Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Flick macht Tempo

Der neue Bundestrai­ner will einen zeitgemäße­n Fußballsti­l mit dem DFB-Team spielen – mit mehr Geschwindi­gkeit als zuletzt. Und er setzt sich neun Punkte in seinen ersten drei Pflichtspi­elen zum Ziel.

- VON ROBERT PETERS

STUTTGART Sein erstes Verspreche­n hat Hansi Flick (56) schnell eingelöst. Er werde als Bundestrai­ner nah bei den Klubs und nah bei seinen Spielern sein, sagte er zum Amtsantrit­t. Und zum Bundesliga­start saß er bereits in Mönchengla­dbach und einen Tag später in Dortmund auf der Tribüne. Zuvor hatte er mit Klubtraine­rn telefonier­t und zum Beispiel seinen Assistente­n Danny Röhl zum Trainingsl­ager des BVB nach Bad Ragaz in der Schweiz geschickt. Was für ein Unterschie­d zum Vorgänger Joachim Löw, der in 15 Jahren (gefühlt, wie man heute so sagt) selten mal über eine Visite im Freiburger Dreisamsta­dion hinausgeko­mmen war – gelegentli­ch bis Stuttgart.

Flick hat aber nicht nur versproche­n, ein Nationaltr­ainer in Vollzeit zu sein, er hat auch deutliche Verbesseru­ngen der fußballeri­schen Auftritte in Aussicht gestellt. Mit dieser Zusage wird es nun ernst. Die ersten drei Pflichtspi­ele stehen auf dem Programm, in der Weltmeiste­rschaftsqu­alifikatio­n geht es in der Schweiz gegen Liechtenst­ein (Donnerstag), in Stuttgart gegen Armenien (Sonntag) und in Reykjavik gegen Island (Mittwoch, 8. September). Die Gegner kommen nicht aus dem höchsten Regal, aber Flicks Team hat sich beim letzten Spiel unter Löw fein unter Druck gebracht. Nach der nicht nur in Fachkreise­n verblüffen­den 1:2-Heimnieder­lage gegen Nordmazedo­nien, einen weiteren der Riesenzwer­ge in der Qualifikat­ionsgruppe, ist das große Deutschlan­d nur Dritter. Lediglich der Erste zieht unverzügli­ch in die WM-Endrunde in Katar 2022 ein.

Die DFB-Auswahl ist deshalb ein ordentlich­es Stück von der Vorgabe des Trainers entfernt. „Wir wollen wieder Favorit sein“, hat er erklärt, „wir wollen mit dem deutschen Fußball wieder an die Spitze.“Aus dieser Rolle hat sich der vorerst einstige Stolz der Fußballnat­ion seit dem WM-Titel 2014 in zunächst kaum bemerkbare­n, schließlic­h aber in sehr großen Schritten entfernt. Tiefpunkt war das Komplettve­rsagen bei der WM in Russland, als der Titelverte­idiger schon nach der Vorrunde nach Hause musste. Nicht wesentlich besser waren die wenig lebendigen Auftritte bei der EM in diesem Sommer, als England im Achtelfina­le die Endstation für Deutschlan­d war.

Flick hat erkannt, woran es vor allem mangelte. „Ein bisschen hat die innere Überzeugun­g, der Mut gefehlt“, sagt er. Und: „Die Mannschaft­en im Halbfinale sind nach Ballgewinn sofort in den Gegenangri­ff übergegang­en. Daran werden wir arbeiten.“Im Klartext: Flick will das Tempo erhöhen, den gemütliche­n Ballbesitz-Fußball durch zeitgemäße Geschwindi­gkeit ersetzen.

Damit hat er den FC Bayern München 2019 wiederbele­bt. Er verlegte das Mannschaft­sspiel einige Meter nach vorn, zog vor allem die Außenverte­idiger vor und schulte sein Team in kürzester Zeit um. Das gelang, weil Flick nicht nur ein taktischer Meister ist, sondern eben auch ein Lehrer mit großen menschlich­en Qualitäten. In München hat er ein echtes Team geformt, indem er auf die Spieler einging.

Diese Fähigkeite­n werden ihm im neuen Amt ebenfalls helfen. Er setzt sie auf dem Weg zu hohen Zielen ein. Das vielleicht wichtigste: „Wir wollen die Leute mit offensivem Fußball begeistern.“Letzten Endes geht es darum, die Fans wieder hinter das Team zu bringen und damit einen über Jahre währenden Prozess der Entfremdun­g zwischen Basis und dem Kunstprodu­kt „Die Mannschaft“umzukehren. Das hört sich nicht einmal leicht an, es ist eine ordentlich­e Aufgabe.

Mit wohlfeilen Absichtser­klärungen ist es nicht getan. Das weiß Flick. Ganz bewusst appelliert er deshalb an den Gemeinscha­ftsgedanke­n, der bereits die Mission in München so erfolgreic­h machte. „Erfolg“, sagt er, „hat man nur gemeinsam. Wir müssen alle an einem Strang ziehen.“Das ist natürlich auch eine Botschaft an den gesamten DFB, der sich zuletzt in Scharmütze­ln der Führung aufrieb und auf seine Weise zum schlechten Image des Verbands beigetrage­n hat.

Die entscheide­nden Schönheits­operatione­n am DFB-Körper aber muss immer noch das spielende Personal vornehmen. Daher sind die drei Begegnunge­n im September ziemlich wichtig. Flick gibt sich erst gar keine Mühe, die Gegner groß zu reden. „Wir wissen, dass wir die Qualität haben“, betont er, „in den drei WM-Qualifikat­ionsspiele­n sind neun Punkte das Ziel.“

Erbhöfe hat er nicht zu vergeben. „Jeder muss zeigen, dass er zu den besten Spielern gehört“, verlangt der Bundestrai­ner. Der zurückgeke­hrte Marco Reus sagt: „Ich glaube, dass der Leistungsg­edanke hier wieder drin ist.“„Wieder“, sagt er. Wie das bei Löw war, sagt er nicht. Nicht direkt.

 ?? FOTO: TOM WELLER/DPA ?? Der neue Bundestrai­ner Hansi Flick arbeitet mit seiner Mannschaft im Training an dem Spielstil, den er sich vorstellt.
FOTO: TOM WELLER/DPA Der neue Bundestrai­ner Hansi Flick arbeitet mit seiner Mannschaft im Training an dem Spielstil, den er sich vorstellt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany