Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Ich versuche nicht, jünger auszusehen“
Die 51-Jährige spricht über ihre Düsseldorfer Ausstellung, den besonderen Heiratsantrag ihres Mannes und ihre Lust an der Gegenwart. Außerdem verrät sie ihre Definition von Schönheit.
DÜSSELDORF Claudia Schiffer ist nun auch Kuratorin. Für den Kunstpalast in Düsseldorf hat sie eine Ausstellung unter dem Titel „Captivate!“zusammengestellt. Die Schau lässt ab dem 15. September die 90er-Jahre aufleben: Modefotografien, Filme, Musik und Objekte aus Schiffers persönlichem Besitz sollen an eine Ära erinnern, in der die populären Künste einander besonders stark inspirierten. Es ist das erste Mal, dass die in Rheinberg geborene frühere Lagerfeld-Muse „La Schiffer“eine Ausstellung verantwortet. Sie lebt in London und reist „aufgrund der fortbestehenden Covid-19-Situation“nicht zur Eröffnung an, wie das Museum meldet. Wir unterhielten uns per E-Mail mit dem einstigen Supermodel.
Frau Schiffer, was war das erste Kunstwerk, das Sie gekauft haben? SCHIFFER Als junges Model wohnte ich im Marais-Viertel in Paris. Dort verbrachte ich viel Zeit damit, in Galerien herumzulaufen. Einmal besuchte ich eine Andy-Warhol-Ausstellung im Centre Pompidou und dachte: Irgendwann werde ich eines der Werke kaufen. Es war dann das erste Geschenk, das ich mir selbst gemacht habe: Das Camouflage-Gemälde hängt jetzt in unserem Arbeitszimmer. Ich finde auch Wolken inspirierend, deshalb habe ich mich in Andreas Gurskys Wolken verliebt. Mein Lieblingsstück stammt aber von Ed Ruscha. Es heißt „Marry me“. Mein Mann hat es in Auftrag gegeben. Es war sein Heiratsantrag.
Ist Modefotografie auch Kunst? SCHIFFER Seien wir ehrlich: Kein Modefoto kann in seiner Konzeption als ikonisch bezeichnet werden. Dieser Status ergibt sich erst mit der Zeit. Modefotografie ist eine Chiffre für Trends und Träume. Und obwohl sie aus dem Moment heraus geboren wurde, kann sie einen zeitlosen Status erreichen und eine größere Geschichte einfangen. Das war für mich das Spannende an der Recherche – diese erstaunlichen Momente zu finden, die noch heute zu uns sprechen. Die einprägsamsten Bilder sind oft provokant und fordern unsere Wahrnehmung von Weiblichkeit heraus. Schauen Sie sich die Arbeiten von Juergen Teller an: Er lässt Sie Schönheit auf eine andere Weise sehen. Modefotografie ist eine demokratische Kunstform, die auf Plakatwänden, digitalen Plattformen, Verpackungen und in Zeitschriften zirkuliert, deshalb hat sie enormen Einfluss. Die 90er-Jahre waren insofern ein Wendepunkt: Modefotografie wurde zur treibenden Kraft in der visuellen Kultur.
Wie wählten Sie die Bilder aus, die in der Schau zu sehen sein werden? SCHIFFER Es brauchte Zeit und viel Geduld. Es standen Tausende von Bildern zur Auswahl. Und weil ich die verschiedenen Formate der Modefotografie im vordigitalen Zeitalter
zeigen wollte – von Fine Art Prints über Polaroids, Kontaktabzüge, Modemagazine bis hin zu Kampagnen und Modelkarten – war die Auswahl umso umfangreicher. Außerdem wollte ich Kontraste zwischen ikonischen Cover-Aufnahmen, LaufstegBildern und aufrichtigen BackstageSchnappschüssen schaffen.
Ihre Definition des perfekten Bildes?
SCHIFFER Nun, Ellen von Unwerth war die erste Fotografin, mit der ich zusammengearbeitet habe. Ihre Bilder haben unsere Karrieren begründet. Als wir erstmals bei „Guess“unter Vertrag standen, fühlte es sich an, als würden zwei Freundinnen herumalbern. Das ist das perfekte Shooting, wenn die Chemie zwischen Fotograf und Model stimmt. Du kannst so albern und frech sein, wie du willst, denn es gibt Vertrauen.
Warum lohnt es sich überhaupt, an die 90er erinnert zu werden? SCHIFFER Weil Mode, Musik, Kunst und Unterhaltung damals verschmolzen. Das machte die Ära dynamisch und aufregend. Die 1990erJahre waren eine außergewöhnliche Zeit, die den Aufstieg einer Kultur des Stils, die Geburt des Supermodels und furchtlose Kreativität miterlebte. Unser Verständnis von Mode und Design veränderte sich grundlegend. Das Unmögliche wurde möglich. In der Fotografie gab es eine breite Palette von Stilen, die von der epischen Schwarz-WeißRomanze Peter Lindberghs über die sexy Freiheit von Ellen von Unwerth bis hin zu den Briten David Sims, Corinne Day und Mario Sorrenti in New York reichten, die das Unvollkommene feierten und das Alltägliche. Es ist das, was später „dirty realism“genannt wurde. Ich wollte in der Ausstellung das visuelle Experiment und die Freiheit des Ausdrucks einfangen. Wie inspirierend die 90er immer noch sind, merkt man ja auch daran, dass sie gerade wiederentdeckt werden. Die jüngere Generation kleidet sich in Vintage-Levi’s und Tank-Tops, sie trägt Birkenstock und sucht nach analogen Vinylalben und PolaroidKameras. Die besten Fotografen jener Ära werden von Influencern auf Instagram nachgeahmt oder zitiert.
