Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
SCHLECHTES ZEUGNIS FÜR POLEN UND UNGARN,
Länder, die gegen gemeinsame Werte verstoßen, müssen nach der Veröffentlichung eines neuen Prüfberichts Kürzung von EU-Geldern befürchten.
BRÜSSEL (ap/dpa/epd) In ihrem Jahresbericht zur Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit hat die EU-Kommission eine Erosion demokratischer Standards in mehreren EU-Staaten konstatiert. Dies gelte besonders für Ungarn und Polen, wo die Unabhängigkeit der Justiz bedroht sei, heißt es in der am Dienstag nach 2020 zum zweiten Mal veröffentlichten Untersuchung. Genannt wurde wegen Angriffen auf die Medien des Landes auch Slowenien, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne hat.
„In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es Anlass zu ernster Besorgnis“, kommentierte die zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Vera Jourova, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, die Ergebnisse.
In dem Jahresbericht wurden mit Blick auf Polen Mängel in den wichtigsten vier überprüften Bereichen festgestellt: nationale Justizsysteme, Rahmenbedingungen zur Bekämpfung
von Korruption, Medienfreiheit und Gewaltenteilung. Reformen im Justizsystem in den vergangenen sechs Jahren hätten den Einfluss der Regierung verstärkt, hieß es. Zudem bestehe das Risiko unzulässigen Einflusses auf Korruptionsstrafverfahren zu politischen Zwecken, und die Arbeitsbedingungen für Journalisten hätten sich verschlechtert.
Mit Blick auf Ungarn ist unter anderem von unzureichenden unabhängigen Kontrollmechanismen und einem mangelnden Vorgehen gegen Klientelismus und Vetternwirtschaft die Rede.
Relevant sind die Befunde, weil Staaten seit diesem Jahr bei bestimmten Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit EU-Gelder gekürzt werden können. Voraussetzung ist, dass wegen dieser Verstöße ein Missbrauch von Geldern aus dem Gemeinschaftshaushalt droht. In Ungarn und Polen könnte diese Voraussetzung nach dem Bericht erfüllt sein, weil eine unzureichende Korruptionsbekämpfung das Risiko birgt, dass EU-Gelder veruntreut werden.
Im Gegensatz zu Ungarn und Polen muss die Bundesrepublik vorerst keinen Ärger wegen rechtsstaatlicher Defizite befürchten. „Das Justizsystem funktioniert weiterhin effizient“, heißt es im Deutschland-Kapitel des sogenannten Rechtsstaats-TÜV. Verbesserungsbedarf wird lediglich in Bereichen wie Transparenz gesehen. So werden zum Beispiel rechtliche Lücken bei den Regeln zur Parteienfinanzierung, Mängel in der Regulierung von Nebentätigkeiten von Parlamentariern und zu hohe Spendenobergrenzen kritisiert.
Defizite sieht der EU-Bericht dagegen mit Blick auf die körperliche Sicherheit von Journalisten in Deutschland. Das gelte besonders mit Blick auf die Berichterstattung über Proteste, heißt es in der Zusammenfassung
des Berichts. Dies biete weiterhin Anlass zur Sorge. Als positiv wird hingegen eine große Unabhängigkeit von Medien und Regulierungsbehörden in Deutschland festgestellt. Die Eigentumsverhältnisse der Medien hierzulande seien transparent.
In anderen Ländern seien die Probleme teils größer. So seien etwa in Ungarn Medien und Journalisten weiterhin mit Behinderung und Einschüchterung konfrontiert. „Der Medienpluralismus bleibt in Gefahr.“Für die Niederlande wird einerseits ein hoher Grad an Medienfreiheit festgestellt, aber zugleich auf die Ermordung des Journalisten Peter R. de Vries hingewiesen. Zu Österreich heißt es in der Zusammenfassung, über die „objektive Verteilung“der öffentlichen Unterstützung von Medien in der Corona-Pandemie seien Zweifel laut geworden.
„Insgesamt zeigt der Bericht viele positive Entwicklungen auf“, so die EU-Kommission. Im Umgang mit der Corona-Pandemie und angesichts der Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen hätten Rechts- und Verfassungssysteme starke Widerstandsfähigkeit bewiesen. Anlässe zur Sorge blieben aber und hätten sich in bestimmten Ländern noch verstärkt.