Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Impfgegner Aiwanger spaltet die bayerische Koalition
Der stellvertretende Ministerpräsident der Freien Wähler geht mit Söder auf Konfrontationskurs und gibt sich als Verteidiger der Bürgerrechte.
MÜNCHEN Hubert Aiwanger hat am Wochenende den „Historischen Brautag“im fränkischen Bad Windsheim besucht. Dabei lobt er die Zutaten Hopfen und Malz aus der Region, die „beste Qualität garantieren“. Es ist der krampfhafte Versuch, so zu tun, als ob nichts wäre. Dabei kracht es hinter den Kulissen gehörig. Der Chef der Freien Wähler (FW) will sich als einziges Kabinettsmitglied im bayerischen Landtag partout nicht gegen Corona impfen lassen und erweckt mehr und mehr den Anschein, ins Lager der Corona-Skeptiker gewechselt zu sein. Von der guten Zusammenarbeit
in der Koalition aus CSU und FW scheint nichts mehr vorhanden.
Im Deutschlandfunk zog Aiwanger so ziemlich alle Register, um sich als Gegner der Corona-Politik zu platzieren. So sprach er von einer „Jagd“auf Ungeimpfte. Er wendet sich gegen die „Einheitsspritze für alle“und sieht sich als „Vorbild für die Verteidigung selbstverständlicher Bürgerrechte“. Weiter beklagt Aiwanger, er werde „als Werbeträger“zur Impfung bedrängt, dies erwarte das „politische Establishment“. Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, kontert: Aiwanger glaube, „sich bei rechten Gruppen und Querdenkern anbiedern zu können“, damit verlasse er „die bürgerliche Mitte und nimmt am Ende selbst Schaden“.
Die beiden – der Ministerpräsident und sein Stellvertreter – werden keine Freunde mehr. Das Verhältnis scheint irreparabel zerrüttet zu sein. Schon seit Beginn der Pandemie schießt Aiwanger quer. Werden von Söder schärfere Maßnahmen verhängt, verlangt er reflexhaft Lockerungen. Bremst Söder, will der Niederbayer Gas geben.
Nach seinen jüngsten Äußerungen hätte Söder ihn eigentlich aus dem Kabinett entlassen müssen. Doch der Streit kommt zur Unzeit. Aiwanger arbeitet daran, in acht Wochen die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und in den Bundestag
zu kommen. Er sieht Wählerpotenzial bei Impfskeptikern, die zur AfD tendieren. Gerade weil die Wahl ansteht, kann Söder aber in Bayern jetzt nicht das Regierungsbündnis platzen lassen.
Gegen Aiwanger stellen sich nun auch Teile der Wirtschaft. So kritisiert der Bayern-Ableger des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft in einer Mitteilung: „Aiwangers Kampagne steht nicht nur in krassem Widerspruch zu allen medizinischen Erkenntnissen.“Sie ignoriere auch „völlig die wirtschaftlichen Gefahren einer neuen Verschärfung der Corona-Krise“. Aiwanger habe es auf die „Zielgruppe der Impfgegner und -skeptiker“abgesehen. Laut einer Blitzumfrage sprechen sich derzeit mehr als die Hälfte der Mittelständler sogar für eine Impfpflicht aus, wenn so ein neuer Lockdown zu vermeiden sei.
Doch der oberste Freie Wähler, dem die Partei ihre Existenz verdankt, scheint nicht mehr einzufangen zu sein. Auf kommunaler Ebene gibt es einigen Protest gegen seine Impf-Positionierung. Aus dem FW-Establishment ist allerdings nur wenig bis nichts mehr zu dem Thema zu hören. Fraktionschef Florian Streibl musste sich vor einiger Zeit ziemlich winden: Impfen ja, aber kein Zwang. Und Kultusminister Michael Piazolo, als Politik-Professor ein Mann der Wissenschaft, bleibt stumm bezüglich des Vorsitzenden. Zum Ferienbeginn im Freistaat appellierte er aber in einem Schreiben an die Eltern von Schulkindern, sich impfen zu lassen. Denn: „Impfungen sind das wirksamste Mittel gegen das Coronavirus.“