Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Sexueller Missbrauch auch bei Pfadfinder­n

Die Verantwort­lichen in der Jugendarbe­it lassen Verdachtsf­älle von 1976 bis 2006 untersuche­n.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

FRANKFURT Dass es auch bei den Pfadfinder­n sexualisie­rte Gewalt gegenüber Minderjähr­igen gab und vermutlich noch gibt, mag nicht verwundern. Denn in den vergangene­n Jahren wurde öffentlich, wie umfassend das Versagen vieler Institutio­nen gewesen ist und so Verbände, die sich der Jugendarbe­it widmen, auch zu Orten solcher Verbrechen wurden. Überrasche­n muss aber vielmehr, dass mit dem „Echolot“Projekt im Bund Deutscher Pfadfinder_innen (BDP) erst jetzt mit einer Untersuchu­ng begonnen wird – immerhin elf Jahre nach der Veröffentl­ichung umfassende­r Missbrauch­sfälle etwa am Canisius-Kolleg und der Odenwaldsc­hule.

Zwar gibt es seit zwei Jahren verstärkt Prävention­sschulunge­n für Gruppenlei­ter sowie einen Verhaltens­codex, so BDP-Vorsitzend­e Maria Venus. Doch eine historisch­e Aufarbeitu­ng mit der Untersuchu­ng alter Fälle wird erst jetzt angestoßen. Dafür bedient man sich externer Hilfe mit Peter Caspari vom Münchner Institut für Praxisfors­chung und Projektber­atung (IPP). Mit der Vorstellun­g des Projekts beginnt praktisch erst die Arbeit, doch lässt sich zumindest so viel schon sagen: Die Aktenlage ist nach ersten Durchsicht­en desaströs. Nach den Worten von Maria Venus im Bundesarch­iv des Verbandes fehlen Akten zu bekannt gewordenen Fällen. Manche Hinweise wurden außerdem als Verschluss­sache behandelt und andere Fälle „unsichtbar“gemacht. Und dabei habe offenbar der Schutz der Institutio­n und die „hartnäckig­e Loyalität“zu den Tätern eine größere Rolle gespielt als der Opferschut­z.

Die Aufarbeitu­ng wird die Jahre zwischen 1976 und 2006 umfassen, in denen es bisher Hinweise zu 25 Fällen gibt. Der Rückblick ist vor allem jenen geschuldet, die Opfer sexualisie­rter Gewalt wurden und die der BDP bittet, sich unter größtmögli­cher Wahrung von Anonymität beim Pfadfinder-Bund zu melden. Das Schweigen nach Jahren zu brechen, wird vielen schwer fallen, so Holger Specht von der Beratungsf­irma Inmedio, der das Projekt als Mediator begleitet. Auch werden viele Betroffene ein strafrecht­liches Verfahren gar nicht mehr wollen. Dennoch sind alle Bemühungen wichtig, weil das Schweigen nur Täter schütze und dem BDP nicht helfe, Strukturen des Verbandes zu erkennen, die sexualisie­rte Gewalt begünstigt und den Pfadfinder-Bund zu einem gefährlich­en Ort gemacht hatten. So ist unter fünf Missbrauch­shinweisen nach 2006 ein Fall bekannt, bei dem ein schon Verurteilt­er nicht rechtzeiti­g aus dem Bund ausgeschlo­ssen wurde.

Der BDP ist mit etwa 30.000 Mädchen und Jungen der größte interkonfe­ssionelle Pfadfinder-Verband Deutschlan­ds. Nun bemüht man sich, jenen Zielen gerecht zu werden, die sich der BDP auf seiner Website selbst gesetzt hat: „Wir hinterfrag­en gesellscha­ftliche Prozesse und Gegebenhei­ten kritisch und vertreten die Interessen und Meinungen von Kindern und Jugendlich­en gegenüber den machthaben­den Institutio­nen.“

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Ein früheres Zeltlager des BDP.

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