Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der Kanal der Corona-Schwurbler
Servus TV zeigt zwei Folgen „Corona – auf der Suche nach der Wahrheit“. Unser Medizin-Redakteur geht der Doku auf den Grund.
Bisweilen findet man im Küchenschrank Esswaren, die einen anlachen und doch suspekt wirken. Wo ist das Mindesthaltbarkeitsdatum gedruckt? Sollte ich die Nudeln nicht besser wegwerfen? So ähnlich geht es einem bei den beiden Dokumentationen von Servus TV, die schon vor Wochen unter dem magnetischen Titel „Corona – auf der Suche nach der Wahrheit“mit Folge eins und Folge zwei gedreht wurden und jetzt im Internet zu finden sind. Der österreichische Sender hat einen einschlägig bekannten Skeptiker der Branche gebeten, weltweit Gesinnungsgenossen einzusammeln und vor die Kamera zu holen. Es handelt sich um den österreichischen Mikrobiologen und Virologen Martin Haditsch.
Haditsch hat sich schon früh in der Corona-Pandemie positioniert, die Arbeit des Robert-KochInstituts „fragwürdig“genannt und PCR-Tests bei Gesunden als „ungeeignet“bezeichnet. Haditsch schuf sich viele Gegner – doch fand er auch Zuspruch bei Kollegen, die sich durch ähnliche Thesen profiliert und eine zurückhaltende oder gar widersprechende Haltung zur Corona-Politik ihrer Länder eingenommen haben.
Aber manche sind rückhaltlos von gestern. Wie kann es sonst sein, dass ausgerechnet das früh aus der Wissenschaftsdebatte ausgeschiedene Malaria-Mittel Hydroxychloroquin hier von dem US-Kardiologen Peter McCullough dermaßen beweihräuchert wird, als sei es ein Segen in der Covid-19-Bekämpfung? Das Medikament, das Donald Trump laut feierte, bevor alle Fachleute vor ihm zu warnen begannen, gilt als ungeeignet für die Behandlung. Das sagen sämtliche Studien. Und eine neue Auswertung des Universitätsklinikums Basel warnt sogar davor.
Jener Peter McCullough preist aber auch Ivermectin, das Parasitenmedikament. Auf vielen Seiten im Internet von eher halbseidener Machart wird es als Allheilmittel gegen Covid-19 ausgewiesen, dabei ist der Hype wissenschaftlich nicht haltbar. Eine aktuelle Metaanalyse des Universitätsklinikums Würzburg beweist das. Allerdings werden weitere Studien gefordert; die bisherigen böten, so heißt es, teilweise eine Fehleinschätzung der sogenannten Effektstärke, ein häufiger Fehler in der Medizinstatistik.
Man bekommt außerdem ein sehr ungutes Gefühl, wenn der US-amerikanische Intensivmediziner Pierre
Korry in Folge eins der Sendung darauf hinweist, dass es sogar „ein besseres Medikament als Ivermectin“gebe. Den Namen aber nennt er nicht (bei Sendeminute 01:19:35). Warum verschweigt er ihn? Meint er Remdesivir? Meint er ein Steroid wie Dexamethason? Oder meint er einen monoklonalen Antikörper?
Man erfährt es nicht. Stattdessen wird mit viel Bohei ein Laborversuch simuliert, bei dem Ivermectin das Sars-CoV-2-Virus („eine fantastische Neuigkeit, Herr Professor“) angeblich eliminiert. Ja, im Labor funktionieren 99 Prozent aller Studien, die später beim Menschen abgebrochen werden mussten.
In der Welt der Servus-Helden herrscht ein raunender Ton. Schon der Erzähler wurde nach dem Grad des Beschwörungsfaktors seiner Stimme ausgesucht, jeder einzelne Facharzttitel der Interviewpartner wird ausführlich deklamiert. Ihnen wird Ehrfurcht zuteil, zumal Haditsch selbst jede Frage brav von einem Zettel abliest – sofern er im Gespräch mit den Kollegen nicht selbst den Arztkittel anzieht. Man spürt schnell, dass der Zweiteiler voreingenommen an die Materie herangeht. Seine These: In den Medien werde fälschlich „der Eindruck einer tödlichen Krankheit“erzeugt, Grundrechte würden beschnitten. Die Sendungen wollen hinterfragen und angebliche Versäumnisse aufarbeiten.
