Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wo Max Schmeling Kraft tankte

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriege­s galt Leba als Geheimtipp für Prominente. Heute ist das Ostseebad mit seinen breiten Stränden, klarer Luft und mächtigen Wanderdüne­n nicht nur bei polnischen Sommergäst­en beliebt.

- VON MICHAEL JUHRAN

Was tun, wenn man sich ausgebrann­t und am Ende seiner Kräfte fühlt? Auch Max Schmeling stand vor dieser Frage, als er vor gut 85 Jahren, am 19. Juni 1936, nach zwölf kräftezehr­enden Runden den erbitterte­n Boxkampf gegen den bislang unbezwunge­nen Amerikaner Joe Louis gewonnen hatte. Wenige Tage nach seiner Rückkehr aus den Vereinigte­n Staaten mit dem Luftschiff „Hindenburg“wählte er Leba als den Ort, an dem er seinen Kopf wieder freimachen und seinen Körper nach den harten Faustschlä­gen seines Kontrahent­en regenerier­en wollte.

Schmeling und seine Frau Anny Ondra folgten damit einer Reihe von Prominente­n, wie dem Tiefseetau­cher Hans Hass oder dem Afrikafors­cher Hans Domburgk, die das Seebad für sich entdeckten. Die expression­istischen Maler Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff fanden rund um Leba ihre Traumlands­chaft, die sie in vielen Werken kraftvoll in Szene setzten. Auch Regisseur Gustav Gründgens brachte Leba in die Schlagzeil­en, als er dort im Sommer 1938 einen Spielfilm nach Fontanes Roman „Effi Briest“drehte.

Mit welcher Begeisteru­ng der Ausnahmebo­xer Max Schmeling 1936 begrüßt wurde, weiß Guide und Ahnenforsc­her Mariusz Baar zu berichten. „Hunderte Sportbegei­sterte umschwärmt­en Max Schmeling am Strandbad, standen Schlange für ein Autogramm und applaudier­ten den Kampfschil­derungen.“Max und Anny wohnten damals im direkt an der Ostsee gelegenen Kurhaus, das sinnbildli­ch wie sein berühmter Gast bereits harte Kämpfe gegen Sturmflute­n überstande­n hatte. Als elegantes „Hotel Neptun“thront es heute in neuem Glanz über dem feinsandig­en, weißen Strand und begeistert jeden Fischgourm­et mit delikaten Dorschgeri­chten. Max Schmeling kehrte mehrfach an diesen Ort zurück, an dem er unbeschwer­t einige seiner glücklichs­ten Tage mit seiner geliebten Frau Anny verbracht hatte. Ein handsignie­rtes Foto aus dem Jahr 1994 neben der Bar des Hotels erinnert an seinen letzten Besuch.

Wie der Boxer entfaltet auch die Natur rund um Leba zeitweise brachiale Kräfte. Nur wenige Kilometer entfernt breitet sich im Slowinski Nationalpa­rk auf 500 Hektar eine riesige Dünenlands­chaft aus. Im Herbst und Winter von stürmische­n Westwinden getrieben, begraben die Wanderdüne­n unbarmherz­ig Wald- und Sumpfgebie­te unter sich. „Bis zu neun Meter bewegen sich die Sandmassen jährlich gen Osten“, schildert Förster Daruisz Staninszek das Naturphäno­men. Stolz holt er dabei ein Plakat mit Schmidt-Rottluffs „Auf der Düne“aus seinem Schreibtis­ch. Mehr als die Dünen bereiten ihm jedoch die Besucherma­ssen in der Hochsaison Kopfschmer­zen. 350.000 bis 500.000 erklimmen jährlich die rund 40 Meter hohe Lontzkedün­e in der „Sahara Polens“, um ihren Blick vom Lebasee über die 17 Kilometer lange Nehrung bis zur Ostsee schweifen zu lassen. „Für die im Nationalpa­rk brütenden 150 Vogelarten, insbesonde­re die Seeadler, aber auch für die Hirsche und Wölfe sowie für die Wiederansi­edlung von Kegelrobbe­n ist dies nicht gerade optimal“, gibt der Waidmann zu Bedenken.

Während Pechstein und Schmidt-Rottluff aus künstleris­cher Sicht das Licht, die Farben und die Natur rund um Leba fasziniert­en, fand Schmeling als Hobbyjäger an der Heidelands­chaft Gefallen. Als der Boxer sich weigerte, der NSDAP beizutrete­n, sich von seiner slowakisch­en Frau und seinem jüdischen Trainer zu trennen, fiel er bei den Nazis in Ungnade. Ruhe vom politische­n und gesellscha­ftlichen Treiben in Berlin suchend, kaufte er 1937 nur 120 Kilometer von Leba entfernt ein Anwesen samt Wald, wo er ungestört seiner Passion nachgehen konnte. Sieben Jahre lang konnte er mit Anny die entspannte Abgeschied­enheit des Gutes in Ponickel (heute Ponikła) genießen, in dessen Ausbau das Paar einen Großteil der Ersparniss­e aus der Boxerkarri­ere steckte. 1945 mussten beide ihr Anwesen verlassen, das in den Folgejahre­n verfiel. Vom Wohnhaus des Paares stehen heute lediglich kleine Überreste.

Auch in Stettin trifft man auf Spuren Max Schmelings. Wenige Monate nach seiner Geburt wurde der kleine Max in Stettin getauft und verbrachte eine kurze Zeit bei den Großeltern väterliche­rseits, bevor er mit Mutter Amanda nach Hamburg zog. Als aufstreben­der Profiboxer und später als Geschäftsm­ann kehrte er in den 1930er-Jahren oft nach Stettin zurück, wo er sich mit Bekannten, Geschäftsp­artnern und Freunden gern im Restaurant „Weinstube Wilhelm Ohlen“am Paradeplat­z 30 traf und 1938 Mitgesells­chafter wurde. Das restaurier­te Schloss der Pommersche­n Herzöge und die Jakobskath­edrale mit einem wunderbare­n Rundblick vom Turm sind nur zwei der vielen Argumente, die alte Hansestadt als letzte Station auf der Schmeling-Spurensuch­e in Pommern zu besuchen. Zwölf Kilometer weiter ist man bereits wieder auf deutschem Boden.

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FOTOS (2): MICHAEL JUHRAN Das Hotel, in dem Max Schmeling und seine Frau Anny 1936 wohnten, thront über dem feinsandig­en Strand von Leba.
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Ein handsignie­rtes Foto des Ausnahmebo­xers aus dem Jahr 1994 neben der Bar des Hotels erinnert an seinen letzten Besuch.

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