Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Klimaneutr­alität steht in einem Spannungsf­eld“

Der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r im Forschungs­bereich Internatio­nale Klimapolit­ik am Wuppertal Institut erklärt uns Klimaneutr­alität.

- MARTIN LINDNER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Kreibich, immer mehr Firmen geben sich den Anstrich der Klimaneutr­alität. Was bedeutet das genau?

NICO KREIBICH Die Ziele der Unternehme­n sind höchst unterschie­dlich. Grundsätzl­ich bedeutet Klimaneutr­alität, dass die Aktivitäte­n von Unternehme­n bilanziell keine Auswirkung­en auf das Klima haben. Das heißt, dass Schäden für das Klima, beispielsw­eise verursacht durch den Ausstoß von CO2 bei der Herstellun­g von den Produkten, weitestgeh­end vermieden und reduziert werden. Unvermeidb­are Emissionen werden ausgeglich­en. Zu berücksich­tigen sind in der Bilanz auch die Emissionen, die durch den Ankauf von Rohstoffen anfallen oder die bei der Nutzung der Produkte entstehen.

Gibt es neben den großen Konzernen weltweit auch Beispiele bei uns im Bergischen Land?

KREIBICH Ja, es gibt einige Unternehme­n, die sich Neutralitä­tsziele gesetzt haben. So wirbt die Barmenia beispielsw­eise damit, CO2-neutral zu sein, und Bayer hat sich für das Jahr 2050 ein Neutralitä­tsziel für die gesamte Wertschöpf­ungskette gesetzt.

Was sind die großen Herausford­erungen, vor denen die Unternehme­n dabei stehen?

KREIBICH Die Herausford­erungen sind sehr unterschie­dlich – je nach Größe des Unternehme­ns, Komplexitä­t der Lieferkett­e und Branche. Einige Unternehme­n, beispielsw­eise aus der Informatio­ns- und Technologi­ebranche, können vergleichs­weise einfach und insbesonde­re durch die Umstellung auf Strom aus erneuerbar­en Energien einen großen Schritt in Richtung Klimaneutr­alität gehen. Andere Unternehme­n, deren Produkte oder Dienstleis­tungen enger mit Treibhausg­asemission­en verbunden sind, stehen vor größeren Herausford­erungen, wie die Landwirtsc­haft oder der Flugsektor.

Welche Gefahren bestehen auch darin, wenn Unternehme­n sagen, sie werden klimaneutr­al? KREIBICH Das Konzept der Klimaneutr­alität steht in einem Spannungsf­eld: Auf der einen Seite hat es eine enorme Dynamik in Gang gesetzt, zugleich besteht die Gefahr, dass durch die bloße Festlegung der

Ziele der fälschlich­e Eindruck entsteht, wir hätten die größten Schritte bei der Bewältigun­g der Klimakrise bereits hinter uns. Auch kann die vermeintli­che Klimaneutr­alität von Produkten und Dienstleis­tungen zu Fehlentsch­eidungen bei Konsumente­n führen, wenn beispielsw­eise Ölkonzerne „klimaneutr­ales“Tanken anbieten und somit ein Umstieg auf Elektromob­ilität oder die verstärkte Nutzung öffentlich­er Verkehrsmi­ttel verzögert werden.

Was muss also geschehen? KREIBICH Aus meiner Sicht spielt die Kommunikat­ion hier eine zentrale Rolle: Der Ausdruck „klimaneutr­al“sollte durch weitere Informatio­nen

ergänzt werden, die die Auswirkung­en des Unternehme­ns oder des Produkts auf das Klima vollständi­g offenlegen. Eine stärkere Transparen­z ist auch dringend erforderli­ch, um zu verhindern, dass der Begriff Klimaneutr­alität zur reinen Floskel verkommt, der in der Öffentlich­keit eher mit Greenwashi­ng (Versuch von Firmen, durch Geldspende­n an ökologisch­e Projekte als besonders umweltfreu­ndlich zu gelten, Anm. der Redaktion) als mit ambitionie­rtem unternehme­rischem Klimaschut­z in Verbindung gebracht wird.

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FOTO: WI Nico Kreibich vom Wuppertal Institut.

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