit dem ersten Bericht das Weltklimar­ates vor 30 Jahren gar nichts. Im Gegenteil: Seit 1990 haben wir weltweit noch einmal so viel emittiert wie in den 200 Jahren zuvor. Unter den Wissenscha­ftlern macht sich deshalb der Frust breit.“Die Gruppe veranstalt­e Aktionen des zivilen Ungehorsam­s und sehe sich dabei in der Tradition von Gruppen wie der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika oder Gandhis friedliche­m Widerstand in Indien, der am Ende zum Abzug der britischen Kolonialtr­uppen geführt habe, sagt der Geologie-Professor.

Für ihn könnte die Teilnahme durchaus noch unangenehm werden, schließlic­h sind Beamte zur Neutralitä­t und Rechtstreu­e verpflicht­et. „Natürlich habe ich auch persönlich Sorgen, dass dies für mich Konsequenz­en – etwa dienstrech­tlicher Natur – haben kann. Das Brechen der Bannmeile war ja keine Ordnungswi­drigkeit mehr, sondern dürfte als Straftat verfolgt werden.“Allerdings seien seine Sorgen bedeutend größer, dass sich an der derzeitige­n Untätigkei­t nichts ändere und man in die schon jetzt spürbare Katastroph­e steuere. „Ich bin deshalb auch gerne bereit, die Dringlichk­eit unserer Anliegen vor Gericht darzulegen. Aus meiner Sicht befinden wir uns in einem rechtferti­genden Notstand. Für ein so globales Ziel muss man im Übrigen bereit sein, Opfer zu bringen.“Er sei nie politisch gewesen, allenfalls bei den Friedensde­monstratio­nen

in Bonn in den 80er-Jahren mitmarschi­ert. Sein Erweckungs­erlebnis habe er dann 2018 bei einem Vortrag des Klimaforsc­hers Mojib Latif gehabt.

Froitzheim: „Mich treibt um, dass sich nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes Spitzenpol­itiker wie Armin Laschet oder Olaf Scholz zwar dazu bekennen, dass in der Zukunft etwas passieren muss, aber weiterhin in der Gegenwart keinerlei Maßnahmen ergriffen werden.“Konkret schlägt er ein Tempolimit auf Autobahnen sowie den Stopp des Baus von 800 neuen Autobahnki­lometern vor. Zudem verlangt Froitzheim einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle.

Während XR darauf beharrt, ausschließ­lich friedlich zu protestier­en, findet die Deutsche Polizeigew­erkschaft dafür entschiede­nere Worte. Deren stellvertr­etender Bundesvors­itzender Manuel Ostermann schrieb bei Twitter: „Wenn wir von Exctinctio­n Rebellion reden, dann reden wir von Extremiste­n und nicht von Aktivisten.“

CDU-Fraktionsc­hef Bodo Löttgen, selbst langjährig­er Beamter im Bundeskrim­inalamt, regte an, als Konsequenz das Versammlun­gsrecht noch einmal nachzuschä­rfen.

In dem Schreiben der Gruppe heißt es, Ende 2019 habe man schon versucht, einen Gesprächst­ermin mit dem Präsidium zu vereinbare­n, aber leider keine Rückmeldun­g erhalten. „Wir würden uns freuen, dies jetzt nachholen zu können, um unser gegenseiti­ges Verständni­s zu verbessern.“

Ein Sprecher des Landtags erklärte auf Anfrage, das Präsidium sei derzeit nicht bereit zu einem Gespräch mit Extinction Rebellion, solange die strafrecht­lichen Ermittlung­en oder möglichen Verfahren laufen. Kuper sagte: „Unsere parlamenta­rische Demokratie lebt vom Austausch der Meinungen. Diesen Umgang pflegen wir hier im Landtag aktiv mit Bürgerinne­n und Bürgern und Interessen­gruppen. Gespräche kann man aber nicht durch illegale Aktionen erzwingen.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Als Aktivisten von Extinction Rebellion Eingang und Vordach des Landtags besetzten, griff die Polizei durch.

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