Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Neue Türme im Klanghimmel
Die Band Giant Rooks ist längst über die Grenzen ihrer Heimatstadt Hamm hinaus bekannt. Wie schafften die fünf Musiker den Sprung auf die internationale Bühne, und welche Geschichte verbirgt sich hinter ihren „Rookery Live Tapes“?
HAMM 4:36 Minuten – länger brauchen die Giant Rooks nicht, um eine komplette Klangwelt zu konstruieren. Leicht hallende Schlagzeugschläge schaffen das grundsolide Fundament, sanfte Gitarren-, Synthesizer- und Klavierklänge wehen darüber hinweg. Die warme und kräftige Stimme von Sänger Frederik Rabe hebt sich von der dichten Tonkulisse ab. Sie nimmt den Zuhörer mit auf eine Reise, die Abenteuer verspricht und gleichzeitig vertraut wirkt. Sich im Lied „Bright Lies“und dem himmelhohen Sound zu verlieren, ist denkbar einfach. Alle Elemente sind aufeinander abgestimmt, fügen sich nahtlos zusammen.
Diese klangliche Präzision prägt den gesamten Stil der in Hamm gegründeten Band, deren Name sich frei als „Riesige Türme“übersetzen lässt. Bereits ihre erste Veröffentlichung „The Times Are Bursting the Lines“klang 2015 keineswegs nach einer Schülerband in der kreativen Findungsphase. Die fünf Musiker verfolgen konsequent ihre künstlerische Idee. Am Wichtigsten seien „Soul und Vibe“, erzählen Rabe und Gitarrist Finn Schwieters. Ihr Vibe, also die Stimmung der Lieder, lässt sich gut als eine optimistische Melancholie beschreiben, die von treibenden Grooves und eingängigen Melodien getragen wird.
Auf popmusikalische Klischees verzichtet die Band zugunsten klanglicher Tiefe. Die Songs bleiben dennoch zugänglich, verlieren sich nie in künstlerischer Komplexität. Auch auf textlicher Ebene: Stets lassen die Giant Rooks Interpretationsspielraum und schlagen musikalische Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. „Ich lasse mich gerne von Songwritern wie Bob Dylan inspirieren“, erzählt Schwieters.
Gleichzeitig saugen er und die anderen vier „Rooks“moderne Musikkreationen auf, hören bei Künstlern wie der britischen Sängerin Jorja Smith oder den Crossover-Rappern
Brockhampton ganz genau hin. Die Jungs lieben Musik – das zeigt sich in ihren Covern und wenn sie mit Begeisterung und viel Respekt von ihren aktuellen Einflüssen erzählen. Jüngst haben sie selbst Genregrenzen überschritten und mit dem Cloud-Rapper Rin einen gemeinsamen Song veröffentlicht.
Dank der Mischung aus künstlerischer Qualität, Zugänglichkeit und Aktualität wächst die Fangemeinde der Band stetig. Der wohl beste Beweis dafür, dass die Giant Rooks auf dem richtigen Weg sind:
Auch im Ausland werden die Fünf immer beliebter. Den Schritt auf die internationale Bühne schaffen nur die wenigsten deutschen Bands, schließlich ist der Musikmarkt riesig und wird von kontinuierlich produzierenden Talentschmieden in den USA, Südkorea oder England geflutet. Auf der britischen Insel kommen die Giant Rooks besonders gut an, sammelten dort denkwürdige Erfahrungen. „In Manchester zum Beispiel haben die Leute nicht nur die Texte, sondern sogar Gitarren- und Bassmelodien mitgesungen“, erinnert sich Sänger Rabe mit einem breiten Grinsen zurück.
Auf solche energiegeladenen Augenblicke musste die Band in den vergangenen Monaten gezwungenermaßen verzichten. Das erste Dreivierteljahr in der Corona-Pandemie habe man sich noch mit der kreativen Arbeit und der Veröffentlichung des ersten Albums „Rookery“ablenken können. „Anfang diesen Jahres hat es mich dann aber schon hart getroffen, vor allem als mir klar wurde: Es wird wieder keinen richtigen Festivalsommer geben“, erzählt Rabe. Auch die erste Tour der Band durch die USA mit Milky Chance, eine der wenigen deutschen Bands, die sich in den Staaten etablieren konnte, wurde verschoben.
Die Rooks mussten umdenken. Statt die Album-Veröffentlichung gemeinsam mit den Fans bei Live-Konzerten zu feiern, verlagerten sie ihre Auftritte in die digitale Welt. Das sei zwar kein wirklicher Ersatz für analoge Auftrittserlebnisse gewesen, aber habe auch Vorteile gebracht. „Durch die Zoom-Konzerte hatten wir die Möglichkeit, für Fans überall auf der Welt zu spielen“, berichtet Gitarrist Schwieters. „Das war schon etwas ganz Besonderes.“
Die Band beschloss, die bei den Vorbereitungen entstandenen Live-Versionen ihrer Lieder erneut aufzunehmen und als CD zu veröffentlichen. Die „Rookery Live Tapes“sind dabei weit mehr Liveaufnahmen bereits bekannten Bandmaterials. So wurde etwa das Lied „Bright Lies“um instrumentale Details ergänzt. „What I know is all Quicksand“lässt den Hörer in neue atmosphärische Passagen eintauchen. In jedem Ton steckt ebenso musikalisches Können wie Seele. Die Aufnahmen wecken augenblicklich die Sehnsucht, mit hunderten Mithörern vor der Bühne zu stehen, gemeinsam im Takt die Alltagssorgen abzuschütteln und aus voller Kehle mitzusingen. Erinnerungen an eine gefühlt längst vergangene Zeit, die hoffentlich bald zurückkommt.