Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wohnen wie Gott in Frankreich
Hunderte von Schlössern stehen nicht nur im Loiretal zum Verkauf. Die Preise bleiben erschwinglich, obwohl die Corona-Krise den Trend zu abgelegenen Landpartien noch verstärkt.
TANNOIS Es muss ja nicht gleich Versailles sein. Einige der Anwesen in Frankreich verdienen das Prädikat „Château“auch eigentlich nicht, sind es doch eher Gutshäuser, Jagdpavillons oder stattliche Bauerngüter. Dennoch sind auch richtige Schlösser und Burgen in Frankreich zahlreich – und zwar nicht nur im Loiretal oder in Versailles. Und viele von ihnen stehen zum Verkauf.
Käuferbesuch im Château de Tannois in Lothringen. Das unweit von der Provinzstadt Bar-le-Duc gelegene Schloss stammt aus dem 16. Jahrhundert. Erbaut hatte es der damalige Herzog der Region, eben der „Duc“. Die Türen und das Parkett – alles aus massivem Holz – knarren, wie es sein muss, die Fenster der Erker waren mal Schießscharten, und die Kamine und die Spiegel sind oft höher als ein Mensch. „Nur das Schlossgespenst fehlt“, sagt Immobilienagentin Florence Fornara lachend. Um dann ernsthaft zu präzisieren: „Wobei der Verkaufspreis bei einem solchen Gerücht dann garantiert höher läge.“
Jetzt liegt er bei 840.000 Euro. Das ist nicht übertrieben für ein dreistöckiges Wohngebäude mit einer Reihe von Nutzgebäuden. Dependance, Taubenschlag, Pferdeställe umgeben das Schloss auf der Südseite; die nördliche Seite stößt an den Rhein-Marne-Kanal und wird durch einen drei Hektar großen Park mit Teich und seltenen Purpurbuchen geschützt.
Die früheren Besitzer hatten das Anwesen, das im Zweiten Weltkrieg von der US-Armee belegt war, 2007 renoviert. Madame Fornara von der Agentur Patrice-Besse verhehlt aber nicht, dass heute je nach Anspruch Sanierungsbedarf bestehe. Immerhin könnten die zukünftigen Käufer fürs Erste unbesehen einziehen, wenn sie wollen.
Viele wollen: Das Interesse am Schlosskauf nimmt in Frankreich ständig zu. „Die Leute wollen wieder authentisch leben, wenn auch nicht unbedingt im Luxus“, meint Madame Fornara: „Dieser Trend hat vor zwei Jahren begonnen. Und selbst abgelegene Schlösser in Regionen wie etwa der Haute-Marne stoßen derzeit auf ein gewaltiges Interesse. Je natürlicher, waldiger und isolierter, desto besser.“
Viele Kunden kommen hier in Ostfrankreich aus den Nachbarländern – Deutsche, Belgier, Schweizer.
An die speziellen Sitten eines Schlossverkaufs müssen sie sich erst gewöhnen. Den Verkauf an einen Belgier lehnte die Agentur Besse zum Beispiel ab, weil er ein Château kaufen wollte, ohne es besucht zu haben. „Ein Schloss ist kein normales Gebäude. Damit muss man eine Verbundenheit spüren und eine Leidenschaft entwickeln“, begründet Fornara: „Andernfalls wollen die Besitzer oft gar nicht verkaufen.“
Auch muss man den Unterhalt des alten Gemäuers und des Umschwungs meistern wollen. Die Vereinigung „Vieilles Maisons Françaises“, die sich um die Bewahrung des französischen Kulturerbes kümmert, warnt vor jedem überhasteten Kauf; wenn gewünscht, vermittelt sie Experten in Sachen Bausubstanz. Die Suche nach versteckten Mängeln genügt aber nicht immer. Im Schloss Carneville in der Normandie
muss der junge Besitzer für teures Geld die ganze Wandtäfelung entfernen, um einen von außen unsichtbaren Pilzbefall zu bekämpfen.
Ein amerikanisches Paar verkaufte das Château Falloux im Loiretal, weil in der Nähe ein Windpark entsteht. Das Projekt mit vier Drehflügeln erboste die Besitzer so sehr, dass sie ihr imposantes, fünf Jahre lang millionenschwer renoviertes Bauwerk mit Verlust abstießen.
Doch all dies sind Einzelfälle. Ein Schlosskauf muss das Budget nicht zwangsläufig sprengen. Die Stadt Paris – die in ganz Frankreich 500 Immobilien besitzt – verkauft in den Pyrenäen gerade ein Schloss, das als rudimentäres Ferienlager gedient hatte; idealerweise könnte es in einen Landgasthof umfunktioniert werden. Bis zum 16. September wird das Gut über die spezialisierte Webseite Agorastore versteigert. Der Startpreis des Gebäudes mit 22.600 Quadratmetern Land liegt bei 90.000 Euro. Zugelassen sind aber nur Käufer, die das Château Nescus mit eigenen Augen besichtigt haben: Die Behörden wollen keine bösen Überraschungen verursachen.
Ein näher gelegenes Schnäppchen ist das Schloss Léguillon in der Nähe von Belfort, kaum eine Autostunde von der deutschen Grenze entfernt. Die Gemeinde bringt den schmucken Bau am 14. September für 280.000 Euro in den Verkauf. Die Renovierung wird auf 320.000 Euro geschätzt.
Hypothekierbare Gesamtkosten von 600.000 Euro können sich nicht nur Herzöge oder Gräfinnen leisten. In der Auvergne erstand ein junger Liebhaber alter Mauern die mittelalterliche Festung Saint-Vidal 2016 für wenig Geld; seither renoviert er sie teilweise selbst. Mit Freiwilligen aus dem nahen Dorf führt er im Sommer Freiluftspiele auf, um die Arbeiten zu finanzieren.
Dass Schlossherren auch teilen können, zeigte sich im Loiretal: Mehrere junge Franzosen erstanden dort per Internetsammlung das romantische, durch ein Feuer zerstörte Wasserschloss La MotheChandeniers. Heute hat es über einen Verein 25.000 Besitzer aus der ganzen Welt. Schlossherr oder -frau zu werden ist nicht mehr schwer. Es dann auch zu bleiben, ist allerdings etwas ganz anderes.