Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

,,Ich kann Kunst und Politik nicht trennen"

Igor Levit ist Pianist und politische­r Aktivist. Im Interview spricht er anlässlich seines neuen Albums mit Werken von Schostakow­itsch und Stevenson über beide Seiten.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE WERNER HERPELL

BERLIN (dpa) Er gilt als einer der wagemutigs­ten Klassik-Pianisten der Welt und beweist diese Einschätzu­ng jetzt wieder mit einem ungewöhnli­chen Mammutproj­ekt. Igor Levits neues Album „On DSCH“präsentier­t zwei extrem anspruchsv­olle Klavierzyk­len: Dmitri Schostakow­itschs „24 Präludien und Fugen op. 87“und die ähnlich monumental­e Schostakow­itsch-Hommage „Passacagli­a on DSCH“des Briten Ronald Stevenson. Zugleich tritt der 34-jährige Levit als politisch aktiver Künstler für Menschenre­chte, Demokratie und Klimaschut­z sowie gegen Rassismus und Rechtsradi­kalismus auf. Zudem engagiert er sich für die Grünen.

Wie sehen Sie derzeit die Lage als Musiker, für den Konzerte essenziell sind?

IGOR LEVIT Es ist ein bisschen schizophre­n. Auf der einen Seite ist es natürlich beglückend, wieder Musik machen zu können, dem nachzugehe­n, was ich liebe. Gleichzeit­ig war der Preis, den die Menschen auf und auch hinter der Bühne zahlen mussten, ein extrem hoher. Wenn bei den Auftritten die Auslastung, aus nachvollzi­ehbaren Gründen, sehr gering ist, müssen zum Beispiel Konzerte gedoppelt werden. Und das ist einfach mental grenzwerti­g. Für alle, die solche Konzerte möglich machen – Bühnenarbe­iter, Agenturen, Veranstalt­er, Künstler –, war das sehr sehr schwer. Insofern war das bisher ein beglückend­er und zugleich erschöpfen­der Sommer.

Beethovens komplette Klavierson­aten, eine 15-stündige Live-Darbietung von Saties „Vexations“, jetzt die Präludien und Fugen von Schostakow­itsch sowie Stevensons Hommage: Sind Sie der Spezialist für musikalisc­he Kraftakte, der Marathonma­nn am Konzertflü­gel? Mögen Sie solche Zuschreibu­ngen?

LEVIT Die Zuschreibu­ngen treffen ja andere (lacht). Also ich denke gerne zyklisch. Wenn ich Werken begegne, die als Zyklen angelegt sind, versuche ich alles dafür zu tun, sie auch als Zyklen zu erlernen und aufzuführe­n. Ohne Frage, ich habe ein Interesse an längeren Werken. In diesem Fall war es einfach so: Den Wunsch, Schostakow­itsch und Stevenson zusammen aufzunehme­n, hatte ich schon viele Jahre, es hat sich eben erst jetzt ergeben. Ich wollte Stevensons „Passacagli­a“schon 2015 aufnehmen, hab‘s aber damals nicht gepackt – es war zu hoch, zu schwer, zu viel. Als ich einige Jahre später entschiede­n habe, den Schostakow­itsch aufzunehme­n, war klar: Ich werde das nur machen im Verbund mit Stevenson. Meine Hände und mein Körper waren dafür erst 2019 bereit, vorher war ich daran krachend gescheiter­t.

Ich zitiere mal einen Ihrer TwitterBei­träge: „Nichts in meinem Pianistenl­eben ist vergleichb­ar mit der „Passacagli­a on DSCH“von Ronald Stevenson. Gar nichts. Dieses Werk macht etwas mit mir, seelisch und körperlich, was ich nicht in Worte fassen kann.“Treibt Sie auch missionari­scher Eifer an, weithin unbekannte Komponiste­n mit Ihren Aufnahmen und hymnischen Worten bekannter zu machen?

