Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Wir erleben eine Investitionsblockade“
Der Chef des Industrie- und Handelskammertags (DIHK) warnt vor fehlendem Vertrauen der Firmen in den Aufschwung, der sie Ausgaben scheuen lässt, und vor einer Firmenflucht, wenn die Steuern erhöht werden.
Herr Adrian, es sind nur noch zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Steht Deutschland vor einem Richtungswechsel?
ADRIAN Den Umfragen zufolge wird es jedenfalls spannend. Wir hoffen, dass wir in jeder Koalition ein offenes Ohr für die Anliegen der Wirtschaft finden werden. Ich bin da ganz zuversichtlich.
Welche drei Punkte muss eine neue Regierung sofort anpacken?
ADRIAN Es muss schnell einen gemeinsamen Weg zur Bewältigung der Klimakrise geben, ohne dass wir wesentliche Teile unserer Industrie dauerhaft verlieren. Wir wünschen uns keine nationalen oder europäischen Alleingänge. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen muss gewahrt werden. Unsere energieintensiven Unternehmen dürfen nicht abgehängt werden.
Und weitere Punkte wären?
ADRIAN Unser System der sozialen Sicherung können wir auf hohem Niveau nur halten, wenn wir ausreichend wirtschaftliches Wachstum erzielen. Dazu gehört, dass Unternehmen und Mitarbeiter nicht durch steigende Lohnzusatzkosten belastet werden. Das alles ist eine enorme Herausforderung auch durch Punkt drei – die Demografie: Jedes Jahr gehen 300.000 Menschen mehr in Rente als Berufsanfänger nachrücken – mit steigender Tendenz. Alleine dadurch werden uns in wenigen Jahren einige Millionen Fachkräfte fehlen. Das müssen wir ausgleichen.
Wie geht es der Wirtschaft aktuell?
ADRIAN Wir erleben aktuell in gewisser Weise eine Investitionsblockade, die sich nicht allein auf den starken Corona-Effekt zurückführen lässt. Auch von den Industriebetrieben meldet in unserer letzten Umfrage ein Drittel eine problematische Finanzlage. Die Unternehmen haben ihre Ausrüstungsinvestitionen im vergangenen Jahr um mehr als 13 Prozent reduziert. 2021 sieht es weiter verhalten aus. Bei der Kreditnachfrage der Betriebe gab es zwischen 2015 bis 2019 noch ein starkes Plus von 140 auf 190 Milliarden Euro. Derzeit stagniert der Bestand bei knapp 200 Milliarden. Wir können daran erkennen, dass die Unternehmen unterdurchschnittlich Neukredite aufnehmen und damit auch weniger investieren. Diese Zahlen sind ein Warnzeichen. Denn sie zeigen, dass die Unternehmen aktuell davor zurückschrecken, in erheblichem Umfang in Anlagen und Maschinen zu investieren.
Woran liegt das?
ADRIAN Es fehlt die langfristige Vertrauensbasis, dass sich solche Investitionen auszahlen. Das Investitionsklima ist deutlich schlechter geworden.
Was bedeutet das für den Aufschwung?
ADRIAN Einen sich selbst tragenden Aufschwung kann es nur geben, wenn sich die Investitionsblockade löst. Das sehe ich noch nicht, auch wenn sich die Wirtschaft seit dem Lockdown wieder positiv entwickelt. Noch könnten wir sogar schon Ende dieses Jahres wieder das Niveau vor der Corona-Krise erreichen. Aber es gibt für eine konstante Aufwärtsentwicklung viele Fragezeichen etwa mit Blick auf den Fachkräftemangel, die Lieferkettenprobleme und neue politische Rahmenbedingungen.
Meinen Sie damit die mögliche Einführung einer Vermögenssteuer?
ADRIAN Dies könnte der Fall sein. Wir liegen laut OECD bereits jetzt in der Rangliste bei den Unternehmenssteuern ganz oben. Wir haben Unternehmen, die sind auf den Standort Deutschland angewiesen. Aber es gibt sicher Unternehmensbereiche, die durchaus in anderen Ländern operieren könnten. Unternehmenssteuern sind auf jeden Fall ein Standortfaktor, die Unternehmen zu schwerwiegenden Maßnahmen zwingen könnten.
EU-Kommission und Bundesregierung haben aber ehrgeizigere Klimaziele vorgegeben. Das Stichwort lautet „Fit for 55“: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 55 Prozent reduziert werden, in Deutschland sogar um 65. Schaffen wir das?
ADRIAN Die neuen Ziele haben die Industrie teils überrascht. Viele haben jetzt Probleme, ihre Investitionspläne so kurzfristig anzupassen. Mein Beispiel zeigt, dass die Umsetzung an praktische und wirtschaftliche Grenzen stößt. Das EUProgramm schafft bei vielen Unternehmern nicht das erforderliche Vertrauen, dass die Investitionssicherheit in Zukunft gegeben sein wird. Hinzu kommt, dass Deutschland jetzt im Alleingang einen CO2Preis für Verkehr und Wärme eingeführt hat. Dadurch wird die
Industrieproduktion bei uns noch mal teurer als in Ländern, mit denen wir im Wettbewerb stehen. Europa muss sich unbedingt mit China und den USA an einen Tisch setzen, um gemeinsame weltweite Bedingungen zur Umsetzung der Pariser Klimaziele zu vereinbaren.
Was soll die EU mit China und den USA vereinbaren?
ADRIAN Die EU muss mit China und den USA einen gemeinsamen Weg hin zum Klimaziel minus 55 Prozent vereinbaren. Andernfalls haben wir eine massive Wettbewerbsverzerrung zu unseren Ungunsten. Wir brauchen so etwas wie beispielsweise einen weltweiten CO2Mindestpreis.
Gehen Ihnen die neuen, ehrgeizigeren Klimaziele zu weit?
ADRIAN Nein! In der Zielsetzung sind wir uns doch alle einig. Es ist unbedingt auch das Interesse der Wirtschaft, unseren Lebensraum für nachkommende Generationen zu erhalten und ihnen ein vernünftiges Leben zu ermöglichen. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Uns geht es darum, auf ganz reale Probleme bei der Umsetzung in der unternehmerischen Praxis hinzuweisen.