Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Urteil überrascht Landesregierung
Das Innenministerium will prüfen, ob es Sinn macht, einen Antrag zu stellen, damit das Gerichtsverfahren zur Räumung des Hambacher Forsts vor dem Oberverwaltungsgericht Münster neu aufgerollt wird.
DÜSSELDORF Die rechtswidrige Räumung des Hambacher Forsts hat weithin Empörung ausgelöst. „Jetzt ist es amtlich, dass Armin Laschet den Hambacher Forst unter einem rechtswidrigen Vorwand hat räumen lassen, um RWE einen wirtschaftlichen Gefallen zu tun“, sagte Grünen-Bundestagsfraktionsvize Oliver Krischer. Dabei habe aus energiewirtschaftlicher Sicht dazu gar keine Notwendigkeit bestanden. „Vor dem sich abzeichnenden Kohleausstieg wollte RWE Fakten schaffen und fand in der NRW Landesregierung bereitwillige Büttel, die unter falschen Behauptungen den größten, teuersten und gleichzeitig sinnlosesten Polizeieinsatz der Landesgeschichte ausgelöst haben“, meint der Grünen-Politiker. Die Einsatzkosten von mindestens 50 Millionen Euro für die vielen Tausend Polizisten stünden jetzt ohne rechtliche Grundlage im Raum. Eine Erklärung und Entschuldigung als erste Schritte seien das mindeste, was Armin Laschet und sein Innenminister Herbert Reul (beide CDU) jetzt leisten müssten. Politiker der Linkspartei forderten Laschets Rücktritt.
Das Kölner Verwaltungsgericht hatte den Einsatz zur Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst am Mittwoch für rechtswidrig erklärt. Zur Begründung führten die Richter aus, die Maßnahme leide an verschiedenen rechtlichen Mängeln. Vor allem sei aus der Weisung des Landesbauministeriums erkennbar, dass die Räumungsaktion letztlich der Entfernung der Braunkohlegegner aus dem Hambacher Forst gedient habe. Das aber sei nicht Zweck der angewandten baurechtlichen Regelungen zum Brandschutz, „die insofern nur vorgeschoben worden seien“. Zudem sei vor Erteilung der Weisung nicht hinreichend geprüft worden, welche der Anlagen bauliche Anlagen im Rechtssinn seien und damit überhaupt von den Bestimmungen des Brandschutzes erfasst würden.
Die Landesregierung hatte unter anderem die Stadt Kerpen 2018 angewiesen, den Forst zu räumen. Die Kommune hatte dieser Weisung schon damals nur widerwillig Folge geleistet. Gegen das Kölner Urteil kann die Landesregierung noch die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster beantragen. Geklagt hatte der Bewohner eines Baumhauses.
Im NRW-Innenministerium zeigten sie sich überrascht: „Diese Entscheidung überrascht insofern, als dass die gleiche Kammer die baurechtliche Verfügung 2018 intensiv geprüft und für rechtmäßig befunden hatte.“Nachdem das OVG die Räumung 2018 ausdrücklich erlaubt habe, werde es die Entscheidung des Verwaltungsgerichts möglicherweise noch nachprüfen.
Das Verwaltungsgericht widersprach dieser Darstellung am Donnerstag: Die Kammer habe 2018 im Eilverfahren binnen eines Tages entscheiden müssen, weil der Eilantrag erst am 13. September eingegangen sei „und damit an dem Tag, an dem die Räumung begonnen hatte“, teilte der Vorsitzende Richter am VG Köln, Michael Ott, unserer Redaktion mit. Dementsprechend habe das Gericht über den Eilantrag aufgrund des Zeitdrucks unmittelbar noch am selben Tag entscheiden müssen: „Die Prüfung war daher vor allem auf einer nur sehr unvollständigen tatsächlichen Grundlage möglich.“Die Akten zu dem gesamten Vorgang hätten 2018 gar nicht vorgelegen. Diese habe die Kammer des VG erst jetzt für ihre Entscheidung im Klageverfahren heranziehen können. Auch das 2018 ebenfalls herangezogene OVG habe in seiner ersten Entscheidung ausdrücklich erklärt, die tatsächliche und rechtliche Prüfung der Räumung könne erst im weiteren Klageverfahren entschieden werden.
Die Landesregierung erwägt nach eigenen Angaben dennoch, Berufung gegen das Kölner Urteil zu beantragen: „Wir warten jetzt die schriftliche Urteilsbegründung ab und werden diese genau prüfen“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Frist dafür beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung des schriftlichen Urteils.
Der emeritierte Staatsrechtler Christoph Degenhart sieht gute Chancen dafür, dass die Landesregierung
in Berufung gehen kann: „Wenn die Landesregierung die Zulassung zur Berufung beantragt, wird sie damit voraussichtlich Erfolg haben, weil die Sache von grundlegender Bedeutung ist.“Das Verfahren werde dann vom OVG Münster ganz neu aufgerollt.
Unabhängig vom jüngsten Gerichtsurteil könnte auf die Landesregierung noch ein weiteres juristisches Problem im Zusammenhang mit der Räumung zukommen: Schadensersatzansprüche. Dazu Degenhart: „Ob ein Schadenersatzanspruch gegen die Landesregierung entsteht, hängt vom konkreten Handeln im Einzelfall ab.“Bei den Räumungsaktionen war ein Blogger ums Leben gekommen, mehrere Menschen wurden verletzt.