Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
George Gershwin in Klavier-Arrangements
Klassik Ja, ist das wirklich Klassik? Oder ist es Jazz? Oder etwas dazwischen?
Kein Zweifel herrscht, dass ganz normale Sinfonieorchester die „Rhapsody in blue“wie selbstverständlich im Programm haben und dass unsere Opernhäuser „Porgy und Bess“aufführen. Doch es hilft enorm, wenn man auch als klassischer Musiker weiß, was eine „Ghost Note“ist (ganz leise gespielter Ton zur Betonung des Groove) oder eine ternäre Rhythmik (triolisch, wie im Swing). Bei George Gershwin ist das Beste aus beiden Welten versammelt, der große Wundermann erfand ja Songs, die man sich bei den Salzburger Festspielen ebenso vorstellen kann wie im alten New Yorker „Village Gate“oder in der Düsseldorfer „Jazz-Schmiede“.
Nun gibt es eine Platte, die noch weitere Räume öffnet. Der 1946 in London geborene Komponist, Pianist und Musikpädagoge Michael Finnissy hat 22 Gershwin-Songs für Klavier solo bearbeitet. Wer sie hört, der bemerkt bald: Der Arrangeur ist ein Chamäleon. Er kennt sich aus in der ganz neuen Musik, weil er solche Musik als Pianist selbst spielt (etwa bei den Donaueschinger Musiktagen). Von 1990 bis 1998 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik.
Finnissy kennt sich aber auch im Jazz aus, und so hat er seine Klangsprache, die dem sogenannten Komplexismus zuzuordnen ist, gleichsam am Objekt Gershwin amalgamiert. Das klingt hier sehr wild, herrlich ungestüm, dort zerbrechlich. Vor allem wirkt es wie ein Paraderitt durch die Klaviergeschichte der Moderne. Manches hätte auch Skrjabin geschrieben haben können, manches Evans, manches Monk, manches Sorabji. Es ist faszinierend, wie Standards (etwa „Embraceable You“oder „Love Is Here To Stay“) in neuem Gewand erscheinen. Lukas Huisman hat nun für das Label Piano Classics diese 22 Gershwin-Arrangements aus Finnissys Feder aufgenommen. Eine großartige Produktion. Wer Gershwin liebt, sollte hier zugreifen. Wolfram Goertz