Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich glaube, dass bei der Wahl alles offen ist“

Kastriot Krasniqi von der SPD kandidiert zum ersten Mal für das Direktmand­at aus dem Kreis. Seine Themen: Verkehr, Digitalisi­erung, Klimaschut­z, Integratio­n und Gesundheit­sversorgun­g.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

WERMELSKIR­CHEN Auf einmal sah sich Kastriot Krasniqi selbst an den Laternen hängen. Roter Hintergrun­d, schwarz-weißes Porträt. Er sei gerade auf dem Weg zur Arbeit gewesen, sagt er, habe nicht gewusst, wann plakatiert werde. Und dann stand da plötzlich sein Name auf der Pappe – in Großbuchst­aben über dem Kopf – und unten rechts das Logo der SPD. Werbung für die Bundestags­wahl. Und er, 28 Jahre alt, gelernter Sozialvers­icherungsa­ngestellte­r, als der Bewerber für das Direktmand­at für den Rheinisch-Bergischen Kreis.

Krasniqi erzählt das alles, als stünde er immer noch staunend vor dem Plakat, als könne er es immer noch nicht ganz glauben: Dass er wirklich gewählt wurde von seiner Partei, als Kandidat für den Deutschen Bundestag. Und dass er jetzt mitten im Wahlkampf steckt, nicht nur im Hintergrun­d, wie sonst immer, sondern als die Person, für die andere in der Fußgängerz­one nun ihre Flyer verteilen. „Es ist irgendwie alles sehr aufregend im Moment“, sagt Krasniqi. Er hat Respekt vor seiner Aufgabe, das ist deutlich. Aber keine Angst, das auch zu zeigen.

Damit er überhaupt für sich werben – Veranstalt­ungen besuchen und Interviews geben – kann, hat Krasniqi sich gerade Urlaub genommen. Er arbeitet Vollzeit in der Geschäftss­telle einer gesetzlich­en Krankenver­sicherung in Bergisch Gladbach. In den letzten Wochen vor der Wahl am 26. September ist er dort wieder eingesetzt, bis dahin möchte er so viele Termine wie möglich schaffen. Wahlkampf neben dem Beruf? Das geht sonst nur in den Abendstund­en. Und dann ist da ja auch noch sein Studium, Gesundheit­sund Sozialmana­gement an der FOM Hochschule in Köln, zweimal in der Woche hat er Vorlesung und dann nochmal jeden zweiten Samstag. Eigentlich zumindest. Denn Wahlkampf, Beruf und Studium? Das sei dann doch nicht immer so leicht zu koordinier­en.

Wenn die Wahlen näher rücken, erklären viele Politiker von sich, Politik „für die Menschen zu machen“. Krasniqi macht das auch. Er erklärt aber vor allem, Politik „als Mensch“machen zu wollen. Für ihn heißt das: Offen zu sagen, wenn er auf eine Frage noch keine Antwort weiß – wenn es etwa um Aktien geht oder um Finanzieru­ngsfragen. Das zeigt Ehrlichkei­t. Aber auch, wo er sich eigentlich noch einlesen müsste. Er selbst sagt dazu: „Ich glaube, dass die Zeiten, in denen die Leute aalglatte Politiker haben wollen, vorbei sind. Ich sage lieber, dass ich keine Antwort habe, anstatt um den heißen Brei zu reden.“

Seit sein Bild überall im Kreis an den Laternen hängt, sagt Krasniqi, komme es immer wieder dazu, dass er erkannt und angesproch­en werde. Manchmal sei dann jemand dabei, der einfach nur über die Kanzlerkan­didaten mit ihm sprechen wolle. Oft werde er aber auch nach den Themen gefragt, für die er sich einsetzen möchte. Das Thema Verkehr: Krasniqi fordert mehr Mittel vom Bund, um Straßen auszubesse­rn, sichere Fahrradweg­e, die „nicht plötzlich wie aus dem Nichts enden“, eine Kostensenk­ung und Taktverdic­htung bei Bus und Bahn. Das Thema Digitalisi­erung: Breitbanda­usbau, um Unternehme­n, die in den Kreis ziehen wollen, die passende Infrastruk­tur bieten zu können und Schulen ein schnelles Netz zu ermögliche­n. Das Thema Klimaschut­z: Zuschüsse für die Umrüstung auf energieeff­iziente Heizungen, eine stärkere Förderung von Solaranlag­en und E-Mobilität, schnellere Genehmigun­gsverfahre­n für Windkrafta­nlagen. Was Krasniqi besonders beschäftig­t, und das hat auch mit seinem Beruf zu tun, das ist aber auch die Gesundheit­sversorgun­g im Kreis. „Auf meiner Arbeit geht es oft einfach darum, wo der nächste Facharzt ist und wenn es dann überhaupt einen nächsten gibt, dann ruft man dort an und bekommt erst nach Monaten einen Termin. Mir tut das oft leid, gerade für ältere Menschen, die dann auch noch kreuz und quer fahren müssen. Das ist doch ein Unding“, sagt der 28-Jährige.Seine Forderung: Medizinisc­he Versorgung­szentren auf dem Land, in denen Ärzte mit unterschie­dlichen Schwerpunk­ten gemeinsam praktizier­en und sich die Patienten aufteilen können. Und darüber hinaus: Ein Ende der Privatisie­rung von Krankenhäu­sern und

eine Aufhebung des dualen Systems zwischen gesetzlich­er und privater Krankenver­sicherung.

Und dann gibt es da noch sein anderes großes Thema: Integratio­n. Krasniqi selbst wurde im Kosovo geboren, in einem Dorf südöstlich der Hauptstadt Pristina. 1994 floh seine Familie nach Deutschlan­d, lebte jahrelang in einem Asylbewerb­erheim in Bergisch Gladbach, Krasniqi selbst war bei der Ankunft im Kreis noch ein Kleinkind, ob die Familie auch nach dem Krieg bleiben kann, war lange nicht klar. Der 28-Jährige weiß, was das Ankommen leicht macht und was schwer. Und fordert: schnellere Asylverfah­ren, schnellere­r Zugang zu Sprachkurs­en, schnellere Anerkennun­g von Abschlüsse­n. „Meine Einbürgeru­ng war für mich damals das Event schlechthi­n. Endlich war man offiziell ein Teil der Gesellscha­ft, durfte wählen und mit anpacken“, sagt er. Mit 14 tritt er in die SPD ein. Mit 16 macht er ein Praktikum im Landtag. In den Jahren darauf wird er stellvertr­etender Ortsverein­ssitzender in Bergisch Gladbach und Mitglied des Stadtrates. Aktuell ist er Vorsitzend­er des Integratio­nsrates. Auf der Landeslist­e der SPD für die Bundestags­wahl steht Krasniqi auf Platz 45. Um es in den Bundestag zu schaffen, braucht er das Direktmand­at. Was glaubt er selbst? Hat er eine Chance, zu gewinnen? „Ich schätze das ganz nüchtern ein. Aber ich glaube auch, dass bei der Wahl diesmal alles offen ist.“

 ?? FOTO: VITTINGHOF­F ?? „Ich glaube, dass die Zeiten, in denen die Leute aalglatte Politiker haben wollen, vorbei sind“, sagt Kastriot Krasniqi. Der 28-Jährige wohnt in Bergisch Gladbach.
FOTO: VITTINGHOF­F „Ich glaube, dass die Zeiten, in denen die Leute aalglatte Politiker haben wollen, vorbei sind“, sagt Kastriot Krasniqi. Der 28-Jährige wohnt in Bergisch Gladbach.

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