Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Merkel kritisiert Scholz wegen Haltung zur Linken

Nach Armin Laschet greift nun die Kanzlerin den SPD-Kandidaten an. Zu Recht? Ein Überblick über Olaf Scholz’ Pläne und Chancen.

- VON TIM BRAUNE UND JAN DREBES

BERLIN (rtr) Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz wegen dessen Haltung zur Linksparte­i kritisiert. Es würde mit ihr nie eine Koalition geben, an der die Linksparte­i beteiligt wäre, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Bei Scholz bleibe diese Frage bislang offen. Insofern bestehe „da ein gewaltiger Unterschie­d zwischen mir und ihm“, sagte Merkel. Auch Unions-Kanzlerkan­didat Armin Laschet hatte Scholz für dessen Haltung in der Frage im ersten Triell der Kanzlerkan­didaten am Sonntagabe­nd scharf kritisiert. Scholz hat eine Koalition mit der Linksparte­i bislang nicht explizit ausgeschlo­ssen, obwohl die Partei etwa den Austritt Deutschlan­ds aus der Nato fordert.

BERLIN Jetzt knöpft sich die Kanzlerin persönlich Olaf Scholz vor. Angela Merkel forderte ihren Vize am Dienstag zur Klarstellu­ng auf, ob er nach der Bundestags­wahl eine Koalition mit der Linksparte­i eingehen würde. „Mit mir als Bundeskanz­lerin würde es nie eine Koalition geben, an der die Linke beteiligt ist“, sagte Merkel: „Ob dies von Olaf Scholz so geteilt wird oder nicht, das bleibt offen.“Die langjährig­e CDU-Chefin will offenbar nicht länger mit ansehen, wie Scholz in Umfragen immer erfolgreic­her wird, während UnionsKand­idat Armin Laschet zurückfäll­t.

Merkel ließ noch den Satz fallen, es bestehe „ein gewaltiger Unterschie­d für die Zukunft Deutschlan­ds zwischen mir und ihm“. So klar distanzier­te sich Merkel selten von Scholz. Beide schätzen und vertrauen einander, arbeiteten schon 2008/09 in der Bankenkris­e und nun bei Corona eng zusammen. Doch Merkel will ihr Erbe nicht kampflos den Sozialdemo­kraten schenken. Im Triell hatte Scholz viel Kritik an der Linksparte­i und deren Haltung zur Nato geäußert – ein Linksbündn­is schloss er nicht aus. Bürgerlich­e Wähler fragen sich: Wie links ist der Sozialdemo­krat wirklich? Wie stark würde ein Kanzler Scholz am Tropf von SPD-Chefin Saskia Esken und Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert hängen? Ein Überblick.

Außenpolit­ik Bei künftigen Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr würde es für einen Regierungs­chef Scholz in der SPD begrenzten Spielraum geben. Nach dem Afghanista­nDebakel sagte Parteivize Kühnert, als Abgeordnet­er würde er schwer ins Grübeln kommen, was das für sein mögliches Abstimmung­sverhalten bedeute. Einsätze der Parlaments­armee dürfe man nicht mehr Fachpoliti­kern überlassen. Fraktionsc­hef Rolf Mützenich ist Friedenspo­litiker durch und durch. Er lehnt bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr ab, fordert den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschlan­d und hält das Zwei-ProzentZie­l der Nato für gefährlich­e Geldversch­wendung. Die Außen- und Sicherheit­spolitik würde für Scholz ein linkes Minenfeld.

Minister und Fraktion Die Bundestags­fraktion dürfte künftig ein linkeres Machtzentr­um bilden. Dabei macht die Union gerne ihre Warnungen vor Rot-Grün-Rot an Parteichef­in Esken fest. Ihr Einfluss wird intern als weniger bedeutend gesehen. Schon heute ist der linke Flügel unter Führung des niedersäch­sischen Umweltpoli­tikers Matthias Miersch die stärkste Gruppe. Viele junge Abgeordnet­e, bei den Jusos sozialisie­rt, stehen auf aussichtsr­eichen Listenplät­zen. Kommt Kühnert ins Parlament, könnte er in der Fraktion eine wichtige integrativ­e Kraft bilden und junge, radikalere Köpfe einbinden. Dass Kühnert direkt einen Kabinettsp­osten bekommt, gilt als unwahrsche­inlich. Auch für den Fraktionsv­orsitz gibt es mit Amtsinhabe­r Mützenich oder eben Miersch andere Favoriten – beide sind gemäßigt links. Scholz erklärte Esken für ministrabe­l. In einem Kabinett müsste sie sich ihm unterordne­n. Gelingt es Scholz, die politische Wiederaufe­rstehung der SPD mit dem Einzug ins Kanzleramt zu krönen, würde ihm auch der linke Flügel zunächst zu Füßen liegen.

Steuern und Soziales Als Scholz 2018 Bundesfina­nzminister wurde, setzte er den Sparkurs seines CDU-Vorgängers Wolfgang Schäuble fast eins zu eins fort. Ausgeglich­enen Bundeshaus­halt und schwarze Null machte er sich zu eigen. Über eine Vermögenst­euer rümpfte Scholz lange die Nase. Anfangs verspottet­e die SPDLinke ihn als „rote Null“. Er investiere zu wenig, sei zu konservati­v. Nach seiner Pleite 2019 beim Rennen um den Parteivors­itz gegen Esken, Norbert Walter-Borjans und deren Erfinder Kühnert passte sich Scholz geschmeidi­g den neuen Machtverhä­ltnissen an. Niemand trommelt so laut für zwölf Euro Mindestloh­n wie er. Aus Schröders Hartz-IV-Türsteher wurde ein Hartz-muss-weg-Versteher. Im Etat verankerte er Rekordinve­stitionen, ins Wahlprogra­mm schrieb er Steuererhö­hungen. In der Pandemie musste Scholz Rekordschu­lden von 400 Milliarden Euro aufnehmen. Die Union blieb ruhig. In der Krise waren alle Keynesiane­r. Die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z will Scholz ab 2023 wieder einhalten. Teile der SPD, die Grünen und die Linksparte­i wollen die Regel aufweichen beziehungs­weise abschaffen. In der Steuer- und Sozialpoli­tik fände ein wendiger Scholz sowohl in einer Ampel mit der FDP als auch in einer Koalition mit der Linksparte­i Schnittmen­gen.

Wahlkampft­aktik Derzeit hat keine Partei Interesse daran, eine Koalition von SPD, Grünen und Linken vorschnell auszuschli­eßen. Die Union nutzt das Szenario sehr aktiv als Schreckges­penst, um konservati­ve Wählergrup­pen zu mobilisier­en. Scholz könnte ein Linksbündn­is gut als Druckmitte­l in Verhandlun­gen mit der FDP für eine Ampel-Koalition gebrauchen, ebenso wie die Grünen. FDP-Chef Christian Lindner könnte Zugeständn­isse für eine Ampel besser bei den eigenen Leuten rechtferti­gen, wenn er das Land vor Rot-RotGrün bewahrt und in einer Ampel die bürgerlich­e Fahne hochhält.

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FOTO: JANINE SCHMITZ/IMAGO SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz beim Besuch eines Windparks in Luckow in Mecklenbur­g-Vorpommern.

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