Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Revolutiönchen
In fast neun Jahren als Papst hat Franziskus viele Reformen angestoßen. Nun ist der Pontifex gesundheitlich angeschlagen, wirkt amtsmüde. Gerüchte über seinen bevorstehenden Rücktritt weist er jedoch zurück.
Als Papst Franziskus im Jahr 2013 ins Amt gewählt wurde, sah es nach einem Umsturz in der katholischen Kirche aus. Nun ist der Papst gesundheitlich angeschlagen, und sein Reformkurs gerät ins Stocken.
Die helle, hölzerne Tür links vorne in der Aula „Paul VI.“öffnet sich. Papst Franziskus betritt den großen Saal im Vatikan, der nur etwas mehr als zur Hälfte mit Menschen gefüllt ist. Ein paar Schritte geht er in Richtung Mitte der Bühne, wo sein Sessel und das Mikrofon für die Katechese, seine wöchentliche Bibelinterpretation, aufgestellt sind. Franziskus humpelt etwas, wie immer. Vielleicht liegt es am chronisch eingeklemmten Ischiasnerv. Dann bleibt der Papst kurz stehen und winkt in die Menge. Er ist da. Lebendig, im Amt, und er bewegt sich alleine fort.
Mittwochvormittag, Generalaudienz des Papstes im Vatikan. Selbstverständlich ist das, was wie mittwöchliche Vatikan-Routine aussieht, nicht. Franziskus war in Lebensgefahr. Im Juli, vor und während einer Darmoperation Anfang des Monats. Das hat das Oberhaupt der katholischen Kirche gerade selbst in einem Interview mit dem spanischen Radiosender Cope bestätigt. „Wie geht es Ihnen?“, wollte der Journalist vom Pontifex zu Beginn des Gesprächs vergangene Woche im Vatikan-Gästehaus Santa Marta wissen. „Ich bin noch am Leben“, antwortete Franziskus mit einem Lächeln.
Franziskus wird im kommenden Dezember 85 Jahre alt. Im März wird sich seine Wahl zum Papst zum neunten Mal jähren. Sein Vorgänger Benedikt XVI., der deutsche Joseph Razinger, war im Alter von 85 Jahren zurückgetreten, belastet vom Amt und den Skandalen. Es sollte ein Neuer kommen, der aufräumt und Reformen befördert. Die Kardinäle wählten den Outsider Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, er nannte sich Franziskus. Das war der Beginn der Revolution, auf die viele von der Kirche Enttäuschte hofften. Es blieb ein Revolutiönchen. Fast neun Jahre später verströhmt der ehemalige Außenseiter eine gewisse Schwere, die wohl das Amt und auch das Alter mit sich bringen. Die Frage lautet: Ist Franziskus am Ende angekommen? Manchmal hat man den Eindruck, das so voller Elan begonnene Pontifikat laufe nun langsam aus.
Die am deutlichsten sichtbaren Abnutzungserscheinungen sind physisch. Über die jüngsten Gerüchte, er beschäftige sich mit seinem vorzeitigen Rücktritt, sagte Franziskus nun: „Mir ging das nie durch den Kopf.“Der Papst bezog sich auf die immer häufiger aufkommenden Spekulationen um ein bevorstehendes Konklave, die Papstwahl, die eigentlich erst beim Tod des Pontifex fällig wird. Oder im Fall des Rücktritts wie im Jahr 2013. Vergangene Woche stellte die Mailänder Zeitung „Libero“diese Option angesichts des unklaren Gesundheitszustands des Papstes als wahrscheinlich dar. „Franziskus hat in den vergangenen Wochen, halb scherzhaft, halb im Ernst, zu jemanden gesagt, dass es im kommenden Frühjahr einen neuen Papst geben könnte“, war dort zu lesen. „Immer wenn ein Papst krank ist, gibt es mehr oder weniger heftige Gerüchte um ein Konklave“, sagt Franziskus.
Kommt sein Pontifikat bald zu einem Ende? Der Buchautor und Vatikan-Journalist Marco Politi schreibt von einem „Herbst des Pontifikats“. In Rom wird schon über das Erbe Bergoglios debattiert. Wie effektiv und nachhaltig sind die von Franziskus vorgenommenen Weichenstellungen? Viele Gesten sind
„Immer wenn ein Papst krank ist, gibt es mehr oder weniger heftige Gerüchte um ein Konklave“
Papst Franziskus
in Erinnerung, viele milde Worte wie die über die Frage nach dem Umgang der Kirche mit Homosexualität („Wer bin ich, zu urteilen?“). Es begann mit den Familiensynoden, an deren Ende die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener in Ausnahmefällen zu den Sakramenten stand. Das war eine kleine kopernikanische Wende in der katholischen Kirche, die unter Franziskus vom ewigen Moralisieren abgekommen ist. Er hat den Klimaschutz mit seiner Enzyklika mit dem Titel „Laudato si“auf die Agenda der Kirche gehoben, er hat den Dialog mit dem Islam mit kleinen Schritten voranzubringen versucht. Alles irgendwie besonders und ungenügend zugleich.
Das Jahrhundertthema des sexuellen Missbrauchs in der Kirche ist trotz einiger Fortschritte noch lange nicht gelöst, wie die Vorgänge etwa im Erzbistum Köln nahelegen. Der Papst, der die Synode, also das gemeinsame Fortschreiten der Bischöfe, zu seinem stärksten Machtinstrument erkoren hat, hat den synodalen Weg in Deutschland eigenhändig wieder ausgebremst. Das stößt hierzulande auf, ist aber für das Oberhaupt der weltweiten katholischen Kirche ein Muss, will er das große, schwerfällige Kirchenschiff nicht ins Schisma führen. So scheint es manchmal, Franziskus trete auf der Stelle. Was will er eigentlich?, fragen sich viele. „Prozesse in Gang setzen“, schrieb Franziskus in seiner Programmschrift „Evangelii Gaudium“von 2013.
Die größten Fortschritte hat der Papst wahrscheinlich im Vatikan selbst vorzuweisen. Die Neuordnung der Vatikanfinanzen und der Kampf gegen Korruption tragen Früchte. Demnächst soll die apostolische Verfassung „Praedicate Evangelium- erscheinen, die einige vatikaninterne Veränderungen festschreibt. Und doch sieht sein Erbe auf den ersten Blick nach Stückwerk aus. Wie nachhaltig die von Franziskus eingeleiteten Entwicklungen sein werden, kann wohl erst nach seiner Zeit festgestellt werden.