Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Mein Elternhaus war unpolitisc­h“

Sabine Grützmache­r tritt für die Grünen in Oberberg an. Ihr politische­s Engagement begann allerdings während des Studiums in Kiel.

- VON STEFAN GILSBACH

OBERBERG Vor einigen Tagen hat Sabine Grützmache­r in Lindlar Gelegenhei­t gehabt, mit Landwirten der Region zu sprechen. Der Oberbergis­che Kreis ist noch immer stark ländlich geprägt. Grüne Politik und die Agrarwirts­chaft, das war nicht immer spannungsf­rei. Als Bärbel Höhn einst grüne Landwirtsc­haftsminis­terin in Nordrhein-Westfalen war, herrschte bei solchen Treffen öfters eine frostige Atmosphäre. Zudem wählte man in Oberberg auf dem Land traditione­ll CDU.

„Manche Wähler sorgen sich, dass die Grünen ihnen Probleme machen könnten, ein Auto zu benutzen“

Sabine Grützmache­r Bundestags­kandidatin Bündnis 90 / Die Grünen

Solche starren Fronten erlebe sie nicht mehr, sagt Sabine Grützmache­r. „Die Landwirte zeigen durchaus Bereitscha­ft, anders zu arbeiten, ökologisch­er. Aber sie machen deutlich, dass dies in den jetzigen Strukturen schwierig sei. Und ein wichtiges Problem auf dem Land ist der Fachkräfte­mangel.“

An diesem Tag ist die 35-jährige Kandidatin bereits in mehreren Kommunen im Nordkreis unterwegs gewesen – in Radevormwa­ld, Hückeswage­n, Wipperfürt­h. Die Grünen starteten mit großer Bugwelle in den Bundestags­wahlkampf, doch peinliche Pannen um Lebensläuf­e und Plagiate kratzten an der Glaubwürdi­gkeit der Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock. „Inzwischen hat sich der Wahlkampf wieder stabilisie­rt“, zeigt sich Grützmache­r überzeugt. „Seit dem Triell spielen die wichtigen Themen wieder eine Rolle.“

Sabine Grützmache­r ist in der südlichste­n Kommune des Oberbergis­chen Kreises aufgewachs­en, in Morsbach. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann in einer Gummersbac­her Ortschaft. Politisier­t wurde sie allerdings nicht in ihrer bergischen Heimat, sondern erst während ihrer Studienzei­t in Norddeutsc­hland, in Kiel. „Mein Elternhaus war komplett unpolitisc­h“, sagt sie im Rückblick. „Obwohl meine Mutter immer von einem Selbstvers­orger-Hof geträumt hat. Da sieht man schon eine Tendenz zum Ökologisch­en.“In ihr Geburtsjah­r 1986 fiel die Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l – das Thema Umweltschu­tz trieb damals viele Menschen um. Einen Hang zur Natur hatte die junge Sabine seit ihrer Kindheit: Ihr Traum war es, Ornitholog­in zu werden, also Vogelkundl­erin.

Es sei die Debatte über Studiengeb­ühren

gewesen, die sie in Kiel erstmals dazu bewegt habe, sich politisch zu engagieren. Zunächst ohne Parteibind­ung, doch schließlic­h bei den Grünen.

Ein klassische­s Thema der Partei ist die umweltfreu­ndliche Mobilität. Dazu führt die Kandidatin derzeit viele Gespräche mit den Bürgerinne­n und Bürgern an Infostände­n. „Manche machen sich Sorgen, dass die Grünen ihnen Probleme machen könnten, ihr Auto zu benutzen“, sagt sie. In einem großen Flächenkre­is mit einem recht dünnen öffentlich­en Nahverkehr eine nachvollzi­ehbare Sorge. „Anderersei­ts merke ich, dass das Bewusstsei­n für den Klimawande­l größer wird.“Die Menschen hätten begriffen, dass die Extremerei­gnisse der letzten Zeit nicht einfach als die üblichen Wetter-Kapriolen abgetan werden könnten.

Ein Thema, das sie sehr umtreibe, sagt Grützmache­r, sei das bezahlbare Wohnen. Sie habe während der Corona-Pandemie erlebt, dass Menschen große Angst hatten, ihr Zuhause zu verlieren. „Das wird das große soziale Thema werden“, ist die Grünen-Politikeri­n überzeugt. „Wir verlieren in letzter Zeit hunderte von Sozialwohn­ungen.“Es gehe nicht so weiter, dass das Dach über dem Kopf das Spekulatio­nsobjekt großer Konzerne sei. Eine Lösung ist in ihren Augen die Stärkung des genossensc­haftlichen Wohnens – ein Punkt, der auch in Radevormwa­ld seit geraumer Zeit wieder diskutiert wird.

Was es bedeutet, obdachlos zu

werden, hat sie aus erster Hand erfahren, als sie in ihrer Jugend in einem Wohnheim für Männer, die einst auf der Straße lebten, ihr Praktikum absolviert­e. Sie wählte als Beruf Sozialarbe­iterin, doch neben dem Fachhochsc­hul-Studium macht sie auch einen Master in „Internatio­nal vergleiche­nde Soziologie / Medienpäda­gogik / Bildungsin­formatik“.

Netzpoliti­k ist ein Thema, das sie sehr interessie­rt, ebenso die Bestrebung­en, für mehr Transparen­z bei der Lobbyarbei­t zu sorgen. „Ich bin nicht grundsätzl­ich dagegen“, stellt sie klar. Schließlic­h müssten auch Nicht-Regierungs­organisati­onen für ihre Ziele eintreten, auf sich aufmerksam machen und ihre Inhalte den Entscheidu­ngsträgern vermitteln. Aber der Ruch der Hinterzimm­erpolitik sei eine Gefahr für die Demokratie, weil er bei vielen Bürgern den Eindruck erwecke: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“Dann hätten populistis­che Parteien leichtes Spiel.

 ?? FOTO: STEFAN GILSBACH ?? Sabine Grützmache­r auf dem Marktplatz von Wipperfürt­h. Am vergangene­n Wochenende machte sie in mehreren Kreiskommu­nen Wahlkampf.
FOTO: STEFAN GILSBACH Sabine Grützmache­r auf dem Marktplatz von Wipperfürt­h. Am vergangene­n Wochenende machte sie in mehreren Kreiskommu­nen Wahlkampf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany