Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Klimaneutralität steht in einem Spannungsfeld“
Der wissenschaftliche Mitarbeiter im Forschungsbereich Internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut erklärt uns Klimaneutralität.
Herr Kreibich, immer mehr Firmen geben sich den Anstrich der Klimaneutralität. Was bedeutet das genau?
NICO KREIBICH Die Ziele der Unternehmen sind höchst unterschiedlich. Grundsätzlich bedeutet Klimaneutralität, dass die Aktivitäten von Unternehmen bilanziell keine Auswirkungen auf das Klima haben. Das heißt, dass Schäden für das Klima, beispielsweise verursacht durch den Ausstoß von CO2 bei der Herstellung von den Produkten, weitestgehend vermieden und reduziert werden. Unvermeidbare Emissionen werden ausgeglichen. Zu berücksichtigen sind in der Bilanz auch die Emissionen, die durch den Ankauf von Rohstoffen anfallen oder die bei der Nutzung der Produkte entstehen.
Gibt es neben den großen Konzernen weltweit auch Beispiele bei uns im Bergischen Land?
KREIBICH Ja, es gibt einige Unternehmen, die sich Neutralitätsziele gesetzt haben. So wirbt die Barmenia beispielsweise damit, CO2-neutral zu sein, und Bayer hat sich für das Jahr 2050 ein Neutralitätsziel für die gesamte Wertschöpfungskette gesetzt.
Was sind die großen Herausforderungen, vor denen die Unternehmen dabei stehen?
KREIBICH Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich – je nach Größe des Unternehmens, Komplexität der Lieferkette und Branche. Einige Unternehmen, beispielsweise aus der Informations- und Technologiebranche, können vergleichsweise einfach und insbesondere durch die Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Energien einen großen Schritt in Richtung Klimaneutralität gehen. Andere Unternehmen, deren Produkte oder Dienstleistungen enger mit Treibhausgasemissionen verbunden sind, stehen vor größeren Herausforderungen, wie die Landwirtschaft oder der Flugsektor.
Welche Gefahren bestehen auch darin, wenn Unternehmen sagen, sie werden klimaneutral? KREIBICH Das Konzept der Klimaneutralität steht in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite hat es eine enorme Dynamik in Gang gesetzt, zugleich besteht die Gefahr, dass durch die bloße Festlegung der
Ziele der fälschliche Eindruck entsteht, wir hätten die größten Schritte bei der Bewältigung der Klimakrise bereits hinter uns. Auch kann die vermeintliche Klimaneutralität von Produkten und Dienstleistungen zu Fehlentscheidungen bei Konsumenten führen, wenn beispielsweise Ölkonzerne „klimaneutrales“Tanken anbieten und somit ein Umstieg auf Elektromobilität oder die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verzögert werden.
Was muss also geschehen? KREIBICH Aus meiner Sicht spielt die Kommunikation hier eine zentrale Rolle: Der Ausdruck „klimaneutral“sollte durch weitere Informationen
ergänzt werden, die die Auswirkungen des Unternehmens oder des Produkts auf das Klima vollständig offenlegen. Eine stärkere Transparenz ist auch dringend erforderlich, um zu verhindern, dass der Begriff Klimaneutralität zur reinen Floskel verkommt, der in der Öffentlichkeit eher mit Greenwashing (Versuch von Firmen, durch Geldspenden an ökologische Projekte als besonders umweltfreundlich zu gelten, Anm. der Redaktion) als mit ambitioniertem unternehmerischem Klimaschutz in Verbindung gebracht wird.