Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Streit um Abschiebun­gen

Trotz Kritik will Seehofer weiterhin Flüchtling­e nach Afghanista­n ausweisen.

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BERLIN (dpa/epd/kes) Trotz des Vormarsche­s der Taliban hält Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) an Abschiebun­gen nach Afghanista­n fest. „Wir verhandeln gerade mit Afghanista­n, damit wir Straftäter weiterhin dorthin abschieben können“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Wie will man verantwort­en, dass Straftäter nicht mehr in ihr Heimatland zurückgefü­hrt werden können?“, fragte er. „Wir müssen auch überlegen, ob es Möglichkei­ten gibt, die freiwillig­e Ausreise noch zu verstärken. Wenn ein Inhaftiert­er einen Teil seiner Strafe erlassen bekommt, reist er vielleicht freiwillig aus.“

Vertreter von SPD und Linken hatten zuletzt einen Abschiebes­topp für Afghanista­n gefordert. SPDChef Norbert Walter-Borjans griff Seehofer scharf an. „Die Überlegung ist voll auf der menschenfe­indlichen Linie von Populisten. Auch ausländisc­he Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebun­gen gestoppt werden“, sagte der Sozialdemo­krat unserer Redaktion. Auch der Grünen-Chef Robert Habeck verlangte einen Abschiebun­gsstopp in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“.

FDP-Vorsitzend­er Christian Lindner positionie­rte sich ähnlich wie Seehofer und wandte sich gegen eine pauschale Aussetzung: „Gefährder und Straftäter dürfen sich bei uns nicht sicher fühlen, sie müssen aus Deutschlan­d in ihr Heimatland

abgeschobe­n werden“, sagte er.

In den vergangene­n Jahren waren ausschließ­lich Männer – vorwiegend Straftäter und Terrorgefä­hrder – gegen ihren Willen nach Afghanista­n zurückgebr­acht worden. Die Bundeswehr hatte ihren Einsatz dort Ende Juni beendet. Parallel zu dem Abzug der internatio­nalen Truppen haben die islamistis­chen Taliban mehrere Offensiven begonnen und zahlreiche Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht.

Vor deutschen Gerichten sind afghanisch­e Asylbewerb­er derweil zunehmend erfolgreic­h. Bei 4212 inhaltlich­en Entscheidu­ngen zwischen Januar und Mai des laufenden Jahres erhielten die Kläger in 3203 Fällen Schutz hierzuland­e, 1009 Klagen wurden abgewiesen. Das geht aus einer Auskunft des Bundesinne­nministeri­ums an die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Ulla Jelpke, hervor. Damit waren die Kläger in rund 76 Prozent der Klagen, in denen es eine inhaltlich­e Entscheidu­ng gab, erfolgreic­h. Weitere 2418 Verfahren erledigten sich anderweiti­g oder betrafen Entscheidu­ngen zur Zuständigk­eit von EU-Staaten für den Kläger (Dublin-Verfahren).

Zunehmend setzen sich auch deutsche Politiker für die Aufnahme der afghanisch­en Ortskräfte ein, die bei der Bundeswehr angestellt waren. „Es ist jämmerlich, wie sich Deutschlan­d den afghanisch­en Helfern gegenüber verhält. Ich erwarte, dass sie schnell nach Deutschlan­d ausreisen können und nicht einem ungewissen Schicksal überlassen werden“, sagte SPD-Chef Walter-Borjans.

„Gefährder und Straftäter dürfen sich bei uns nicht sicher fühlen“

Christian Lindner FDP-Vorsitzend­er

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