Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Warum Europas Christdemokratie zittert
Eigentlich will sich die Europäische Volkspartei für die Herausforderungen bei Klima, Corona und Migration bei ihrem Treffen in Berlin aufstellen. Doch jeder zweite Gedanke gilt dem drohenden Verlust des Kanzleramtes in Deutschland.
BERLIN Als sich der Fraktionschef der europäischen Konservativen und Christdemokraten im EU-Parlament, Manfred Weber, vor Monaten entschloss, zur Klausur seiner Europäischen Volkspartei (EVP) nach Berlin zu gehen, war dies mit der Erwartung verbunden, UnionsKanzlerkandidat Armin Laschet noch ein wenig zusätzlichen Rückenwind für den Sprung ins Kanzleramt zu geben. Doch angesichts des anhaltenden negativen Trends ist das von viel Regierungs-Prominenz begleitete EVP-Treffen nun mit viel Zittern verbunden: Was wird aus der europäischen Christdemokratie, wenn im stärksten Mitgliedsland die Union aus der Regierung fliegt?
Nicht zuletzt die neue Ersatz-Karriereplanung von Gastgeber Weber hängt damit zusammen. Er hätte in Kürze das prestigeträchtige Amt des EU-Parlamentspräsidenten für die zweite Hälfte der Wahlperiode übernehmen können. Anders als von vielen erwartet, kündigte er nun aber an, stattdessen für das Amt des EVPParteivorsitzenden zu kandidieren, wenn Donald Tusk diesen Posten räumt, um sich auf den Wahlkampf in Polen zu konzentrieren.
Es wäre für Weber ein Amt mit weniger öffentlicher Wahrnehmung, dafür aber mit deutlich mehr Einfluss. Der Chef dieser europäischen Parteienfamilie koordiniert etwa, wie sich die konservativ regierten Staaten vor EU-Gipfeltreffen aufstellen. Weber wäre dann auf Augenhöhe mit Staats- und Regierungschefs, nachdem er von diesen nach den jüngsten EU-Wahlen als Spitzenkandidat auf dem Sprung zum EU-Kommissionspräsidenten fallengelassen worden war. Ein wichtiger Schritt, um in gut zwei Jahren bei den nächsten Landtagswahlen in Bayern auch als CSU-Vize eine wachsende Rolle zu spielen.
Aber – Weber wäre ein König mit schrumpfendem Land, wenn es Laschet nicht schafft. Wenn seine EVP nur noch sieben Regierungen in Europa stellt, gibt es wenig zu koordinieren, vor allem, wenn diese nicht zu den größten Staaten gehören. Einer von ihnen: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er wird zwar in Berlin gebeten, vor den EVP-Abgeordneten über die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft Europas zu referieren. Doch er sagt vor allem: „Wenn wir über die Zukunft der Europäischen Union sprechen, kommt es zunächst einmal darauf an, wie es in Deutschland weitergeht.“Eine Linksregierung würde nicht nur ein anderes Deutschland, sondern auch ein anderes Europa bedeuten.
Auch Weber warnt davor, dass eine linke Regierung in Deutschland „eher zur Vertiefung von Spaltungen“in Europa führen würde. Ein regelmäßiger Gast lässt in Berlin deutlich werden, welch gewaltiger Einschnitt selbst dann bevorsteht, wenn es Laschet doch noch schaffen sollte: Angela Merkel skizziert die Grundlagen der EU-Nachbarschaftspolitik, über die ambitionierten Klimaschutzziele, über die Aufgaben bei der Migration – so wie es die Kanzlerin in ihrer EVP seit Jahren getan hat. Doch in wenigen Wochen ist es damit für die EVP vorbei. Dann fehlt ihr die einflussreichste Figur auf europäischer Ebene. Manche rechnen damit, dass das absehbare deutsche Machtvakuum sowohl von Emmanuel Macron in Frankreich als auch von Viktor Orbán in Ungarn genutzt werden dürfte, um mit und gegen Europa für sich selbst Wahlkampf zu machen.
Die Entwicklung des Wahlkampfes
in Deutschland schlägt beim EVP-Treffen vielen auf den Magen. Am Morgen hat sich der aus Bayern zugeschaltete Ministerpräsident Markus Söder auf die Europapolitik konzentriert. Doch zugleich waberten die Agenturmeldungen durch das Berliner Kongresshotel Interconti, wonach Söder Laschet weiter unter Druck setzt, assistiert von seinem Generalsekretär Markus Blume, für den die Union mit einem Kandidaten Söder nun besser dastünde. Sogleich twittert der EVP-Abgeordnete Dennis Radtke vom Treffen in Berlin: „Wie stünde ein Markus Söder da, wenn die CDU ein Verständnis von Teamplay hätte wie Blume und Söder in den letzten Wochen?“
Weber sagt öffentlich voraus, dass vom CSU-Parteitag am Wochenende die Botschaft einer geschlossenen Union ausgehe, die gemeinsam den Erfolg von Laschet wolle. Doch wenig später sagt er in der Klausur zu den Abgeordnetenkollegen, es gebe in Deutschland jetzt „die große Gefahr, dass Ex-Kommunisten wieder in die Regierung kommen“.