Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Scheitern des Westens nach 9/11
Der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Terror gründete sich auf dem fundamentalen Irrtum, den Islamismus militärisch besiegen zu können.
ESSAY
Es war der erste direkte Angriff auf die Vereinigten Staaten auf ihrem Festland seit knapp 200 Jahren. Als die 19 islamistischen Attentäter mit ihren gekaperten Verkehrsmaschinen am 11. September 2001 in die beiden Türme des World Trade Centers und den Westflügel des USVerteidigungsministeriums flogen, schrieben sie auf makabre Weise Weltgeschichte. Die verheerende Attacke, die knapp 3000 Menschen in den USA das Leben kostete, war ein „Angriff auf die Zivilisation“, wie unsere Zeitung am Tag danach schrieb.
Es war ein Sturm auf die verhassten USA, den verachteten Westen, seine Werte und seinen Lebensstil, die von den Attentätern so heftig abgelehnt wurden. Die Terroristen wollten die Insignien der globalen amerikanischen Wirtschafts- und Militärmacht treffen, formulierte die indische Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin Arundhati Roy und erntete heftigen Widerspruch. Tatsächlich wollten die Islamisten einen Weltenbrand erzeugen. Das gelang ihnen nicht, aber was folgte, war verheerend genug.
In zwei groß angelegten Kriegen gegen die afghanische Taliban-Regierung, die der damals aktiven Terrororganisation Al-Kaida Unterschlupf gewährt hatte, und gegen das von Diktator Saddam Hussein beherrschte
Irak, dem die Amerikaner Komplizenschaft vorwarfen, wollte die einzig verbliebene Supermacht dem Terrorismus „ein Ende machen“. So sagte es der damalige Außenminister Colin Powell. Der konservative Vordenker Paul Wolfowitz, der im engen Beraterstab des US-Präsidenten George W. Bush saß, fügte noch hinzu, dass die Vereinigten Staaten auch Ländern ein Ende bereiten würden, „die den Terrorismus fördern“.
20 Jahre nach den Attentaten fällt die Bilanz des Kriegs gegen den Terror ernüchternd aus. Völlig überstürzt haben die Truppen der Vereinigten Staaten nach mehr als zwei Jahrzehnten Afghanistan verlassen, Noch einmal starben 13 Soldatinnen und Soldaten bei der Evakuierung US-freundlicher Kräfte aus der Hauptstadt Kabul. Die Taliban sind nun wieder die Herren des Landes. Und auch im Irak, den die Amerikaner zum Jahresende verlassen wollen, dürfte eine Regierung an die Macht kommen, die es eher mit dem autoritären Mullah-Regime im Iran als mit dem Westen hält.
Die Kosten des bisherigen Krieges gegen den Terror sind gewaltig. Mehr als 3400 Militärangehörige der westlichen Alliierten verloren ihr Leben, darunter auch 59 Bundeswehrsoldaten. Nimmt man alle militärischen und zivilen Opfer zusammen, die der US-Krieg gegen den Terror forderte, kommt das renommierte Watson-Institut der amerikanischen Brown-Universität auf knapp eine Million Menschen. 8000 Milliarden Dollar (6780 Milliarden Euro) haben die Vereinigten Staaten in den 20 Jahren seit den Anschlägen für ihre Interventionen im Mittleren Osten ausgegeben. Die Schäden durch Zerstörung, ausgebliebenes Wachstum, entgangene Investitionen oder die massenhafte Flucht kommen noch einmal hinzu. Der gigantische Aufwand, aber auch die fürchterlichen Opfer, stehen in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag des Kampfes, den die USA freilich für ihre eigene Sicherheit führen mussten.
Die Regierung in Washington hat daraus schon länger die Konsequenzen gezogen. Bereits USPräsident Barack Obama sah es als sinnlos an, sich in die „Stammeskämpfe“in dieser schwierigen Region einzumischen – selbst mit den besten Absichten. „Die USA haben sich damit teilweise als strategischer Spieler aus dem Mittleren Osten zurückgezogen“, meint Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität Köln. Der Politikwissenschaftler macht diesen Beschluss bereits vor zehn Jahren fest, als Obama in den syrischen Bürgerkrieg trotz all der Grausamkeiten nicht eingreifen wolle. „Der Krieg in Afghanistan ist damals einfach weitergelaufen – ohne Strategie, ohne Ziel, ohne Engagement“, sagt der Kölner Professor, ein Kenner der Region.
Tatsächlich glaubte der Westen lange Zeit, er müsse nur demokratisch legitimierte Regierungen einsetzen sowie beim Aufbau der Nationen militärisch, wirtschaftlich und politisch helfen. Dann würde es für die Bevölkerung attraktiv, sich dem Modernisierungskurs anzuschließen. Sowohl der Irak als auch Afghanistan hatten durchaus bürgerliche Eliten, einen Wandel der Gesellschaft und einen gewissen ökonomischen Fortschritt erreicht, ehe Diktatoren und mächtige Stammesführer dort die Herrschaft übernahmen. Selbst der Islamismus ist eine Reaktion auf den damaligen Modernisierungskurs. Dessen Gegner stützten sich vor allem auf solche Gruppen, die nicht ausreichend davon profitierten oder – wie die muslimische Geistlichkeit und manche Stammesführer – ins Abseits gerieten.