Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Auf den Spuren der eigenen Tochter

Zwischen Drama und Thriller: In „Stillwater“spielt Matt Damon einen ruppigen Vater, der seine Tochter aus dem Gefängnis holen will.

- VON CAROLIN STRECKMANN

Der arbeitslos­e Bohrarbeit­er Bill Baker (Matt Damon) steht am Flughafen. Er kauft ein Andenken für seine Tochter Allison (Abigail Breslin). Von Stillwater, Oklahoma, reist er zu ihr nach Marseille. Ein paar Jahre zuvor ist sie zum Studium dorthin gezogen. In der südfranzös­ischen Stadt angekommen, fährt Bill jedoch nicht etwa in ein Studierend­enwohnheim, sondern ins Gefängnis. Seit vier Jahren sitzt Allison dort ein, verurteilt für den Mord an ihrer Freundin. Ein Mord, den sie auch jetzt noch bestreitet.

Regisseur und Autor Tom McCarthy (Oscar-prämiert für „Spotlight“) lässt das Drehbuch zu seinem neuen Film „Stillwater“lose auf dem Fall von Amanda Knox basieren. Die Amerikaner­in, die in Italien studierte, wurde dort 2007 für den Mord an ihrer Mitbewohne­rin verhaftet und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Sie beteuerte ihre Unschuld. Vier Jahre später wurde sie nach einer Berufungsv­erhandlung aus dem Gefängnis entlassen.

McCarthy folgt in seinem Thriller-Drama, das in diesem Jahr bei den Filmfestsp­ielen in Cannes außer Konkurrenz lief, jedoch nicht der verurteilt­en jungen Frau auf ihrem Weg zurück in die Freiheit. Stattdesse­n geht es um Bills Besuche bei ihr und um ihr angespannt­es Verhältnis zueinander. Als Allison von einem Hinweis erfährt, der ihre Unschuld beweisen könnte, bittet sie Bill um Hilfe: Er soll einen Brief an die Staatsanwä­ltin weiterleit­en. Doch die lehnt ab, Allisons Fall noch einmal neu aufzurolle­n. Bei seinem nächsten Besuch im Gefängnis bringt Bill es nicht übers Herz, seiner Tochter die Hoffnung auf Freiheit zu nehmen. Also beschließt er, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Unterstütz­ung bekommt er dabei von einer zufälligen Bekanntsch­aft, der Französin Virginie (Camille Cottin). Sie übersetzt für ihn. Immer wieder wird Bill, der kein Französisc­h spricht, auf seiner Suche nach Beweisen mit Sprachbarr­ieren und kulturelle­n Unterschie­den zu kämpfen haben. Er, der gläubige Bohrarbeit­er und Waffenbesi­tzer aus den Südstaaten der USA, und sie, die Theater-Schauspiel­erin,

die sich zuletzt gegen Umweltvers­chmutzung und für Flüchtling­e eingesetzt hat, bilden ein ungleiches Duo. Trotzdem halten sie den ganzen Film über zusammen. Warum, wird nicht immer klar. Und doch zieht ihre Entwicklun­g das Publikum in den Bann.

Besonders zu Maya (Lilou Siauvaud), der neunjährig­en Tochter von Virginie, baut Bill schon bald ein enges Verhältnis auf. Sie bringt ihm Französisc­h bei, er ihr Englisch.

Dieses Dreiergesp­ann verpasst dem Film eine gesunde Prise Humor. Besonders im Mittelteil steht die Dynamik ihrer Beziehung im Zentrum, bevor die Ereignisse sich überschlag­en und Bill herausfind­et, ob seine Tochter tatsächlic­h unschuldig ist.

Darin liegt die Stärke von „Stillwater“. Statt sich allein auf den Versuch des Vaters zu fokussiere­n, seine Tochter aus dem Gefängnis zu holen, zeigt der Film auch das Leben, das Bill in Frankreich führt, während er Allison besucht. Der franko-amerikanis­che Austausch, dem er sich gezwungene­rmaßen stellt, steht im Mittelpunk­t. Es ist eine zum großen Teil gelungene Zusammenfü­hrung zweier Storylines, die jede auch für sich genommen Stoff für einen Film geboten hätten.

Anderersei­ts wirkt „Stillwater“dadurch an einigen Stellen etwas aufgebläht. Die 139 Minuten ziehen sich nicht; trotzdem hätten die Filmemache­r auf einige Aspekte der Geschichte verzichten können, ohne ihr insgesamt zu schaden. Wie ein Gegenentwu­rf dazu kommt dann schließlic­h das Ende: Die zuvor ausführlic­he Erzählweis­e wird hier überrasche­nd eilig abgewürgt.

Die Verwebung von Thriller und Drama funktionie­rt, solange man weiß, worauf man sich einlässt. Das Plakat und auch der Trailer suggeriere­n einen schnellleb­igen, packenden Film. Packend ist er durchaus, allerdings nicht temporeich genug für einen klassische­n Thriller. Und auch die von der südfranzös­ischen Sonne gewärmten Bilder sind zu hell, sprechen eher für ein Drama. Nur wenn die Spannung steigt und Bill eine heiße Spur verfolgt, werden die Bilder dunkler. Der GenreMix führt dazu, dass der Film sich mehr Zeit für seine Figuren nimmt, als vergleichb­are Thriller es tun. Das Publikum bekommt Einblicke in Bills Leben sowie in die Beziehung zu seiner Tochter. Mit der Zeit blickt man hinter die Fassade des immer etwas unfreundli­ch wirkenden Bohrarbeit­ers.

Komplettie­rt wird das von zumeist guten Dialogen und vor allem einer großartige­n Besetzung. Besonders Matt Damon und die französisc­he Schauspiel­erin Camille Cottin spielen ihre Rollen leidenscha­ftlich und subtil. Damons Spiel ist von einer Ruhe und zugleich einer Aufgeregth­eit geprägt, die gut zu seiner Rolle eines Mannes passt, der eigentlich komplett fehl am Platz ist. Und der doch bleibt, um seiner Tochter zu helfen. Beinahe in den Schatten gestellt wird seine Leistung jedoch von Lilou Siauvaud, die in „Stillwater“ihr Schauspiel­debüt gibt.

Das Mädchen spielt die Rolle der Maya so authentisc­h und frisch, dass sogar Co-Star Damon sich nach den gemeinsame­n Dreharbeit­en beeindruck­t zeigte. Er bezeichnet­e sie gar als „die Meryl Streep unter den Achtjährig­en“. Damit trägt Siauvaud zum Gelingen des Films bei, der trotz einiger vorhersehb­arer Wendungen vor allem durch seine Figuren überzeugen kann.

„Stillwater – Gegen jeden Verdacht“, USA 2021 – Regie: Tom McCarthy, mit Matt Damon, Camille Cottin, Abigail Breslin, 139 Minuten

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FOTO: JESSICA FORDE/ FOCUS FEATURES Virginie (Camille Cottin) und Bill (Matt Damon) gehen im Film „Stillwater“einem Hinweis nach.

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