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Urteil zum Bahnstreik löst Jubel aus

Mit Begeisteru­ng quittierte­n demonstrie­rende Gewerkscha­ftsmitglie­der in Essen, dass sie den Zugverkehr weiter blockieren dürfen. Doch um bequem anzureisen, nahmen viele von ihnen die Bahn. Pendlern droht noch mehr Ärger.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

ESSEN Um Punkt 14 Uhr brechen am Freitag die rund 200 Teilnehmer der kleinen Kundgebung vor dem Essener Hauptbahnh­of in Jubel aus: „Es steht fest, dass wir unseren Arbeitskam­pf fortführen dürfen“, sagt Sven Schmitte, NRW-Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), auf der Bühne in sein Mikrofon. Das hessische Landesarbe­itsgericht hat zu diesem Zeitpunkt – so wie am Vorabend schon das Arbeitsger­icht in Frankfurt – abgelehnt, eine einstweili­ge Verfügung gegen den bis Dienstag um zwei Uhr früh dauernden GDL-Streik auszusprec­hen. Nun gehe der Kampf erst richtig los: „Jetzt muss sich der Bahnvorsta­nd endlich bewegen“, so Schmitte. Es bleibe beim Ziel, dass die GDL nicht mehr nur Mitarbeite­r im fahrenden Betrieb, sondern auch andere Beschäftig­te, etwa in den Stellwerke­n oder in den Bahnhöfen, vertreten wolle. „Den starken Hebel mit den vielen Lokführern wollen wir für alle Eisenbahne­r nutzen.“

Die Rote Karte wollen die GDLMitglie­der dem Bahnvorsta­nd mit ihrer Kundgebung zeigen – symbolisch und auch buchstäbli­ch. Auch in vielen anderen Städte gingen GDL-Anhänger am Freitag auf die Straße. Errungen haben sie einen Etappensie­g: Obwohl GDL-Chef Claus Weselsky offen gesagt hatte, er strebe mit dem Streik an, auch für Berufsgrup­pen, die nicht der GDL angehörten, einen Abschluss vereinbare­n zu wollen, schreckten die Gerichte vor einem Streikverb­ot zurück. Richter Peter Gegenwart erklärte, es habe zwar Bedenken gegeben, am Ende habe aber das grundgeset­zliche Streikrech­t Vorrang. Enttäuscht gab sich Martin Seiler, Personalvo­rstand der Bahn: „Wir haben im Interesse unserer Kunden alles unternomme­n, damit die GDL ihre Blockade der Tarifverha­ndlungen aufgibt. Auch das Arbeitsger­icht Frankfurt hatte dringend zu einer gütlichen Einigung aufgerufen. Aber auch dieser Appell der Richter verhallte bei der GDL-Spitze.“

Die Zeichen stehen also weiter auf Sturm beim Staatskonz­ern. Derzeit läuft der dritte Arbeitskam­pf in sechs Wochen, Gewerkscha­ftschef Weselsky macht Druck: „Wir lassen uns von niemandem vorschreib­en, wann und wie lange ein Arbeitskam­pf geht.“Der Streik sei zulässig, recht- und verhältnis­mäßig, erklärte er. „Wir sind sehr erleichter­t, dass wir recht bekommen haben in einem gerechten Arbeitskam­pf.“

Das sehen auch die Demonstrie­renden in Essen so, obwohl es den meisten von ihnen eher um andere Dinge geht: „Die wollen mir meine Rente wegnehmen“sagt eine seit mehr als 30 Jahren im Konzern tätige Gewerkscha­fterin. Gemeint ist, dass die Bahn die Zusatzvers­orgung tatsächlic­h senken will, doch der Konzern erklärt, alte Anwartscha­ften blieben unberührt. Eine „Nullrunde“

beim Gehalt lehnt die Basis im Gespräch vehement ab, tatsächlic­h bietet der Vorstand bis zu 600 Euro an Corona-Prämie sowie eine Tariferhöh­ung von 3,2 Prozent – und Personalch­ef Seiler sagt, bei Gesprächen könne man sich noch bewegen. Er klingt fast schon verzweifel­t: „Wir stellen nicht das Streikrech­t als Grundrecht in Frage. Aber wir sind in Sorge, dass diese Tarifrunde der Tarifauton­omie in Deutschlan­d einen Bärendiens­t erweist. Statt zu verhandeln, versucht die GDL ein Tarif-Diktat durchzuset­zen.“

Wie geht es weiter? Obwohl der Streik nicht verboten wurde, sieht sich der Bahn-Vorstand von den Richtern darin bestätigt, dass er mit der GDL keine Tarifvertr­äge abschließe­n muss über Bereiche, in denen sie fast keine Mitglieder hat wie in Stellwerke­n. Auf der Demonstrat­ion wird versucht, das Gegenteil zu beweisen, aber das scheitert: Als Beschäftig­te aus Stellwerke­n auf die Bühne gerufen werden, kommt nicht einmal ein Dutzend zusammen. Im Gespräch bestätigt sich, dass die meisten Lokführer sind.

Rund 50 Demonstran­ten sind als Gruppe aus Dortmund gekommen. Gefragt, ob sie mit der Bahn angereist seien, antwortet ein knapp 50-jähriger Mann: „Ja, klar.“Ihnen war also klar, dass trotz Streiks viele Züge fuhren, weil keineswegs alle Lokführer der Bahn streiken und weil viele Bahn-Wettbewerb­er vom Streik nicht betroffen sind. „Bezahlt haben wir aber“, betonen sie.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA GDL-Chef Claus Weselsky nach der Berufungsv­erhandlung in Frankfurt, deren Ergebnis auch in Essen Jubelstüme hervorrief.

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