Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Solidarität wieder spürbar machen
Entscheidend für das soziale Miteinander sind die Bürgertugenden.
Der Countdown läuft: noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl. Die heiße Phase des Wahlkampfs ist in vollem Gange. Die Kandidaten bemühen sich, möglichst keine Fehler zu machen, tummeln sich alle irgendwie in der Mitte und versuchen dennoch, Kante zu zeigen. Das erste Triell zeigte das auf eindrückliche Weise. Es geht jetzt ums Ganze. Umso wichtiger ist es, dass die Wählerinnen und Wähler sich jenseits der Fernsehdebatten die Programme der Parteien sehr genau anschauen. An Informationsmöglichkeiten fehlt es nicht. Dass kürzlich ausgerechnet ein Getränkehersteller auf die Flaschen seiner Smoothies Auszüge aus den Wahlprogrammen der Parteien gedruckt hat, ist bezeichnend. Politische Bildung auf Umwegen? Auf den ersten
Blick kein schlechter Gedanke, um bestimmte Wählergruppen zu erreichen. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Vor allem aber die Bitte, sich doch lieber an der Quelle zu informieren, um dann in Ruhe abzuwägen und zu entscheiden. In der Wahlkabine steht am Ende jeder allein. Hier ist er oder sie nur dem Gewissen verantwortlich. Vielleicht wäre dort auch der richtige Platz, um einen kurzen Moment innezuhalten und Danke zu sagen: dafür, dass wir in einer Demokratie leben dürfen und überhaupt die Wahl haben. Wie viele Menschen auf der Welt sehnen sich danach?
Mir ist für meine Wahlentscheidung unter vielem anderen auch die Frage wichtig, was die Parteien tun wollen, um die überwältigende Solidarität der Menschen untereinander in Krisenzeiten,
etwa nach der Flutkatastrophe, auch im Alltag wieder spürbar zu machen. Deshalb suche ich in den Wahlprogrammen auch danach, was neben den Bürgerrechten an Bürgertugenden benannt wird. Schon bei den alten Ägyptern gab es Pflichtenkataloge für ein menschliches Miteinander und das Füreinander-Dasein in der Gesellschaft. Und in allen großen monotheistischen Religionen gibt es sie auch. In der Bibel findet man sie im MatthäusEvangelium: Kapitel 25, 35–40.
Unsere Autorin ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen und stammt aus Ratingen. Sie wechselt sich hier mit der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.