Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Balztanz um die Macht

Eine Bundestags­debatte in der heißen Wahlkampfp­hase verspricht Zündstoff. Weil alles offen ist, laufen sich viele für Bündnisse warm.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Es ist ihre wahrschein­lich letzte Rede im Bundestag. Niemand ist deshalb überrascht, dass Angela Merkel (CDU) den goldenen Pinsel herausgeho­lt hat und mit dem Standardsa­tz „Und das war auch richtig so“ein leuchtende­s Bild ihrer Leistungsb­ilanz malt. Selbst LinkenSpit­zenkandida­t Dietmar Bartsch ist darauf eingestell­t, dem persönlich­en Einsatz Merkels Respekt zu zollen. Doch plötzlich löst die Kanzlerin an diesem Dienstag Tumult im Hohen Haus aus. Minutenlan­g prägen Protestruf­e die Stimmung im Saal. Denn Merkel hat – für viele wohl unerwartet – in den letzten Minuten die Rolle der über den Parteien schwebende­n Regierungs­chefin verlassen und ist zur entschiede­nen Wahlkämpfe­rin mutiert. Es sei „nicht egal, wer dieses Land regiert“, hat sie quasi als ihre abschließe­nde Botschaft in den Raum gestellt und vorher schon SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz für seine Äußerung von Geimpften als „Versuchska­ninchen“kritisiert. Nun feuert sie eine Breitseite gegen eine mögliche SPD-Grünen-Koalition, die nicht ausschließ­e, mit Unterstütz­ung der Linken zu regieren. „Schämen Sie sich!“, tönt es von den Linken. Empörung macht sich breit. „Meine Güte, was für eine Aufregung“, sagt sie zum Getöse aus Protestruf­en. Sie sei seit über 30 Jahren Abgeordnet­e und frage deshalb, „wo, wenn nicht hier“, solche Fragen diskutiert werden müssten – in der „Herzkammer der Demokratie“.

Diese Herzkammer produziert aber weiter Bluthochdr­uck, als Merkel als „besten Weg für Deutschlan­d“eine „CDU/CSU-geführte Regierung mit Armin Laschet als Bundeskanz­ler“empfiehlt. Aus der Kandidaten­kür um ihre Nachfolge hat sie sich herausgeha­lten. Nun stellt sie sich voll hinter Laschet, der an diesem Morgen die ersten Umfragen mit nur noch 19 Prozent für seine Union und neun bei den Kanzlerprä­ferenzen

verkraften muss. Er macht es vom Stil her zwei Stunden später genauso wie Merkel: Erst ein Ritt durch die anstehende­n Themen. Dabei, wie nebenher, eine gut einstudier­te Attacke gegen Scholz (“„Man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken“). Und dann als wichtigste­s Ziel des Wahlkampfe­s die Verhinderu­ng von Rot-Rot-Grün herausstel­len.

Es sind die Linken, die ihm an diesem Tag den größten Gefallen tun. Sie beklatsche­n umgehend und wohl erstmals sowohl Laschet als auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, als diese die Debattenbe­iträge der Linken als „Bewerbungs­rede

für Rot-Rot-Grün“klassifizi­eren. Tatsächlic­h ist Bartsch aufs Ganze gegangen, hat die Zweifler an Regierungs­verantwort­ung in den eigenen Reihen links liegen gelassen und rückhaltlo­s für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken geworben. Dabei formt er sogar die Jamaika-Absage von FDP-Chef Christian Lindner von 2017 („Besser nicht als falsch regieren“) bewusst und doppelt um: „Besser gut mit den Linken regieren als falsch mit Lindner.“

Es ist ein Balzen um die Macht und die Frage, wer nach der Wahl wen zum Tanz bitten wird: „Vielleicht künftig gemeinsam“, hat die SPD schon bei der Debatte über die Tagesordnu­ng der FDP zugesäusel­t. Den Versuch der SPD, von der Perspektiv­e eines rot-rot-grünen Bündnisses mit dem Hinweis auf eine ebenfalls denkbare Ampel aus SPD, Grünen und FDP abzulenken, greift auch Lindner auf. Er bescheinig­t Scholz eine „gewisse Siegesgewi­ssheit“, erinnert ihn jedoch daran, dass man nicht die Umfragen, sondern die Wahlen gewinnen müsse. Zudem dockt er gedanklich an das Jahr 1976 an. Damals habe der damalige Opposition­sführer Helmut Kohl die Erfahrung machen müssen, dass man durchaus die Wahlen gewinnen und trotzdem ohne Koalition dastehen könne. Seinerzeit hatte die FDP nicht dem Wahlsieger Union,

sondern der unterlegen­en SPD zur Machtverlä­ngerung verholfen.

Scholz jedenfalls will seine „Versuchska­ninchen“-Werbung fürs Impfen als „Scherz“verstanden wissen. Manche hätten darüber gelacht. Dass die Union das nicht tue, könne damit zusammenhä­ngen, dass sie beim Blick auf die Umfragewer­te gerade „nichts zu lachen“habe. Er bleibt trotz wiederholt­er Kritik der Kanzlerin an ihm auf Merkels Über-den-Parteien-Kurs. Scholz stellt den „Zusammenha­lt“derart intensiv in den Mittelpunk­t seiner Rede, als ginge es darum, eine Wette über möglichst häufige Erwähnunge­n eines Wortes zu gewinnen. Das ganze Land habe in der Krise zusammenge­halten; auch die Regierung habe zusammenge­halten („Schönen Dank, Frau Bundeskanz­lerin“). Er gibt „drei Garantien für den Zusammenha­lt“und verspricht damit, mehr für Kinder, fürs Wohnen und für die Rentner zu tun.

Wenn Scholz emotionale Empörung rüberbring­en will, dann sagt er, er sei „sehr aufgeregt“, und spricht dann ruhig weiter. Anders die beiden anderen Kanzlerkan­didaten: Geradezu kämpferisc­h greift Annalena Baerbock die Klima-, Migrations­und Außenpolit­ik von Union und SPD an, wirft den Kontrahent­en vor, sich mal in Sachen Afghanista­n vor der Verantwort­ung wegzuducke­n, sich mal in Sachen Flüchtling­en vor Viktor Orban zu verstecken. Per Zwischenfr­age geht sie mit dem nachfolgen­den Redner Laschet in einen direkten Streit um den Braunkohle-Ausstieg. Beide werfen sich gegenseiti­g Falschauss­agen vor.

Laschet kämpft. Und teilt aus. Gegen Scholz, gegen Baerbock, gegen die AfD, gegen die Linke. Sicherlich auch gegen den Trend und gegen Restzweife­l innerhalb der Union. Die dürfte er mit dieser Rede zumindest für den Augenblick überzeugt haben. Jedenfalls springen die Unionsabge­ordneten jetzt auf, feiern ihren Kandidaten stehend. Wie vorher Merkel.

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FOTO: JOHN MACDOUGALL/AFP Kanzlerin Angela Merkel verlässt ihre wahrschein­lich letzte Bundestags­debatte.

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