Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Flick macht Tempo
Der neue Bundestrainer will einen zeitgemäßen Fußballstil mit dem DFB-Team spielen – mit mehr Geschwindigkeit als zuletzt. Und er setzt sich neun Punkte in seinen ersten drei Pflichtspielen zum Ziel.
STUTTGART Sein erstes Versprechen hat Hansi Flick (56) schnell eingelöst. Er werde als Bundestrainer nah bei den Klubs und nah bei seinen Spielern sein, sagte er zum Amtsantritt. Und zum Bundesligastart saß er bereits in Mönchengladbach und einen Tag später in Dortmund auf der Tribüne. Zuvor hatte er mit Klubtrainern telefoniert und zum Beispiel seinen Assistenten Danny Röhl zum Trainingslager des BVB nach Bad Ragaz in der Schweiz geschickt. Was für ein Unterschied zum Vorgänger Joachim Löw, der in 15 Jahren (gefühlt, wie man heute so sagt) selten mal über eine Visite im Freiburger Dreisamstadion hinausgekommen war – gelegentlich bis Stuttgart.
Flick hat aber nicht nur versprochen, ein Nationaltrainer in Vollzeit zu sein, er hat auch deutliche Verbesserungen der fußballerischen Auftritte in Aussicht gestellt. Mit dieser Zusage wird es nun ernst. Die ersten drei Pflichtspiele stehen auf dem Programm, in der Weltmeisterschaftsqualifikation geht es in der Schweiz gegen Liechtenstein (Donnerstag), in Stuttgart gegen Armenien (Sonntag) und in Reykjavik gegen Island (Mittwoch, 8. September). Die Gegner kommen nicht aus dem höchsten Regal, aber Flicks Team hat sich beim letzten Spiel unter Löw fein unter Druck gebracht. Nach der nicht nur in Fachkreisen verblüffenden 1:2-Heimniederlage gegen Nordmazedonien, einen weiteren der Riesenzwerge in der Qualifikationsgruppe, ist das große Deutschland nur Dritter. Lediglich der Erste zieht unverzüglich in die WM-Endrunde in Katar 2022 ein.
Die DFB-Auswahl ist deshalb ein ordentliches Stück von der Vorgabe des Trainers entfernt. „Wir wollen wieder Favorit sein“, hat er erklärt, „wir wollen mit dem deutschen Fußball wieder an die Spitze.“Aus dieser Rolle hat sich der vorerst einstige Stolz der Fußballnation seit dem WM-Titel 2014 in zunächst kaum bemerkbaren, schließlich aber in sehr großen Schritten entfernt. Tiefpunkt war das Komplettversagen bei der WM in Russland, als der Titelverteidiger schon nach der Vorrunde nach Hause musste. Nicht wesentlich besser waren die wenig lebendigen Auftritte bei der EM in diesem Sommer, als England im Achtelfinale die Endstation für Deutschland war.
Flick hat erkannt, woran es vor allem mangelte. „Ein bisschen hat die innere Überzeugung, der Mut gefehlt“, sagt er. Und: „Die Mannschaften im Halbfinale sind nach Ballgewinn sofort in den Gegenangriff übergegangen. Daran werden wir arbeiten.“Im Klartext: Flick will das Tempo erhöhen, den gemütlichen Ballbesitz-Fußball durch zeitgemäße Geschwindigkeit ersetzen.
Damit hat er den FC Bayern München 2019 wiederbelebt. Er verlegte das Mannschaftsspiel einige Meter nach vorn, zog vor allem die Außenverteidiger vor und schulte sein Team in kürzester Zeit um. Das gelang, weil Flick nicht nur ein taktischer Meister ist, sondern eben auch ein Lehrer mit großen menschlichen Qualitäten. In München hat er ein echtes Team geformt, indem er auf die Spieler einging.
Diese Fähigkeiten werden ihm im neuen Amt ebenfalls helfen. Er setzt sie auf dem Weg zu hohen Zielen ein. Das vielleicht wichtigste: „Wir wollen die Leute mit offensivem Fußball begeistern.“Letzten Endes geht es darum, die Fans wieder hinter das Team zu bringen und damit einen über Jahre währenden Prozess der Entfremdung zwischen Basis und dem Kunstprodukt „Die Mannschaft“umzukehren. Das hört sich nicht einmal leicht an, es ist eine ordentliche Aufgabe.
Mit wohlfeilen Absichtserklärungen ist es nicht getan. Das weiß Flick. Ganz bewusst appelliert er deshalb an den Gemeinschaftsgedanken, der bereits die Mission in München so erfolgreich machte. „Erfolg“, sagt er, „hat man nur gemeinsam. Wir müssen alle an einem Strang ziehen.“Das ist natürlich auch eine Botschaft an den gesamten DFB, der sich zuletzt in Scharmützeln der Führung aufrieb und auf seine Weise zum schlechten Image des Verbands beigetragen hat.
Die entscheidenden Schönheitsoperationen am DFB-Körper aber muss immer noch das spielende Personal vornehmen. Daher sind die drei Begegnungen im September ziemlich wichtig. Flick gibt sich erst gar keine Mühe, die Gegner groß zu reden. „Wir wissen, dass wir die Qualität haben“, betont er, „in den drei WM-Qualifikationsspielen sind neun Punkte das Ziel.“
Erbhöfe hat er nicht zu vergeben. „Jeder muss zeigen, dass er zu den besten Spielern gehört“, verlangt der Bundestrainer. Der zurückgekehrte Marco Reus sagt: „Ich glaube, dass der Leistungsgedanke hier wieder drin ist.“„Wieder“, sagt er. Wie das bei Löw war, sagt er nicht. Nicht direkt.