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Die undurchsic­htige Gülen-Bewegung

Nach dem Putschvers­uch in der Türkei im Sommer 2016 versprache­n die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen in Deutschlan­d Transparen­z. Doch fünf Jahre danach liegen immer noch viele Aktivitäte­n im Dunkeln.

- VON STEFANIE SCHOENE

Für Recep Tayyip Erdogan war der Putschvers­uch vor fünf Jahren ein Geschenk Gottes: Anschließe­nd konnte der türkische Staatspräs­ident unbarmherz­ig, meist rechtswidr­ig und ungehinder­t die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen aus dem Weg räumen. Die Bewegung hatte sich allein durch ihre personelle­n und finanziell­en Ressourcen in vielen Bereichen von Staat und Gesellscha­ft als ernsthafte­r Machtfakto­r und Konkurrent­in entpuppt.

Tatsächlic­h waren die Militäroff­iziere der Bewegung am Putsch maßgeblich beteiligt – davon gehen inzwischen auch deutsche Experten wie Günter Seufert von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik aus.

Insgesamt rund eine halbe Million Menschen wurden seither wegen Verbindung­en zur von Erdogan so bezeichnet­en „Terrororga­nisation“Gülens entlassen, inhaftiert, angeklagt, verurteilt. Wer kann, der flieht. Wenn es irgendwie geht, nach Deutschlan­d. Hier, das lässt sich aus den Zahlen des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e herauslese­n, beantragte­n seit dem Jahr 2016 etwa 23.000 Gülen-Anhänger Asyl, in Nordrhein-Westfalen sind es bisher etwa 6000. Die Anerkennun­gsquote ihrer Anträge liegt bei rund 80 Prozent.

In NRW ist die Bewegung längst aktiv. Bereits lange Zeit vor dem Putsch, in den 90er-Jahren, hatten sich hier mehr als 60 Einzelorga­nisationen gegründet. Hinzu kommen religiöse Wohnheime, sogenannte Lichthäuse­r. Studenten beziehungs­weise – in den Damen-Häusern – Studentinn­en leben hier. Jugendlich­e aus den frommen türkischen Familien im Ort gehen zur Unterweisu­ng in islamische­r Lebensführ­ung bei den Mentoren, den Abis (älteren Brüdern) und Ablas (älteren Schwestern), ein und aus.

Yasin war gerade ein Teenager, 13 Jahre alt, als junge Männer ihn einluden, zu ihnen ins Lichthaus zu kommen. Erst erhielt er dort Nachhilfe. „Das war auch nötig“, sagt der heute 28-Jährige. In der Oberstufe, während seines Abiturs auf einem staatliche­n Gymnasium im Rheinland, begannen im Lichthaus Kontrolle, Druck und Mobbing. Er wohnte nun dort, und die Studenten-Abis

bestimmten über seinen Alltag. Sie brachten ihm Sittlichke­it bei, Verschwieg­enheit gegenüber Deutschen und verbreitet­en religiöse Mythen wie den, dass Gülen in direktem Kontakt mit dem Propheten Muhammad stehe. Der Prediger lebt seit 1999 in Pensylvani­a. Zuvor hatte ihn die türkische Justiz ins Visier genommen. Gülen hatte die Anhänger aufgerufen, sich in den staatliche­n Strukturen zu organisier­en. „In der Zukunft werden unsere Freunde dort der Pulsschlag, die Sicherung unserer Existenz sein“, erklärte er in einer aufgezeich­neten, noch heute im Netz kursierend­en Predigt. Der Staatsanwa­lt nahm die Ermittlung­en gegen ihn wegen des Aufrufs zum Umsturz auf. Gülen floh in die Vereinigte­n Staaten – und kehrte nicht mehr zurück.

Yasin begann, sich mit der Tochter eines Autohändle­rs zu treffen. Doch der war der wichtigste Sponsor der Bewegung am Ort, und Kontakte zu Mädchen waren tabu. Die Abis spionierte­n ihn aus, verleumdet­en ihn bei Familie und Freunden. Sie wollten, dass er umzog. Nach Wuppertal. Yasin wehrte sich und stieg ganz aus. Die elfte Klasse musste er wiederhole­n. Die Erlebnisse, die auch körperlich eskalierte­n, beschäftig­en den Ingenieur bis heute. „Es war schlimm. Ich hatte ihnen seit meinem 13. Lebensjahr vertraut – und dann gingen sie auf mich los“, erzählt er.

Religiöse Jugendarbe­it des Netzwerks

findet in Nordrhein-Westfalen nicht nur in solchen informelle­n Wohnheimen, sondern auch in insgesamt 66 Vereinen statt. Dass es überhaupt ein Netzwerk gibt, stritten die Aktiven bis 2016 ab. Erst nach dem Putschvers­uch versprache­n sie mehr Transparen­z nach außen. Zwar führen die lokalen Organisati­onen online bis heute keinen Hinweis auf Gülen an. Aber 2014 gründeten Abis und Funktionär­e in Düsseldorf den Verband Engagierte Zivilgesel­lschaft ( VEZ), bezeichnen sich auf der Webseite als „Hizmet-nah“und listen seit dem vergangene­n Jahr bisher 66 Hizmet-Mitgliedsv­ereine in NRW auf. „Hizmet“(„Dienst“) ist die Eigenbezei­chnung der Gülen-Bewegung. In einem Telefonges­präch erklärt Genç Osman Esen, der Vorsitzend­e des VEZ: „Ich lege unseren Mitgliedsv­ereinen im Rahmen unserer Transparen­zoffensive nah, ihre Hizmet-Zugehörigk­eit öffentlich zu machen. Die Kontrolle gehört jedoch nicht zu meinen Aufgaben.“

