Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Flicks Einstand macht Hoffnung
Drei Spiele, drei Siege, 12:0 Tore, Freude am Spiel – der neue Bundestrainer ist sehr ordentlich in seine Mission erfolgreiche WM-Qualifikation gestartet. Die Gründe hierfür sind klar zu benennen.
REYKJAVIK Tapfer riefen unverwüstliche Isländer ihr „Hu!“in den kühlen Abend von Reykjavik. Schrecken verbreiteten sie dabei so wenig wie ihre Mannschaft auf dem Rasen. Sie unterlag der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes verdient mit 0:4. Damit hat der neue Bundestrainer Hansi Flick seine erste Länderspielphase mit den eingeplanten drei Siegen in der WM-Qualifikation, der ebenfalls angepeilten Rückkehr an die Tabellenspitze der Gruppe und mit einem sehr ordentlichen Torkonto von 12:0 abgeschlossen. „Ich bin rundum zufrieden“, stellte Flick fest. Eine erste Bestandsaufnahme.
Torausbeute Es ging ein bisschen schleppend los beim 2:0 gegen Liechtenstein. Aber es war auch kein idealer Spielpartner. Der krasse Außenseiter mauerte sich im eigenen Strafraum ein. Für die gern geforderten „tiefen Läufe“war deshalb kein Platz, sie hätten hinter die Tribüne geführt, was ja auch niemand will. Der Langeweile folgten zwei erfreuliche Auftritte beim 6:0 gegen Armenien und beim 4:0 auf Island. Flicks Team wirkte spielfreudig, gut strukturiert, und es ging auch nach klarer Führung nicht vom Gaspedal – immer vor dem Hintergrund, dass da nicht gerade der europäische Fußball-Adel auf der anderen Seite stand. Dass man sich allerdings auch gegen Namenlose tüchtig blamieren kann, bewies Joachim Löws letztes Qualifikationsspiel in Gestalt einer 1:2-Niederlage gegen Nordmazedonien.
Angriff Deutschland hat spätestens seit Miroslav Klose keine echten Mittelstürmer mehr. Das weiß die Fußballwelt inzwischen. Weil Brocken wie Romelu Lukaku, Harry
Kane oder Karim Benzema nicht einmal hierzulande auf den Bäumen wachsen, setzt Flick auf Timo Werner in vorderster Linie. Es ist nicht die ideale Position für den Sprinter, aber er hat in jedem der Spiele in der Währung der Stürmer gezahlt, er schoss stets sein Tor, auch wenn er auf Island lange warten musste. Hinter ihm wird wieder fein gewirbelt, vor allem Leroy Sané tut der Trainerwechsel offenkundig gut. Seine Auftritte erinnerten daran, dass er vor ein paar Jahren einer der vielversprechendsten Stürmer auf dem Kontinent war. Und dass er es auch geradlinig kann, zeigte er in Reykjavik, als er den Ball zum 3:0 geradezu unters Tordach schweißte.
Mittelfeld Die Zentrale, der Maschinenraum des Spiels, ist mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka bestens besetzt. Sie bestimmen den Takt, sie geben Struktur, und sie bereiten Tore vor. Mehr kann niemand verlangen.
Abwehr Flick war mutig genug, einen weiteren personellen Mangel, der seit Philipp Lahms Abschied auf den Außenpositionen zu besichtigen ist, mit einer klugen Entscheidung
zu übermalen. Er schickte den Mönchengladbacher Jonas Hofmann auf die rechte Seite und verschob seine Vierer-Abwehr unsymmetrisch mit einem offensiven Schwergewicht auf dem rechten Flügel – gegen fußballerisch unterlegene Gegner ein sehr sinnvolles Rezept. Im Zentrum wurden die Deutschen nicht gefordert. Antonio Rüdiger und Niklas Süle machten in Abwesenheit der verhinderten Kollegen Matthias Ginter und Mats Hummels allerdings Punkte.
Der Bayern-Block Der Bundestrainer setzt auf die Vertrauten aus Münchner Zeiten. Das gebietet deren Klasse, und es erleichtert dem Coach die taktischen Umbauarbeiten am lebenden Mannschaftskörper.
Die Versprechen „Wir wollen wieder begeisternden Fußball spielen“, hat Flick gesagt. Vor allem gegen Armenien kam sein Team diesem Ziel nah. „Es ist eine Aufwärtsbewegung“, erklärte Kapitän Manuel Neuer, „ein positives Zeichen.“Flick sah im ersten Länderspielblock einen „Schritt nach vorn“. In Jubelstürme brach er zu Recht nicht aus („Wir bleiben jetzt mal ganz ruhig.“) Und Goretzka wies darauf hin, „dass wir ein anderes Gesicht zeigen wollten, Freude am Fußball“. Auf positiven Ansätzen will auch er sich nicht ausruhen. „Wir müssen uns immer selber in den Arsch treten“, betonte der Mittelfeldspieler. Das ist im wörtlichen und übertragenen Sinn eine schwierige Übung. Flicks Einstand aber macht Spielern und Fans berechtigte Hoffnungen auf anbrechende bessere Zeiten. Goretzkas Zusammenfassung zur Lage der Fußballnation: „Wir haben drei Spiele gewonnen. Hoffentlich war das erst der Startschuss.“