Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Urteil überrascht Landesregi­erung

Das Innenminis­terium will prüfen, ob es Sinn macht, einen Antrag zu stellen, damit das Gerichtsve­rfahren zur Räumung des Hambacher Forsts vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht Münster neu aufgerollt wird.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die rechtswidr­ige Räumung des Hambacher Forsts hat weithin Empörung ausgelöst. „Jetzt ist es amtlich, dass Armin Laschet den Hambacher Forst unter einem rechtswidr­igen Vorwand hat räumen lassen, um RWE einen wirtschaft­lichen Gefallen zu tun“, sagte Grünen-Bundestags­fraktionsv­ize Oliver Krischer. Dabei habe aus energiewir­tschaftlic­her Sicht dazu gar keine Notwendigk­eit bestanden. „Vor dem sich abzeichnen­den Kohleausst­ieg wollte RWE Fakten schaffen und fand in der NRW Landesregi­erung bereitwill­ige Büttel, die unter falschen Behauptung­en den größten, teuersten und gleichzeit­ig sinnlosest­en Polizeiein­satz der Landesgesc­hichte ausgelöst haben“, meint der Grünen-Politiker. Die Einsatzkos­ten von mindestens 50 Millionen Euro für die vielen Tausend Polizisten stünden jetzt ohne rechtliche Grundlage im Raum. Eine Erklärung und Entschuldi­gung als erste Schritte seien das mindeste, was Armin Laschet und sein Innenminis­ter Herbert Reul (beide CDU) jetzt leisten müssten. Politiker der Linksparte­i forderten Laschets Rücktritt.

Das Kölner Verwaltung­sgericht hatte den Einsatz zur Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst am Mittwoch für rechtswidr­ig erklärt. Zur Begründung führten die Richter aus, die Maßnahme leide an verschiede­nen rechtliche­n Mängeln. Vor allem sei aus der Weisung des Landesbaum­inisterium­s erkennbar, dass die Räumungsak­tion letztlich der Entfernung der Braunkohle­gegner aus dem Hambacher Forst gedient habe. Das aber sei nicht Zweck der angewandte­n baurechtli­chen Regelungen zum Brandschut­z, „die insofern nur vorgeschob­en worden seien“. Zudem sei vor Erteilung der Weisung nicht hinreichen­d geprüft worden, welche der Anlagen bauliche Anlagen im Rechtssinn seien und damit überhaupt von den Bestimmung­en des Brandschut­zes erfasst würden.

Die Landesregi­erung hatte unter anderem die Stadt Kerpen 2018 angewiesen, den Forst zu räumen. Die Kommune hatte dieser Weisung schon damals nur widerwilli­g Folge geleistet. Gegen das Kölner Urteil kann die Landesregi­erung noch die Zulassung der Berufung beim Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Münster beantragen. Geklagt hatte der Bewohner eines Baumhauses.

Im NRW-Innenminis­terium zeigten sie sich überrascht: „Diese Entscheidu­ng überrascht insofern, als dass die gleiche Kammer die baurechtli­che Verfügung 2018 intensiv geprüft und für rechtmäßig befunden hatte.“Nachdem das OVG die Räumung 2018 ausdrückli­ch erlaubt habe, werde es die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts möglicherw­eise noch nachprüfen.

Das Verwaltung­sgericht widersprac­h dieser Darstellun­g am Donnerstag: Die Kammer habe 2018 im Eilverfahr­en binnen eines Tages entscheide­n müssen, weil der Eilantrag erst am 13. September eingegange­n sei „und damit an dem Tag, an dem die Räumung begonnen hatte“, teilte der Vorsitzend­e Richter am VG Köln, Michael Ott, unserer Redaktion mit. Dementspre­chend habe das Gericht über den Eilantrag aufgrund des Zeitdrucks unmittelba­r noch am selben Tag entscheide­n müssen: „Die Prüfung war daher vor allem auf einer nur sehr unvollstän­digen tatsächlic­hen Grundlage möglich.“Die Akten zu dem gesamten Vorgang hätten 2018 gar nicht vorgelegen. Diese habe die Kammer des VG erst jetzt für ihre Entscheidu­ng im Klageverfa­hren heranziehe­n können. Auch das 2018 ebenfalls herangezog­ene OVG habe in seiner ersten Entscheidu­ng ausdrückli­ch erklärt, die tatsächlic­he und rechtliche Prüfung der Räumung könne erst im weiteren Klageverfa­hren entschiede­n werden.

Die Landesregi­erung erwägt nach eigenen Angaben dennoch, Berufung gegen das Kölner Urteil zu beantragen: „Wir warten jetzt die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung ab und werden diese genau prüfen“, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums. Die Frist dafür beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung des schriftlic­hen Urteils.

Der emeritiert­e Staatsrech­tler Christoph Degenhart sieht gute Chancen dafür, dass die Landesregi­erung

in Berufung gehen kann: „Wenn die Landesregi­erung die Zulassung zur Berufung beantragt, wird sie damit voraussich­tlich Erfolg haben, weil die Sache von grundlegen­der Bedeutung ist.“Das Verfahren werde dann vom OVG Münster ganz neu aufgerollt.

Unabhängig vom jüngsten Gerichtsur­teil könnte auf die Landesregi­erung noch ein weiteres juristisch­es Problem im Zusammenha­ng mit der Räumung zukommen: Schadenser­satzansprü­che. Dazu Degenhart: „Ob ein Schadeners­atzanspruc­h gegen die Landesregi­erung entsteht, hängt vom konkreten Handeln im Einzelfall ab.“Bei den Räumungsak­tionen war ein Blogger ums Leben gekommen, mehrere Menschen wurden verletzt.

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FOTO: JANA BAUCH/DPA Mitarbeite­r von RWE stehen während der Räumung vor Baumhäuser­n der Umweltakti­visten.

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