Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Es gab leider aggressive Äußerungen“
Die Flut hat die Bürgermeisterin von Erftstadt verändert. Die Bilder der eingestürzten Häuser hätten sich in ihrer Seele eingebrannt, sagt Carolin Weitzel. Sie wird von wütenden Bürgern angefeindet. Warum sie dafür aber Verständnis hat.
ERFTSTADT Als am 14. Juli das Wasser kommt, ist Carolin Weitzel mit ihrer Familie im Auslandsurlaub. Am Telefon erfährt sie von der sich anbahnenden Katastrophe in ihrer Heimatstadt; sie bricht ihre Ferien sofort ab und fliegt nach Hause. Bereits am Tag darauf ist sie zurück in Erftstadt. „Um den Bürgern vor Ort beizustehen und helfen zu können“, sagt sie. Für die CDU-Bürgermeisterin von Erftstadt beginnen die schwersten Wochen ihrer noch jungen Amtszeit; erst seit dem 1. November vergangenen Jahres steht die 41-Jährige der 50.000-Einwohner-Stadt im Rhein-Erft-Kreis vor.
Auf so eine Flutkatastrophe ist sie nicht vorbereitet; niemand ist das. Die Erft, ein ansonsten ruhiges Flüsschen, überspült infolge des Starkregens ganze Ortsteile Erftstadts. Nahe einer Kiesgrube gibt es durch die Fluten einen Erdrutsch. Ein riesiger Krater entsteht. Durch das Hochwasser wird auch die Bundesstraße 265 überflutet, auf der mehrere Autos und Lastwagen stehen. Einsatzkräfte sind tagelang damit beschäftigt, die Fahrzeuge zu bergen.
Die Flut hat Weitzel verändert. Die Bilder hätten sich in ihren Kopf und ihre Seele eingebrannt, sie sei noch sensibler geworden: „Es war entsetzlich, diese extremen Wassermassen zu sehen, die alles mit sich gerissen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben“, sagt sie. In den Momenten der Flut sei sie mit ihren Gedanken bei den betroffenen Menschen gewesen, die gerade ihr Hab und Gut verloren hätten und die vor den Trümmern ihrer Existenz gestanden hätten: „Retten, helfen, schützen, Leben sichern. Das ist das Gebot der Stunde gewesen.“
Es sind gerade Kommunalpolitiker wie Carolin Weitzel, die nach der Flutkatastrophe in die Schusslinie der Kritik geraten. Schnell werden vor Ort Vorwürfe laut: Warum wurde nicht rechtzeitig gewarnt? Warum gingen nicht überall die Sirenen an? Hätte nicht viel früher evakuiert werden müssen? Für ein Fehlverhalten der Stadt liegen bislang aber keine offiziellen Erkenntnisse vor. In in einer öffentlichen Sondersitzung hat die Kommune mit einer Stellungnahme die Vorwürfe zurückgewiesen. Weitzel wird nach der Flut dennoch angefeindet. „Es ist leider auch zu aggressiven und verletzenden Äußerungen gekommen. Es gab per Brief oder vor allem in den sozialen Netzwerken zum Teil sehr massive Anfeindungen was meine Person betrifft“, erklärt sie.
Die Politikerin sagt, dass sie damit umgehen und die Wut der Menschen verstehen könne. „Wenn ein Hochwasser alles zerstört, was man ein Leben lang aufgebaut hat, ist Wut eine absolut verständliche Gefühlsäußerung“, sagt sie. Diese Wut müsse auch zugelassen werden. „Sie braucht Raum, muss geäußert werden. Daraus kann man auch Lösungen entwickeln. Aber das muss dann alles auf einer Sachebene stattfinden.“Die Anfeindungen bleiben größtenteils in der virtuellen Welt. Auf der Straße werde sie nicht beschimpft; nur hin und wieder gibt es einzelne Buhrufe bei öffentlichen Auftritten. Häufig wird sie von hochemotionalen Menschen angesprochen, die ihr ihre zerstörten Häuser und Wohnungen zeigen wollen.
„Und das ist nachvollziehbar. Ich fühle wirklich mit“, betont Weitzel.
Besonders betroffen ist der Ortsteil Blessem; die Bilder von dort sind um die Welt gegangen. In der Nähe einer Kiesgrube waren mehrere Häuser infolge eines Erdrutsches mitgerissen worden, die Folge: ein riesiger Krater. Viele Anwohner vermuten, dass der Erdrutsch mit der Kiesgrube in Zusammenhang steht. Die meisten wollen, dass die Grube für immer zugeschüttet wird. „Sie ist ein schreckliches Mahnmal, das deutlich macht, welches Ausmaß so eine Flutkatastrophe haben kann“, sagt Weitzel. Bei künftigen Planungen und Genehmigungen von Kiesgruppen müssten Extremwetterereignisse grundsätzlich mit einbezogen werden, fordert sie.
Der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Die gebürtige Kölnerin Weitzel, die seit ihrem dritten Lebensjahr in Erftstadt lebt, wird ihre ganze Energie in den Neuanfang stecken müssen. Angesichts des Ausmaßes der Verwüstungen hat ein großes deutsches Nachrichtenmagazin sie jüngst als „Trümmerfrau“bezeichnet. Weitzel findet das unpassend. „Ich sehe mich nicht als Trümmerfrau. So wurden nach dem Zweiten Weltkrieg alle Frauen bezeichnet, die die Trümmer der zerbombten Gebäude weggeräumt haben. Insofern
ist dieser Begriff im Kontext einer Hochwasserkatastrophe nicht angemessen“, sagt sie. Weitzel sieht sich als Bürgermeisterin im Sinne des Wortes, „also als jemanden, der in der Krise für seine Bürgerinnen und Bürger da ist und die Lage versucht zu meistern wie zum Beispiel den Wiederaufbau zu koordinieren“, erklärt sie.
Dazu zählt für sie auch ein verbessertes Frühwarnsystem. „Wir müssen daraus lernen, um künftige Katastrophen besser bewältigen zu können; auch die Meldewege müssen überarbeitet werden“, sagt Weitzel. „Es hätte uns geholfen, wenn uns mehr Informationen vorgelegen hätten. Aufgrund der uns vorliegenden Informationen konnten wir nicht mit diesem extremen Hochwasserereignis rechnen. Da müssen wir in der Zukunft besser aufgestellt sein“, sagt sie. Denn dann hätten sie auch die Anwohner in Blessem früher evakuieren können, ist sie überzeugt.