Das Problem ist, dass Servus TV die Experten teilweise so früh interviewt hat, dass allein der derzeitige Blick auf Statistiken zeigt, wie sehr sie sich geirrt haben und wie falsch oder haltlos ihre Aussagen und Prognosen damals
Wirklich beunruhigend ist, dass bei Servus TV auch Grundwahrheiten der Virologie bestritten werden
waren. So bezeichnet der Stanford-Professor Jay Bhattacharya die weltweiten Lockdowns als den größten gesundheitspolitischen Fehler überhaupt und rühmt, dass es ihm zu danken sei, dass Covid-19 in Florida kein Thema sei. Nun, da kannte er die derzeitige, die höchste Welle noch nicht, die den US-Bundesstaat momentan heimsucht. Im August 2021 gab es dort an jedem Tag mehr als 20.000 Neuinfektionen, an jedem Tag mehrere Hundert CoronaTote; vollständig geimpft sind in Florida (Stand Ende August) nur knapp 53 Prozent der Bevölkerung.
Wirklich beunruhigend ist, dass bei Servus TV auch virologische Grundwahrheiten ohne jeden Widerspruch bestritten werden. Von der Influenza-Grippe bekannt ist die Tatsache, dass betroffene Patienten bereits ansteckend sind, bevor sie Symptome entwickeln. Das ist bei Sars-CoV-2 nicht anders. Wenn nun allerdings mehrere Wissenschaftler den „Unsinn“beklagen, dass „gesunde
Menschen per PCR getestet“werden, dann verschweigen sie die teilweise massive Anflutung der Viruslast schon in der Inkubationszeit. Das bedeutet für den Patienten letzlich: Er fühlt sich pumperlgesund, ist aber bereits hochinfektiös. Mike Yeadon, der früher beim Pharmakonzern Pfizer arbeitete, sagt wörtlich: „Die asymptomatische Übertragung von Coronaviren ist eine haarsträubende Idee.“Haarsträubend daran ist, dass Yeadon das wirklich sagt.
Nicht fehlen dürfen in diesem Panoptikum die dramatisch blondierten Sprecherinnen des US-Nachrichtensenders „Fox News“(Donald Trumps damaligem Hauskanal), die sich über jede Warnung vor einem mutierten Virus lustig machen: Das sei „reine Panikmache“. Haditsch erweist aber auch einem einsamen Impfer Reverenz: Winfried Stöcker, der im Baukastenprinzip einen Impfstoff gebastelt haben will, indem er ein Antigen herstellte und sich und 60 andere Menschen damit angeblich immunisierte. Dabei umging er das zuständige Paul-Ehrlich-Institut, indem er gar keine Genehmigung einholte; nun hat er mehrere Strafanzeigen zu erledigen. Dabei hat das Institut die Wirksamkeit gar nicht bestritten und auch nicht überprüft, es hat nur den potenziell lebensgefährlichen Verfahrensfehler moniert. Es darf eben nicht jeder einen Impfstoff herstellen, auch wenn ihn danach gelüstet. Stöcker bekommt derzeit viel Rückendeckung aus einschlägiger Ecke; 2019 spendete er 20.000 Euro an die AfD. Juristisch vertreten wird er aber vom FDP-Politiker Wolfgang Kubicki.
Keineswegs bieten die beiden Sendungen ausschließlich Halbwahrheiten. Sobald eine ehrbare Universität wie diejenige in Graz ins Spiel kommt, werden fachliche Aspekte sauber referiert. Und es bestreitet auch kein Mensch, dass jeder Lockdown je nach Ausprägung ein sehr hartes Instrument ist, das Existenzen vernichten und Menschen in den Ruin treiben kann, von psychischen Folgen für alle Generationen ganz zu schweigen. Aber sobald Haditsch seine Ideologie aufs Spielfeld treibt und damit seinen Wunsch, politische Entscheidungen der Pandemiebekämpfung kategorisch für indiskutabel oder gar gesetzwidrig zu halten, schießt Servus TV übers Ziel hinaus. Aber das war wohl der Plan: Fernsehen zu bieten als Sammelbecken, als flimmernde Stellvertreter-Demo für Zweifler und Leugner.
Haltbarkeitsdatum abgelaufen. Ungenießbar. Am besten, Servus TV löscht alles.