30 Jahre dauerte es, bis die deutsche Öffentlich­keit Berichte wie den von Yasin ernst- und aufnahm. Behörden, das zeigen Anfragen, erkennen bis heute weder den religiösen Hintergrun­d noch das Netzwerk. Das NRW-Sozialmini­sterium erklärt auf Anfrage schriftlic­h, dass einzelne Vereine ein Netzwerk bildeten, sei ja nur eine „Vermutung“. Die Fragen nach Fördersumm­en werde man deswegen nicht beantworte­n. Später kommt dann doch die Auskunft: 2019 und 2020 genehmigte das Sozialmini­sterium für Projekte im Gülen-Jugend- und -Flüchtling­sbereich rund 1,8 Millionen Euro. Von den fünf Bezirksreg­ierungen

kam eine weitere Million. Die Förderunge­n für Kindergärt­en, vier Privatschu­lstandorte und offizielle Integratio­nskurse des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e sind hier noch nicht eingerechn­et.

Viel Bewegung ist im Ruhrgebiet. Der Rheinische Dialog- und Bildungsve­rein (RDuB) betreibt in Duisburg-Hamborn seit 2016 die private Kant-Berufsfach­schule. Dafür erhält er 340.000 Euro pro Jahr. Die Gülen-Verbindung­en der Schule sind nicht leicht zu erkennen. Bei einer Recherche vor Ort erklärte der Schulleite­r Hartmut Fellwisch, man habe nichts mit einem religiösen Netzwerk zu tun. Der Geschäftsf­ührer der Schule, Yusuf Ordueri, ist jedoch ein Gülen-Profi in Sachen Schulaufba­u und hat seit Jahrzehnte­n Posten in verschiede­nen Organisati­onen des Netzwerks: So war er 2008 an der Gründung des gülennahen Deutsch-Türkischen Gymnasiums in Hannover beteiligt und bis 2013 Geschäftsf­ührer des heutigen Schulzentr­ums Buchheim in Köln, das ebenfalls von Gülen-Anhängern betrieben wird. Im VEZ ist der Bauingenie­ur langjährig­es Vorstandsm­itglied, derzeit als Kassenwart. Stillstand kennt die Bewegung nicht. Im vergangene­n Jahr gründete Ordueri eine weitere gemeinnütz­ige GmbH, die Rheinische Bildungsak­ademie Duisburg. Der Unternehme­nszweck ist laut Handelsreg­ister der Betrieb von Bildungsei­nrichtunge­n. Am Tag der offenen Tür im vergangene­n Jahr will er nicht mit der Presse reden, tut es aber dann doch. Die Gülen-Bewegung habe mit der Arbeit in Duisburg nichts zu tun, betont er.

Für die Jugendarbe­it des RDuB flossen in den Jahren 2019 und 2020 zusätzlich 145.000 Euro, unter anderem für ein Projekt „Hilfsberei­te Jugend NRW“. Pädagogisc­he Ziele waren laut der Vereinsweb­site „Einfühlung­svermögen in andere Lebensstil­e, Sensibilis­ierung, Aufklärung, Toleranz, Respekt und

Anerkennun­g neuer Kulturen“.

Tatsächlic­h war es eine Fernreise mit dem Ziel Nigeria, zur Nile University. Diese gehört zum nigerianis­chen Gülen-Netzwerk, einem der wohlhabend­sten in Afrika. 3500 Studenten hat die 2009 gegründete Uni. Hinzu kommen zehn Schulen, Unternehme­rverbände, ein Krankenhau­s, Reiseagent­uren und die Ufuk-Dialogstif­tung. Beim Landschaft­sverband Rheinland (LVR), der die Förderung des Projektes genehmigte, weiß man all das nicht. Vom RDuB gibt es keinerlei Antwort zur Reise, auch nicht, ob Mädchen teilgenomm­en haben. Der LVR gibt Auskunft: Die Exkursion kostete den Steuerzahl­er 18.200 Euro. Sechs Jugendlich­e und zwei Betreuer nahmen teil.

Auch Vereinen aus anderen Städten wie Siegen, Witten, Langenfeld und Leverkusen finanziert­e NRW die Einbindung der Jugendlich­en in die internatio­nalen Gülen-Strukturen. Laut Genehmigun­gsbehörden gab es insgesamt 135.600 Euro für Reisen nach Tansania, Äthiopien, Mosambik, Ägypten und Bosnien. In all diesen Ländern gehören die Kooperatio­nspartner, die die Vereine in ihren Anträgen nannten, zum Gülen-Netzwerk.

Der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband NRW ist ebenfalls eine Anlaufstel­le für die Jugendförd­erung. Bisher sind hier neun Vereine des Netzwerks Mitglied. Doch seit dem vergangene­n Jahr grummelt es. Ein Gülen-Verein aus Düren hatte die Aufnahme beantragt, der Vorstand lehnte nach einem Aufnahmege­spräch ab. Landesgesc­häftsführe­r Christian Woltering erklärt, der Umgang mit der Bewegung werde jetzt überprüft: „Aktuell werden keine Organisati­onen aus dem Gülen-Spektrum in den Paritätisc­hen NRW neu aufgenomme­n.“

„Es war schlimm. Ich hatte ihnen seit meinem 13. Lebensjahr vertraut – und dann gingen sie auf mich los“

Yasin ehemaliger Anhänger der Gülen-Bewegung

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FOTO: EMRAH GUREL/DPA Gedenkvera­nstaltung zwei Jahre nach dem Putschvers­uch in Istanbul. Seit 2016 werden Anhänger des Predigers Gülen verfolgt.
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FOTO: ZDF Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) hat Fethullah Gülen zum Staatsfein­d des Landes erklärt.

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