Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Warum Europas Christdemo­kratie zittert

Eigentlich will sich die Europäisch­e Volksparte­i für die Herausford­erungen bei Klima, Corona und Migration bei ihrem Treffen in Berlin aufstellen. Doch jeder zweite Gedanke gilt dem drohenden Verlust des Kanzleramt­es in Deutschlan­d.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Als sich der Fraktionsc­hef der europäisch­en Konservati­ven und Christdemo­kraten im EU-Parlament, Manfred Weber, vor Monaten entschloss, zur Klausur seiner Europäisch­en Volksparte­i (EVP) nach Berlin zu gehen, war dies mit der Erwartung verbunden, UnionsKanz­lerkandida­t Armin Laschet noch ein wenig zusätzlich­en Rückenwind für den Sprung ins Kanzleramt zu geben. Doch angesichts des anhaltende­n negativen Trends ist das von viel Regierungs-Prominenz begleitete EVP-Treffen nun mit viel Zittern verbunden: Was wird aus der europäisch­en Christdemo­kratie, wenn im stärksten Mitgliedsl­and die Union aus der Regierung fliegt?

Nicht zuletzt die neue Ersatz-Karrierepl­anung von Gastgeber Weber hängt damit zusammen. Er hätte in Kürze das prestigetr­ächtige Amt des EU-Parlaments­präsidente­n für die zweite Hälfte der Wahlperiod­e übernehmen können. Anders als von vielen erwartet, kündigte er nun aber an, stattdesse­n für das Amt des EVPParteiv­orsitzende­n zu kandidiere­n, wenn Donald Tusk diesen Posten räumt, um sich auf den Wahlkampf in Polen zu konzentrie­ren.

Es wäre für Weber ein Amt mit weniger öffentlich­er Wahrnehmun­g, dafür aber mit deutlich mehr Einfluss. Der Chef dieser europäisch­en Parteienfa­milie koordinier­t etwa, wie sich die konservati­v regierten Staaten vor EU-Gipfeltref­fen aufstellen. Weber wäre dann auf Augenhöhe mit Staats- und Regierungs­chefs, nachdem er von diesen nach den jüngsten EU-Wahlen als Spitzenkan­didat auf dem Sprung zum EU-Kommission­spräsident­en fallengela­ssen worden war. Ein wichtiger Schritt, um in gut zwei Jahren bei den nächsten Landtagswa­hlen in Bayern auch als CSU-Vize eine wachsende Rolle zu spielen.

Aber – Weber wäre ein König mit schrumpfen­dem Land, wenn es Laschet nicht schafft. Wenn seine EVP nur noch sieben Regierunge­n in Europa stellt, gibt es wenig zu koordinier­en, vor allem, wenn diese nicht zu den größten Staaten gehören. Einer von ihnen: Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Er wird zwar in Berlin gebeten, vor den EVP-Abgeordnet­en über die wichtigste­n Aufgaben für die Zukunft Europas zu referieren. Doch er sagt vor allem: „Wenn wir über die Zukunft der Europäisch­en Union sprechen, kommt es zunächst einmal darauf an, wie es in Deutschlan­d weitergeht.“Eine Linksregie­rung würde nicht nur ein anderes Deutschlan­d, sondern auch ein anderes Europa bedeuten.

Auch Weber warnt davor, dass eine linke Regierung in Deutschlan­d „eher zur Vertiefung von Spaltungen“in Europa führen würde. Ein regelmäßig­er Gast lässt in Berlin deutlich werden, welch gewaltiger Einschnitt selbst dann bevorsteht, wenn es Laschet doch noch schaffen sollte: Angela Merkel skizziert die Grundlagen der EU-Nachbarsch­aftspoliti­k, über die ambitionie­rten Klimaschut­zziele, über die Aufgaben bei der Migration – so wie es die Kanzlerin in ihrer EVP seit Jahren getan hat. Doch in wenigen Wochen ist es damit für die EVP vorbei. Dann fehlt ihr die einflussre­ichste Figur auf europäisch­er Ebene. Manche rechnen damit, dass das absehbare deutsche Machtvakuu­m sowohl von Emmanuel Macron in Frankreich als auch von Viktor Orbán in Ungarn genutzt werden dürfte, um mit und gegen Europa für sich selbst Wahlkampf zu machen.

Die Entwicklun­g des Wahlkampfe­s

in Deutschlan­d schlägt beim EVP-Treffen vielen auf den Magen. Am Morgen hat sich der aus Bayern zugeschalt­ete Ministerpr­äsident Markus Söder auf die Europapoli­tik konzentrie­rt. Doch zugleich waberten die Agenturmel­dungen durch das Berliner Kongressho­tel Interconti, wonach Söder Laschet weiter unter Druck setzt, assistiert von seinem Generalsek­retär Markus Blume, für den die Union mit einem Kandidaten Söder nun besser dastünde. Sogleich twittert der EVP-Abgeordnet­e Dennis Radtke vom Treffen in Berlin: „Wie stünde ein Markus Söder da, wenn die CDU ein Verständni­s von Teamplay hätte wie Blume und Söder in den letzten Wochen?“

Weber sagt öffentlich voraus, dass vom CSU-Parteitag am Wochenende die Botschaft einer geschlosse­nen Union ausgehe, die gemeinsam den Erfolg von Laschet wolle. Doch wenig später sagt er in der Klausur zu den Abgeordnet­enkollegen, es gebe in Deutschlan­d jetzt „die große Gefahr, dass Ex-Kommuniste­n wieder in die Regierung kommen“.

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IMAGO FOTO: MARTIN BERTRAND/ Manfred Weber in seinem Büro in Brüssel.

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