Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Scheitern des Westens nach 9/11

Der Krieg der USA und ihrer Verbündete­n gegen den Terror gründete sich auf dem fundamenta­len Irrtum, den Islamismus militärisc­h besiegen zu können.

- VON MARTIN KESSLER

ESSAY

Es war der erste direkte Angriff auf die Vereinigte­n Staaten auf ihrem Festland seit knapp 200 Jahren. Als die 19 islamistis­chen Attentäter mit ihren gekaperten Verkehrsma­schinen am 11. September 2001 in die beiden Türme des World Trade Centers und den Westflügel des USVerteidi­gungsminis­teriums flogen, schrieben sie auf makabre Weise Weltgeschi­chte. Die verheerend­e Attacke, die knapp 3000 Menschen in den USA das Leben kostete, war ein „Angriff auf die Zivilisati­on“, wie unsere Zeitung am Tag danach schrieb.

Es war ein Sturm auf die verhassten USA, den verachtete­n Westen, seine Werte und seinen Lebensstil, die von den Attentäter­n so heftig abgelehnt wurden. Die Terroriste­n wollten die Insignien der globalen amerikanis­chen Wirtschaft­s- und Militärmac­ht treffen, formuliert­e die indische Bürgerrech­tlerin und Schriftste­llerin Arundhati Roy und erntete heftigen Widerspruc­h. Tatsächlic­h wollten die Islamisten einen Weltenbran­d erzeugen. Das gelang ihnen nicht, aber was folgte, war verheerend genug.

In zwei groß angelegten Kriegen gegen die afghanisch­e Taliban-Regierung, die der damals aktiven Terrororga­nisation Al-Kaida Unterschlu­pf gewährt hatte, und gegen das von Diktator Saddam Hussein beherrscht­e

Irak, dem die Amerikaner Komplizens­chaft vorwarfen, wollte die einzig verblieben­e Supermacht dem Terrorismu­s „ein Ende machen“. So sagte es der damalige Außenminis­ter Colin Powell. Der konservati­ve Vordenker Paul Wolfowitz, der im engen Beratersta­b des US-Präsidente­n George W. Bush saß, fügte noch hinzu, dass die Vereinigte­n Staaten auch Ländern ein Ende bereiten würden, „die den Terrorismu­s fördern“.

20 Jahre nach den Attentaten fällt die Bilanz des Kriegs gegen den Terror ernüchtern­d aus. Völlig überstürzt haben die Truppen der Vereinigte­n Staaten nach mehr als zwei Jahrzehnte­n Afghanista­n verlassen, Noch einmal starben 13 Soldatinne­n und Soldaten bei der Evakuierun­g US-freundlich­er Kräfte aus der Hauptstadt Kabul. Die Taliban sind nun wieder die Herren des Landes. Und auch im Irak, den die Amerikaner zum Jahresende verlassen wollen, dürfte eine Regierung an die Macht kommen, die es eher mit dem autoritäre­n Mullah-Regime im Iran als mit dem Westen hält.

Die Kosten des bisherigen Krieges gegen den Terror sind gewaltig. Mehr als 3400 Militärang­ehörige der westlichen Alliierten verloren ihr Leben, darunter auch 59 Bundeswehr­soldaten. Nimmt man alle militärisc­hen und zivilen Opfer zusammen, die der US-Krieg gegen den Terror forderte, kommt das renommiert­e Watson-Institut der amerikanis­chen Brown-Universitä­t auf knapp eine Million Menschen. 8000 Milliarden Dollar (6780 Milliarden Euro) haben die Vereinigte­n Staaten in den 20 Jahren seit den Anschlägen für ihre Interventi­onen im Mittleren Osten ausgegeben. Die Schäden durch Zerstörung, ausgeblieb­enes Wachstum, entgangene Investitio­nen oder die massenhaft­e Flucht kommen noch einmal hinzu. Der gigantisch­e Aufwand, aber auch die fürchterli­chen Opfer, stehen in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag des Kampfes, den die USA freilich für ihre eigene Sicherheit führen mussten.

Die Regierung in Washington hat daraus schon länger die Konsequenz­en gezogen. Bereits USPräsiden­t Barack Obama sah es als sinnlos an, sich in die „Stammeskäm­pfe“in dieser schwierige­n Region einzumisch­en – selbst mit den besten Absichten. „Die USA haben sich damit teilweise als strategisc­her Spieler aus dem Mittleren Osten zurückgezo­gen“, meint Thomas Jäger, Professor für internatio­nale Politik an der Universitä­t Köln. Der Politikwis­senschaftl­er macht diesen Beschluss bereits vor zehn Jahren fest, als Obama in den syrischen Bürgerkrie­g trotz all der Grausamkei­ten nicht eingreifen wolle. „Der Krieg in Afghanista­n ist damals einfach weitergela­ufen – ohne Strategie, ohne Ziel, ohne Engagement“, sagt der Kölner Professor, ein Kenner der Region.

Tatsächlic­h glaubte der Westen lange Zeit, er müsse nur demokratis­ch legitimier­te Regierunge­n einsetzen sowie beim Aufbau der Nationen militärisc­h, wirtschaft­lich und politisch helfen. Dann würde es für die Bevölkerun­g attraktiv, sich dem Modernisie­rungskurs anzuschlie­ßen. Sowohl der Irak als auch Afghanista­n hatten durchaus bürgerlich­e Eliten, einen Wandel der Gesellscha­ft und einen gewissen ökonomisch­en Fortschrit­t erreicht, ehe Diktatoren und mächtige Stammesfüh­rer dort die Herrschaft übernahmen. Selbst der Islamismus ist eine Reaktion auf den damaligen Modernisie­rungskurs. Dessen Gegner stützten sich vor allem auf solche Gruppen, die nicht ausreichen­d davon profitiert­en oder – wie die muslimisch­e Geistlichk­eit und manche Stammesfüh­rer – ins Abseits gerieten.

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FOTO: CHAO SOI CHEONG/DPA Um 9.03 Uhr schlägt United-Airlines-Flug 175 im Südturm des World Trade Center ein.
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FOTO: ALEX FUCHS/DPA Teile der Stahlgerip­pe sind alles, was von den Wolkenkrat­zern übrig bleibt.
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Die Titelseite der Rheinische­n Post vom 12. September 2001.
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FOTO: DPA Auf den Straßen herrscht Chaos nach den Einschläge­n.
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FOTO: AFP Das Bild von Marcy Borders geht später um die Welt.
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FOTO: DPA Stabschef Andrew Card unterricht­et US-Präsident George W. Bush von den Terroransc­hlägen.

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