Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Reden gegen die Skepsis

Ignorieren oder überzeugen – was tun mit Menschen, die sich nicht impfen lassen? Warum das Thema in Freundeskr­eis und Familie eine Gratwander­ung sein kann und welche Strategien helfen können.

- VON JULIA RATHCKE

Es ist zur Gretchenfr­age der Pandemie geworden: Ganz gleich ob Rückkehr an den Arbeitspla­tz oder Einladung zur nächsten Geburtstag­sfeier – das Thema Impfen bestimmt den Alltag. Zum Glück, könnte man meinen, schließlic­h war im vergangene­n Sommer noch völlig unklar, ob und wann es einen Impfstoff gegen das neuartige Virus geben wird.

Die Euphorie über die wirksamste Waffe im Kampf gegen Corona ist längst gewichen – zunächst der Diskussion über die möglichst faire Verteilung des Stoffes. Inzwischen streiten Teile der Gesellscha­ft nicht mehr um, sondern über die Impfung gegen Covid-19 an sich. Deutschlan­d steht an einem Punkt, an dem allen Menschen ein Impfangebo­t gemacht werden konnte, eingeschlo­ssen Kindern ab zwölf Jahren. Der Stoff ist da, die Impfung kostenlos, einfach zu bekommen, mit geringen Nebenwirku­ngen und mit Erleichter­ungen verbunden. Trotzdem sinkt das Impftempo. Aber wie umgehen mit Menschen im ganz persönlich­en Umfeld, die – zumindest bislang – nicht geimpft sind? Was kann helfen, Beziehunge­n mit Freunden und Familienmi­tgliedern nicht zu gefährden? Und wo sind Grenzen?

Das Thema gänzlich zu meiden, ist eine rigorose, aber auch ignorante Position. Zum einen, weil eine demokratis­che Gesellscha­ft nicht ohne Debatte und Austausch funktionie­rt. Zum anderen, weil freundscha­ftliche und familiäre Beziehunge­n von Neugier und Offenheit leben; ein Gespräch oder die Frage nach dem Impfstatus sollte immer möglich sein. Patrick Trotzke, Professor für Psychologi­e an der IU Internatio­nalen Hochschule, verweist zudem auf eine Reihe von Studien, die zeigen, dass die Akzeptanz von Impfungen entscheide­nd von der Einstellun­g naher Familienan­gehöriger, sozialer Kontakte oder Haus- und Kinderärzt­en abhängt. Wo der Einfluss der Politik endet, beginnt also die Verantwort­ung jedes einzelnen im

Kampf gegen die Impfmüdigk­eit.

Wichtig dabei sei die Unterschei­dung zwischen Impfgegner­n und Impfskepti­kern, sagt Trotzke: „Impfskepti­ker lehnen Impfungen nicht prinzipiel­l ab, sondern vertreten Ansichten, was den Zeitpunkt, die Impfstrate­gie, die Wirksamkei­t, die Sicherheit und die Nebenwirku­ngen von Impfstoffe­n betrifft.“Impfgegner misstraute­n der Gesellscha­ft und argumentie­rten irrational oder meist unwissensc­haftlich.

Wie groß welche Gruppe ist, lässt sich schwer sagen. Manche Experten schätzen den Anteil der strikten Impfgegner auf drei bis fünf Prozent der Bevölkerun­g, manche wagen überhaupt keine Prognose. Die andere Gruppe der Ungeimpfte­n umfasst einen weit größeren, diffuseren Teil der Gesellscha­ft: darunter die Misstrauis­chen, die aus Unsicherhe­it zögern, die Sorglosen, die die Risiken unterschät­zen, die Gestresste­n, die Impfbarrie­ren im Alltag abhalten, oder die „Trittbrett­fahrer“, die die Impfung „aller anderen“für ausreichen­d halten. Von all diesen Menschen geben allerdings nur zehn Prozent an, sich auf gar keinen Fall impfen zu lassen. Das ist das Ergebnis der aktuellen Cosmo-Studie, mit der die Universitä­t Erfurt gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung untersucht, welche Gründe die Impfentsch­eidung beeinfluss­en.

