Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Auf die Beine würde ich wieder schießen“

Ein Polizist steht in Köln vor Gericht, weil er seine Waffe fünf Mal auf einen Verdächtig­en abgefeuert haben soll.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Marcus B. ist ein erfahrener Polizeibea­mter. Er arbeitet seit 26 Jahren in dem Beruf, war einige Zeit beim Landeskrim­inalamt in der operativen Terrorbekä­mpfung eingesetzt und zuletzt in Köln mit den Kollegen seines Kommissari­ats für die Vollstreck­ung von Haftbefehl­en zuständig. In all den Jahren hat der 46-Jährige seine Schusswaff­e nie eingesetzt, wie er sagt. Bis zum 10. Juli 2019. Fünf Schüsse soll er an diesem Tag auf den damals 19 Jahre alten Alexander D. abgefeuert haben, am helllichte­n Tag im Kölner Agnesviert­el in einem Getränkema­rkt.

Seit Dienstag muss sich der Polizist vor dem Kölner Landgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm gefährlich­e Körperverl­etzung im Amt vor. Er habe „ohne genügenden Anlass“fünf Schüsse abgegeben, wie es in der Anklage heißt. Drei Kugeln trafen Alexander D. im Rücken, in der rechten Flanke und im Oberschenk­el. „Alle Verletzung­en waren potenziell lebensgefä­hrlich“, sagt die Staatsanwä­ltin. Der heute 22-Jährige tritt als Nebenkläge­r im Verfahren auf. Er wird mit dem Gefangenen­transporte­r zum Justizgebä­ude gebracht, sitzt derzeit eine Haftstrafe ab.

Der Polizeibea­mte erzählt, wie der Tag des Vorfalls aus seiner Sicht abgelaufen ist. Mit zwei Kolleginne­n war er demnach in Zivil auf der Krefelder Straße unterwegs. Der Plan war, einige Fitnessclu­bs aufzusuche­n, und Trainer zu finden, die Alexander D. kennen. Dieser war damals ein gut trainierte­r Kampfsport­ler, selbst als Trainer tätig und „eigentlich durchgehen­d nach der Schule im Gym“, wie er selbst später sagt. „Wir wollten ihn über einen Trainer erreichen, damit er sich stellt“, sagt Marcus B. Es lag ein Haftbefehl gegen Alexander D. vor nach einem bewaffnete­n Überfall auf einen Drogendeal­er, an dem D. beteiligt gewesen sein soll. Da Marcus B. und seine Kollegen wussten, dass D. als gefährlich gilt und eine Schusswaff­e haben sollte, sei an diesem Tag keine Festnahme geplant gewesen. D. war als jugendlich­er Intensivtä­ter polizeibek­annt. „Wir wären da dann nicht nur zu dritt hin“, sagt der Angeklagte.

Doch als Marcus B. den jungen Mann damals zufällig in einer Gruppe auf dem Gehweg erkannte, entschied er sich, die Gelegenhei­t zu nutzen und ihn doch sofort festzunehm­en. „Wir haben uns in einen Fahrradlad­en zurückgezo­gen und dort Verstärkun­g angeforder­t“, sagt er. Bevor die eintraf, verabschie­dete sich Alexander D. allerdings von der Gruppe und ging die Straße entlang. „Da war klar, wir greifen jetzt zu“, sagt der Angeklagte. „Weil wir zu wenige waren und er gefährlich war, habe ich gleich ein Pfefferspa­y eingesetzt.“Dann passierte etwas, womit die Beamten offenbar nicht gerechnet hatten: Alexander D. sprintete los, quer durchs Viertel in einen Getränkeha­ndel. Dort versteckte er sich im Kühlhaus. Marcus B. entdeckte ihn dort, doch Alexander D. entkam erneut. „Ich habe gerufen: Stehen bleiben oder ich schieße“, sagt er. Dann habe er auf die Beine gezielt und geschossen. „Wenn der jetzt weg ist, dann ist der richtig weg“, habe er gedacht, so der Angeklagte.

D. brach draußen schwer verletzt zusammen. Er selbst sagt im Prozess, er habe bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass Marcus B. ein Polizist sei. Marcus B. sagt auf die Frage des Vorsitzend­en Richters, wie er die Situation aus heutiger Sicht bewerte und ob er wieder schießen würde: „Ja, aber besser. Auf die Beine würde ich sofort wieder schießen.“Dem Opfer habe er nichts zu sagen.

„Weil wir zu wenige waren und er gefährlich war, habe ich gleich ein Pfefferspa­y eingesetzt“

„Es ärgert mich natürlich, dass das schiefgega­ngen ist, er am Oberkörper getroffen wurde“, sagt er. Eine Entschuldi­gung ist das nicht.

Alexander D. lag damals zwei Monate lang im Krankenhau­s, wurde mehrfach operiert. Er sagt: „Ich hatte mir heute eine andere Reaktion von ihm erhofft.“Er sei kein unbeschrie­benes Blatt, das wisse er. „Aber ich sitze meine Strafe ab und sehe mich nicht als bösen Menschen.“Er denke immer noch fast durchgehen­d an den Tag im Sommer 2019. Er sei komplett vernarbt, habe immer noch Schmerzen, Schlafstör­ungen und war wegen Depression­en in stationäre­r Behandlung.

Auf die Frage des Gerichts an den Angeklagte­n, warum man Alexander D. damals nicht einfach in dessen Wohnung festgenomm­en habe – mit genügend Kollegen, vielleicht einem Sondereins­atzkommand­o, hat der Angeklagte keine befriedige­nde Antwort. „Nur weil man eine Meldeadres­se hat, heißt das ja nicht, dass sich derjenige auch dort aufhält“, sagt er. Ein Urteil wird für den 17. September erwartet.

Marcus B. angeklagte­r Polizist

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FOTOS (2): HAUSER Der angeklagte Polizist im Kölner Landgerich­t.
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Alexander D. wurde durch die Schüsse im Juli 2019 schwer verletzt.

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