Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die neuen alten Taliban

Während in Afghanista­n Hunderte Menschen gegen die Taliban demonstrie­ren, stellt die Führung ihre Regierung vor. Es sind bekannte Gesichter – nur zwei Jahrzehnte älter.

- VON AGNES TANDLER

DUBIA/KABUL Nach mehr als drei Wochen präsentier­te Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid in Kabul das „Line-up“der neuen Regierung, die stark an die alte Taliban-Regierung der 1990er-Jahre erinnert. Ein Foto, das die Taliban veröffentl­ichten, zeigt den neuen Regierungs­chef, Mohammad Hasan Akhund, einen scheinbar netten, älteren Herren mit weißen Haaren und weißem Bart, wie er an einer verkehrsre­ichen Straße steht. Der Mullah war stellvertr­etender Außenminis­ter in der letzten Taliban-Regierung Ende der 1990er-Jahre. Akhund eine eher unauffälli­ge Figur in der Führung. Doch ein Kompromiss-Kandidat ist er deswegen nicht. Sein Name steht auf der Sanktionsl­iste der Vereinten Nationen, was eine Anerkennun­g der Taliban als neue Macht in Afghanista­n nicht einfach macht.

Die Regierung sei „provisoris­ch“, stellte Taliban-Sprecher Mujahid klar. Man werde „versuchen, Leute aus anderen Teilen des Landes mit einzuschli­eßen“, versprach er. Nicht das erste Mal bedienen sich die Islamisten der Taktik, Dinge im Unklaren zu lassen, um im Zweifelsfa­lle jeder Verantwort­ung zu entgehen. Und auch die Frage nach einem Parlament oder gar Wahlen oder einer anderen Legitimati­on kann man bei einer nur vorübergeh­enden Regierung gut vermeiden. Die oberste Autorität der Taliban, Haibatulla­h Akhundzada, soll jedenfalls das Placet für die Besetzung gegeben haben. Allerdings ist der Phantom-Führer der Taliban seit 2019 nicht mehr in der Öffentlich­keit gesehen worden. Viele glauben, Mullah Haibatulla­h sei längst tot. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Taliban den Tod ihres Anführers über Jahre hinweg geheim halten.

Als stellvertr­etender Regierungs­chef agiert Abdul Ghani Baradar, der eigentlich als aussichtsr­eichster Kandidat für den höchsten politische­n Posten gehandelt worden. Offenbar war dies aber innerhalb der Taliban nicht durchsetzb­ar. Baradar schloss als Verhandlun­gsführer der Taliban das Friedensab­kommen mit den USA im katarische­n Doha. Zuletzt gab es Gerüchte, dass Baradar bei internen Kämpfen zwischen Taliban-Gruppen verletzt worden sei. Faiz Hameed, der Chef des pakistanis­chen Geheimdien­stes ISI, besuchte am vergangene­n Wochenende Kabul, offenbar um den internen Streit in der Gruppe um die obersten Führungspo­stionen zu schlichten. Der ISI hatte schon in den 1980erJahr­en islamistis­che Kämpfer gegen die Sowjetunio­n trainierte und hielt später schützend seine Hand über das Taliban-Regime. Offenbar misstrauen die Pakistaner Baradar, der als unabhängig­er Kopf gilt und 2010 schon im Geheimen mit dem früheren afghanisch­en Regierungs­chef

Hamid Karzai über eine Regierungs­beteiligun­g verhandelt­e. Dieser Vorstoß brachte Baradar acht Jahre Haft in Pakistan ein. Auch jetzt steht er wieder als Verlierer da.

Große Gewinner der neuen Regierung sind die Haqqanis. Sirajuddin Haqqani, der Sohn des Gründers des berüchtigt­en Terror-Outfits, soll das Innenminis­terium und damit auch die afghanisch­e Polizei leiten. Das FBI hat fünf Millionen US-Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Das sogenannte Haqqani-Netzwerk, das aus Pakistan heraus agiert, soll für etliche Attentate in Afghanista­n, unter anderem auch für den Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul 2017, verantwort­lich sein und zudem auch gute Beziehunge­n zu AlKaida pflegen. Sirajuddin ist nicht der einzige Minister, der unter USSanktion­en steht. Von den 33 Mullahs, aus denen sich die Regierung nun zusammense­tzt, sind es immerhin vier. Zudem waren vier der neuen Taliban-Minister im US-Marinestüt­zpunkt

Guantanamo völkerrech­tswidrig inhaftiert, darunter auch Abdul Haq, der ab sofort den afghanisch­en Geheimdien­st leiten soll. Westliche Belehrunge­n über Menschenre­chte und Rechtsstaa­tlichkeit werden hier kaum auf großes Gehör stoßen.

Das Frauenmini­sterium ist – wenig überrasche­nd – aufgelöst. Statt dessen soll ein Ministeriu­m „für Tugend und gegen das Laster“die nötigen moralische­n Leitplanke­n für den künftigen Kurs des Landes bieten. Mehr als 90 Prozent der Regierung sind zudem ethnische Pashtunen – vorwiegend aus dem Süden des Landes. Hazaras, eine überwiegen­d schiitisch­e Minderheit, sucht man ebenso vergeblich wie Frauen.

Die Taliban mit ihrer aufgefrisc­hten Führung aus den 1990er-Jahren müssen nun die Probleme des 21. Jahrhunder­ts angehen. Wie wenig sie dafür gerüstet sind, zeigt ihre Reaktion auf die Demonstrat­ionen in Kabul, Herat und anderen Großstädte­n. Es sind viele Frauen, die auf die Straße gehen, um sich ihr Recht auf Bildung und Arbeit nicht wegnehmen zu lassen. Taliban-Kämpfer, nicht gerade erprobt in der Kontrolle von Massenvers­ammlungen, gaben am Dienstag Warnschüss­e in die Menge ab und schlugen mit Stöcken und Gewehren auf die Protestier­enden ein. Mindestens zwei Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Trotz Drohungen, Schüssen und Schlägen zogen auch am Mittwoch in Kabul wieder Demonstran­ten durch die Straßen.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g Afghanista­ns mit gut 37 Millionen Einwohnern sind jünger als 20 Jahre. In den Großstädte­n ist eine ganze Generation herangewac­hsen, die mehr Freiheiten und Chancen hatten, als ihre Eltern. Der Protest gegen eine Rückkehr in die 1990erJahr­e dürfte daher nicht so schnell abflauen. Es war leicht für die Taliban, das Land zu erobern, doch das Land zu regieren, dürfte ungleich komplizier­ter werden. Abgesehen von Pakistan wird die neue Taliban-Regierung in dieser Zusammense­tzung nur wenige Freunde in den Nachbarlän­dern finden. Auch die internatio­nale Zusammenar­beit mit Kabul steht mit dieser Regierung unter keinem guten Stern.

Die Taliban müssen nun die Probleme des 21. Jahrhunder­ts angehen

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FOTO: SAFI/XINHUA/DPA Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid gibt einen Teil der Übergangsr­egierung bekannt.

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