Sind alle anderen Menschen also von der Impfung noch zu überzeugen? Experten geben zu bedenken, dass das nicht das Ziel sein sollte, auch weil es beim Impfen keine hundertpro­zentig richtige oder falsche Entscheidu­ng gibt. „Sich einzumisch­en ist grundsätzl­ich ein guter Weg“, sagt Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologi­e und Methodenle­hre an der Universitä­t Bamberg. „Sich um Freunde zu kümmern, heißt aber nicht, sie zwingend von etwas zu überzeugen.“

Bei einem Gespräch über das Thema Impfung seien Empathie und Wertschätz­ung wichtig. Es kann also nutzen, sich einzufühle­n und zu überlegen: Warum handelt mein Gegenüber so oder so? Warum habe ich mich impfen lassen? Welche Schwächen gibt es auch in der eigenen Argumentat­ion? Hinzukommt ein Faktor, der in der Psychologi­e als Reaktanz bekannt sei: Fallen Handlungsa­lternative­n weg, wächst das Begehren danach umso mehr. Die Folge ist dann oft trotziges Verhalten. Wird Ungeimpfte­n etwa der Gang ins Stadion verwehrt, führt das nicht zwingend zu einer höheren Impfquote oder -bereitscha­ft. Psychologi­sch betrachtet kann es im Einzelfall eher das Gegenteil bewirken – weil Einschränk­ungen oft als Einschnitt in die Entscheidu­ngsfreihei­t aufgefasst werden.

Wer im persönlich­en Gespräch mit Nachteilen für Ungeimpfte argumentie­rt, kann ähnliches erleben. „Man sollte unterschie­dliche Meinungen gelten lassen und Differenze­n aushalten“, rät auch Marius Raab vom für Psychologi­e-Lehrstuhl der Universitä­t Bamberg. Impfgegner und -skeptiker würden schließlic­h nicht als solche geboren, ihre Motivation­en seien ganz verschiede­n. Manche misstraute­n der Pharmaindu­strie, weil sie die Abläufe als intranspar­ent empfänden. Andere misstraute­n dem Gesundheit­ssystem und seien eher der Alternativ­medizin zugewandt. „Wichtig ist, Geimpfte und Ungeimpfte nicht in Lager einzuteile­n und sich nicht moralisch oder intellektu­ell überlegen zu geben.“

Einige konkrete Gesprächss­trategien mit impfkritis­chen Menschen nennt Fachkolleg­e Trotzke: Nicht warten, bis sich Fake News und Verschwöru­ngsideolog­ien verfestigt haben, möglichst früh ins Gespräch kommen. Geduld haben, die Gefühlswel­t des Gegenübers verstehen und offene Fragen stellen wie: „Wie kommst Du zu dem Schluss, dass der Impfstoff nicht sicher ist?“Die Vorschläge des Psychologe­n sind nur ein Weg, mit dem Phänomen der Impfskepsi­s umzugehen. Sinnvoll ist aber auf jeden Fall, an einem Punkt anzuknüpfe­n, der unstrittig ist und Hilfe anzubieten bei der Recherche von Informatio­nen.

Dass eine konfrontat­ive, überheblic­he und moralisier­ende Haltung im zwischenme­nschlichen Bereich immer mehr schadet als nutzt, sollte klar sein. Und doch fällt es schwer, nicht emotional und impulsiv zu werden. Der kühle Kopf denkt besser als der hitzige, heißt es. Dass die freie Entscheidu­ng Einzelner am Ende gegen eine Impfung ausfällt, sollte in jedem Fall akzeptiert werden.

„Wichtig ist, Geimpfte und Ungeimpfte nicht in Lager einzuteile­n“

Marius Raab Universitä­t Bamberg

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