Aber waren die 90er nicht auch eine Ära des männlichen Blicks?
Frauen wurden von Fotografen bisweilen ausgestellt.
SCHIFFER Die 90er stellten die Ideale von Schönheit und Mode auf den Kopf. Modefotografie bot eine „idealisierende Vision“und eine neue, demokratische Kunstform. Der Wettbewerb um globale Kampagnen war hart. Denken Sie an Kate Moss von Mario Sorrenti für Calvin Klein mit Art Director Fabien Baron. Oder Testinos legendäre Serie für Gucci unter der Regie von Tom Ford und gestylt von Carine Roitfeld. Diese Kampagnen beförderten die Diskussion über Stil.
Was waren denn Ihre Kriterien bei der Auswahl der Bilder für die Schau?
SCHIFFER Ich habe immer gefragt: Ist das typisch 90er? Und repräsentiert das Bild wirklich den Blick des einzelnen Fotografen? Während die 1980er-Jahre von perfektem High Glamour geprägt waren, ging es in den 90er-Jahren um Energie, Realität und Persönlichkeit. Die Show fängt auch diesen Wandel ein. Die schwierigste Aufgabe war die Erstellung eines Bauplans und der Räume im Kunstpalast. Von Anfang an wollte ich die Show nicht chronologisch präsentieren, sondern in Gruppen und Kapitel unterteilen. Nun geht es um das Supermodel-Phänomen, Kampagnen, Modegeschichten und meine Geschichte. Ich bin so glücklich und stolz, dass wir uns viele dieser Bilder sichern konnten. Es ist das erste Mal, dass viele dieser Fotografen, Models und Talente gemeinsam in einer Gruppenausstellung gezeigt werden.
Wie war die Wiederbegegnung mit den alten Zeiten?
SCHIFFER Ich habe das Jahrzehnt und seine außergewöhnliche Kreativität neu schätzen gelernt. Ich vermisse die Kameradschaft und die Abenteuer, aber so eine Zeit kann man nicht wiederholen. Und ich liebe es, Bilder aus meiner Karriere anzuschauen, weil sie Erinnerungen wecken. Ich glaube, das Alter sollte gefeiert und verehrt werden. Es gibt einen Grund, warum wir an unseren Geburtstagen Kuchen bekommen und Partys feiern. Das denke ich jedes Jahr, wenn ich älter werde. Ich versuche nicht, jünger auszusehen oder mich jünger zu fühlen. Ich umarme das Jetzt. Wenn Sie glücklich und gesund sind, folgt der Rest. Wie Michael Caine zu mir sagte: Altern ist viel besser als die alternative Option!
Wer war damals eigentlich wichtiger: Models, Fotografin oder Fotograf, Designerin oder Designer?
SCHIFFER
Ich habe schon früh gelernt, dass jeder Fotograf anders „sieht“. Helmut Newton war bis ins Detail akribisch, und das macht seine Bildsprache so stark. Aber das Shooting selbst ist ein komplexes Puzzle aus Experten aus allen Bereichen – Fotografie, Hair und Make-up, Location- und Setdesign, Models, Stylisten, Art Directors und Cutter. Die Magie entsteht in der Dunkelkammer. Ein fesselndes Shooting ist das Ergebnis großartiger Teamarbeit, deshalb wollte ich den Begriff „Team“in die Show einbringen.
Welche Künstler bewundern Sie?
SCHIFFER
Es gibt so viel Talent. Ich habe gerne mit Inez & Vinoodh zusammengearbeitet. Es gibt viele Fotografinnen wie Tierney Gearon mit ihren eindringlichen Doppelbelichtungsbildern. Zuletzt haben Cass Bird und Zoë Ghertner, die wunderschöne Porträts von Frauen jeden Alters macht, sowie Harley Weir, die brillant darin ist, komplexe Emotionen einzufangen, meine Fantasie beflügelt. Auch die Fine-Art-Fotografin Collier Schorr ist ein Original. Wir haben vergangenes Jahr an einer Titelgeschichte für „Vogue Italia“gearbeitet, eine Hommage an Richard Avedon. Avedons Praxis bestand darin, neben einem dem Motiv zugewandten Spiegel zu fotografieren, damit man sich als Model selbst so sehen konnte, wie er es tat, und einschätzen konnte, was funktioniert und was nicht. Mit dem digitalen Äquivalent eines Spiegels arbeitete Schorr auf die gleiche Weise. Es war eine besondere Zusammenarbeit, und wie bei Avedon war ihre Beleuchtung makellos. Ich bewundere auch die Arbeit von Tyler Mitchell. Er hat ein frisches Auge, und ich sehe einige Aspekte von Guy Bourdin in seinen Bildern. Jeder Fotograf muss zuerst die Vergangenheit studieren und dann ausbrechen, um eine Vision der Gegenwart zu schaffen.
Was ist Schönheit?
SCHIFFER
Die Mode hat durch Social Media einen großen Wandel erlebt. Heutzutage gibt es so viel Diversität bezüglich Herkunft, Größe oder Alter. Individualität, persönlicher Stil und Ausdruck sind wichtiger denn je. Nicht-professionelle Models sind eine Inspirationsquelle für ihre Peergroups und auch für Designer. Es ist so toll, eine solche Vielfalt an Gesichtern und Stilen zu sehen. Und es gibt kein „Altern“mehr. Schauen Sie sich Naomi Campbell, Kate Moss, Amber Valletta oder Cindy Crawford, Georgina Grenville, Carolyn Murphy und mich an: Wir arbeiten alle weiter.