LEVIT Ja, da ist was dran. Ich will einfach, dass so viele wie möglich diese Stücke hören.

Sie führen die „Passacagli­a“auch live auf. „80 Minuten Dauerlauf für die Hände“, schrieb eine Musikkriti­kerin. Wie oft kann man einen solchen Konzentrat­ions- und Kraftakt auf einer Tournee leisten, ohne völlig ausgepumpt zu sein?

LEVIT Lassen Sie mich mal die Konzerte nochmal kurz zählen, und wie oft ich die Stücke da insgesamt spiele. Das ist dann die Antwort, wie oft es geht. Es gibt Stücke, die geben, und Stücke, die nehmen. Die „Passacagli­a“nimmt ungeheuer viel und gibt trotzdem. Obwohl das Stück so lang und grenzwerti­g ist, habe ich nie das Gefühl, davon niedergesc­hmettert zu sein, ich könnte es so häufig spielen wie sonstwas, weil es mir so ungeheuer viel gibt.

Kommen wir zum politische­n Menschen Levit, der sich stark in der Öffentlich­keit engagiert. Ist Kunst für Sie bevorzugt politisch?

LEVIT Ich sage den Leuten heute nicht mehr, welche politische Botschaft welches Musikstück hat – damit habe ich aufgehört. Die Rezeption liegt in der Verantwort­ung der Hörenden und nicht in meiner. Aber ist Kunst für mich persönlich eine politische Angelegenh­eit? Ja selbstvers­tändlich, denn ich bin ein sehr politische­r Mensch. Ich kann beides nicht trennen und verhandele auch mit Hilfe von Musik das, was ich in der Welt sehe.

Sie haben einen stressigen Job als Musiker, mit täglichem Üben, Plattenauf­nahmen, Konzertrei­sen, Interviews. Viele Ihrer Kollegen tun sich die zusätzlich­e Belastung in der Hasskultur des Netzes nicht auch noch an. Sie hingegen werfen sich mit Verve hinein. Keine Angst, dass die Kerze von zwei Seiten abbrennt?

LEVIT Es gibt einen Unterschie­d zwischen Verbrennen und Ausbrennen. Da sind Tage, an denen ich mich verbrannt fühle – aber ich habe wunderbare Menschen um mich herum, daher hat es noch nie einen Tag gegeben, an dem ich mich ausgebrann­t gefühlt habe. Manchmal müde – aber gesund.

In den sozialen Medien wächst Ihre Follower-Zahl stetig. Im Mai 2020 haben Sie da angekündig­t: „Beim Erreichen der 150.000-FollowerGr­enze spiele ich Wagners „Walküre“live auf Twitter. Ganz. Mit Walkürenri­tt. Und einem FordCoppol­a-T-Shirt.“Wann ist es soweit?

LEVIT Ja, ich werde die „Walküre“spielen, Freunde! Und Francis Ford Coppola wird prominent als Figur auf meinem T-Shirt stattfinde­n. Es wird noch eine Zeit dauern, weil ich noch daran arbeite, dem Ganzen einen guten Rahmen zu geben. Aber ich werd‘s tun. Wenn ich irgendwas nicht tue, dann ist es, Verspreche­n nicht einlösen.

Wenn man Ihre musikalisc­hen Vorlieben kennt, von Beethoven und Bach, Schostakow­itsch und Stevenson bis zu Hip-Hop und Beach Boys, dann weiß man, dass Sie keiner für den Klassik-Elfenbeint­urm sind. Ist irgendwann mal ein Crossover-Album von Ihnen zu erwarten: Levit spielt Jazz-Piano oder Ed-Sheeran-Songs auf seinem Konzertflü­gel?

LEVIT Das weiß ich nicht. Ich mache ungern Sachen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie kann. Aber Kollaborat­ionen mit Künstlerin­nen oder Künstlern aus anderen Genres – ja, das sehe ich absolut.

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