Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Reden gegen die Skepsis
Ignorieren oder überzeugen – was tun mit Menschen, die sich nicht impfen lassen? Warum das Thema in Freundeskreis und Familie eine Gratwanderung sein kann und welche Strategien helfen können.
Es ist zur Gretchenfrage der Pandemie geworden: Ganz gleich ob Rückkehr an den Arbeitsplatz oder Einladung zur nächsten Geburtstagsfeier – das Thema Impfen bestimmt den Alltag. Zum Glück, könnte man meinen, schließlich war im vergangenen Sommer noch völlig unklar, ob und wann es einen Impfstoff gegen das neuartige Virus geben wird.
Die Euphorie über die wirksamste Waffe im Kampf gegen Corona ist längst gewichen – zunächst der Diskussion über die möglichst faire Verteilung des Stoffes. Inzwischen streiten Teile der Gesellschaft nicht mehr um, sondern über die Impfung gegen Covid-19 an sich. Deutschland steht an einem Punkt, an dem allen Menschen ein Impfangebot gemacht werden konnte, eingeschlossen Kindern ab zwölf Jahren. Der Stoff ist da, die Impfung kostenlos, einfach zu bekommen, mit geringen Nebenwirkungen und mit Erleichterungen verbunden. Trotzdem sinkt das Impftempo. Aber wie umgehen mit Menschen im ganz persönlichen Umfeld, die – zumindest bislang – nicht geimpft sind? Was kann helfen, Beziehungen mit Freunden und Familienmitgliedern nicht zu gefährden? Und wo sind Grenzen?
Das Thema gänzlich zu meiden, ist eine rigorose, aber auch ignorante Position. Zum einen, weil eine demokratische Gesellschaft nicht ohne Debatte und Austausch funktioniert. Zum anderen, weil freundschaftliche und familiäre Beziehungen von Neugier und Offenheit leben; ein Gespräch oder die Frage nach dem Impfstatus sollte immer möglich sein. Patrick Trotzke, Professor für Psychologie an der IU Internationalen Hochschule, verweist zudem auf eine Reihe von Studien, die zeigen, dass die Akzeptanz von Impfungen entscheidend von der Einstellung naher Familienangehöriger, sozialer Kontakte oder Haus- und Kinderärzten abhängt. Wo der Einfluss der Politik endet, beginnt also die Verantwortung jedes einzelnen im
Kampf gegen die Impfmüdigkeit.
Wichtig dabei sei die Unterscheidung zwischen Impfgegnern und Impfskeptikern, sagt Trotzke: „Impfskeptiker lehnen Impfungen nicht prinzipiell ab, sondern vertreten Ansichten, was den Zeitpunkt, die Impfstrategie, die Wirksamkeit, die Sicherheit und die Nebenwirkungen von Impfstoffen betrifft.“Impfgegner misstrauten der Gesellschaft und argumentierten irrational oder meist unwissenschaftlich.
Wie groß welche Gruppe ist, lässt sich schwer sagen. Manche Experten schätzen den Anteil der strikten Impfgegner auf drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, manche wagen überhaupt keine Prognose. Die andere Gruppe der Ungeimpften umfasst einen weit größeren, diffuseren Teil der Gesellschaft: darunter die Misstrauischen, die aus Unsicherheit zögern, die Sorglosen, die die Risiken unterschätzen, die Gestressten, die Impfbarrieren im Alltag abhalten, oder die „Trittbrettfahrer“, die die Impfung „aller anderen“für ausreichend halten. Von all diesen Menschen geben allerdings nur zehn Prozent an, sich auf gar keinen Fall impfen zu lassen. Das ist das Ergebnis der aktuellen Cosmo-Studie, mit der die Universität Erfurt gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht, welche Gründe die Impfentscheidung beeinflussen.
Sind alle anderen Menschen also von der Impfung noch zu überzeugen? Experten geben zu bedenken, dass das nicht das Ziel sein sollte, auch weil es beim Impfen keine hundertprozentig richtige oder falsche Entscheidung gibt. „Sich einzumischen ist grundsätzlich ein guter Weg“, sagt Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg. „Sich um Freunde zu kümmern, heißt aber nicht, sie zwingend von etwas zu überzeugen.“
Bei einem Gespräch über das Thema Impfung seien Empathie und Wertschätzung wichtig. Es kann also nutzen, sich einzufühlen und zu überlegen: Warum handelt mein Gegenüber so oder so? Warum habe ich mich impfen lassen? Welche Schwächen gibt es auch in der eigenen Argumentation? Hinzukommt ein Faktor, der in der Psychologie als Reaktanz bekannt sei: Fallen Handlungsalternativen weg, wächst das Begehren danach umso mehr. Die Folge ist dann oft trotziges Verhalten. Wird Ungeimpften etwa der Gang ins Stadion verwehrt, führt das nicht zwingend zu einer höheren Impfquote oder -bereitschaft. Psychologisch betrachtet kann es im Einzelfall eher das Gegenteil bewirken – weil Einschränkungen oft als Einschnitt in die Entscheidungsfreiheit aufgefasst werden.
Wer im persönlichen Gespräch mit Nachteilen für Ungeimpfte argumentiert, kann ähnliches erleben. „Man sollte unterschiedliche Meinungen gelten lassen und Differenzen aushalten“, rät auch Marius Raab vom für Psychologie-Lehrstuhl der Universität Bamberg. Impfgegner und -skeptiker würden schließlich nicht als solche geboren, ihre Motivationen seien ganz verschieden. Manche misstrauten der Pharmaindustrie, weil sie die Abläufe als intransparent empfänden. Andere misstrauten dem Gesundheitssystem und seien eher der Alternativmedizin zugewandt. „Wichtig ist, Geimpfte und Ungeimpfte nicht in Lager einzuteilen und sich nicht moralisch oder intellektuell überlegen zu geben.“
Einige konkrete Gesprächsstrategien mit impfkritischen Menschen nennt Fachkollege Trotzke: Nicht warten, bis sich Fake News und Verschwörungsideologien verfestigt haben, möglichst früh ins Gespräch kommen. Geduld haben, die Gefühlswelt des Gegenübers verstehen und offene Fragen stellen wie: „Wie kommst Du zu dem Schluss, dass der Impfstoff nicht sicher ist?“Die Vorschläge des Psychologen sind nur ein Weg, mit dem Phänomen der Impfskepsis umzugehen. Sinnvoll ist aber auf jeden Fall, an einem Punkt anzuknüpfen, der unstrittig ist und Hilfe anzubieten bei der Recherche von Informationen.
Dass eine konfrontative, überhebliche und moralisierende Haltung im zwischenmenschlichen Bereich immer mehr schadet als nutzt, sollte klar sein. Und doch fällt es schwer, nicht emotional und impulsiv zu werden. Der kühle Kopf denkt besser als der hitzige, heißt es. Dass die freie Entscheidung Einzelner am Ende gegen eine Impfung ausfällt, sollte in jedem Fall akzeptiert werden.
„Wichtig ist, Geimpfte und Ungeimpfte nicht in Lager einzuteilen“
Marius Raab Universität Bamberg