Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wohnen wie Gott in Frankreich

Hunderte von Schlössern stehen nicht nur im Loiretal zum Verkauf. Die Preise bleiben erschwingl­ich, obwohl die Corona-Krise den Trend zu abgelegene­n Landpartie­n noch verstärkt.

- VON STEFAN BRÄNDLE

TANNOIS Es muss ja nicht gleich Versailles sein. Einige der Anwesen in Frankreich verdienen das Prädikat „Château“auch eigentlich nicht, sind es doch eher Gutshäuser, Jagdpavill­ons oder stattliche Bauerngüte­r. Dennoch sind auch richtige Schlösser und Burgen in Frankreich zahlreich – und zwar nicht nur im Loiretal oder in Versailles. Und viele von ihnen stehen zum Verkauf.

Käuferbesu­ch im Château de Tannois in Lothringen. Das unweit von der Provinzsta­dt Bar-le-Duc gelegene Schloss stammt aus dem 16. Jahrhunder­t. Erbaut hatte es der damalige Herzog der Region, eben der „Duc“. Die Türen und das Parkett – alles aus massivem Holz – knarren, wie es sein muss, die Fenster der Erker waren mal Schießscha­rten, und die Kamine und die Spiegel sind oft höher als ein Mensch. „Nur das Schlossges­penst fehlt“, sagt Immobilien­agentin Florence Fornara lachend. Um dann ernsthaft zu präzisiere­n: „Wobei der Verkaufspr­eis bei einem solchen Gerücht dann garantiert höher läge.“

Jetzt liegt er bei 840.000 Euro. Das ist nicht übertriebe­n für ein dreistöcki­ges Wohngebäud­e mit einer Reihe von Nutzgebäud­en. Dependance, Taubenschl­ag, Pferdestäl­le umgeben das Schloss auf der Südseite; die nördliche Seite stößt an den Rhein-Marne-Kanal und wird durch einen drei Hektar großen Park mit Teich und seltenen Purpurbuch­en geschützt.

Die früheren Besitzer hatten das Anwesen, das im Zweiten Weltkrieg von der US-Armee belegt war, 2007 renoviert. Madame Fornara von der Agentur Patrice-Besse verhehlt aber nicht, dass heute je nach Anspruch Sanierungs­bedarf bestehe. Immerhin könnten die zukünftige­n Käufer fürs Erste unbesehen einziehen, wenn sie wollen.

Viele wollen: Das Interesse am Schlosskau­f nimmt in Frankreich ständig zu. „Die Leute wollen wieder authentisc­h leben, wenn auch nicht unbedingt im Luxus“, meint Madame Fornara: „Dieser Trend hat vor zwei Jahren begonnen. Und selbst abgelegene Schlösser in Regionen wie etwa der Haute-Marne stoßen derzeit auf ein gewaltiges Interesse. Je natürliche­r, waldiger und isolierter, desto besser.“

Viele Kunden kommen hier in Ostfrankre­ich aus den Nachbarlän­dern – Deutsche, Belgier, Schweizer.

An die speziellen Sitten eines Schlossver­kaufs müssen sie sich erst gewöhnen. Den Verkauf an einen Belgier lehnte die Agentur Besse zum Beispiel ab, weil er ein Château kaufen wollte, ohne es besucht zu haben. „Ein Schloss ist kein normales Gebäude. Damit muss man eine Verbundenh­eit spüren und eine Leidenscha­ft entwickeln“, begründet Fornara: „Andernfall­s wollen die Besitzer oft gar nicht verkaufen.“

Auch muss man den Unterhalt des alten Gemäuers und des Umschwungs meistern wollen. Die Vereinigun­g „Vieilles Maisons Françaises“, die sich um die Bewahrung des französisc­hen Kulturerbe­s kümmert, warnt vor jedem überhastet­en Kauf; wenn gewünscht, vermittelt sie Experten in Sachen Bausubstan­z. Die Suche nach versteckte­n Mängeln genügt aber nicht immer. Im Schloss Carneville in der Normandie

muss der junge Besitzer für teures Geld die ganze Wandtäfelu­ng entfernen, um einen von außen unsichtbar­en Pilzbefall zu bekämpfen.

Ein amerikanis­ches Paar verkaufte das Château Falloux im Loiretal, weil in der Nähe ein Windpark entsteht. Das Projekt mit vier Drehflügel­n erboste die Besitzer so sehr, dass sie ihr imposantes, fünf Jahre lang millionens­chwer renovierte­s Bauwerk mit Verlust abstießen.

Doch all dies sind Einzelfäll­e. Ein Schlosskau­f muss das Budget nicht zwangsläuf­ig sprengen. Die Stadt Paris – die in ganz Frankreich 500 Immobilien besitzt – verkauft in den Pyrenäen gerade ein Schloss, das als rudimentär­es Ferienlage­r gedient hatte; idealerwei­se könnte es in einen Landgastho­f umfunktion­iert werden. Bis zum 16. September wird das Gut über die spezialisi­erte Webseite Agorastore versteiger­t. Der Startpreis des Gebäudes mit 22.600 Quadratmet­ern Land liegt bei 90.000 Euro. Zugelassen sind aber nur Käufer, die das Château Nescus mit eigenen Augen besichtigt haben: Die Behörden wollen keine bösen Überraschu­ngen verursache­n.

Ein näher gelegenes Schnäppche­n ist das Schloss Léguillon in der Nähe von Belfort, kaum eine Autostunde von der deutschen Grenze entfernt. Die Gemeinde bringt den schmucken Bau am 14. September für 280.000 Euro in den Verkauf. Die Renovierun­g wird auf 320.000 Euro geschätzt.

Hypothekie­rbare Gesamtkost­en von 600.000 Euro können sich nicht nur Herzöge oder Gräfinnen leisten. In der Auvergne erstand ein junger Liebhaber alter Mauern die mittelalte­rliche Festung Saint-Vidal 2016 für wenig Geld; seither renoviert er sie teilweise selbst. Mit Freiwillig­en aus dem nahen Dorf führt er im Sommer Freiluftsp­iele auf, um die Arbeiten zu finanziere­n.

Dass Schlossher­ren auch teilen können, zeigte sich im Loiretal: Mehrere junge Franzosen erstanden dort per Internetsa­mmlung das romantisch­e, durch ein Feuer zerstörte Wasserschl­oss La MotheChand­eniers. Heute hat es über einen Verein 25.000 Besitzer aus der ganzen Welt. Schlossher­r oder -frau zu werden ist nicht mehr schwer. Es dann auch zu bleiben, ist allerdings etwas ganz anderes.

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FOTO: GUILLAUME SOUVANT/DPA Die Luftaufnah­me zeigt das Schloss La Mothe-Chandenier­s, das einem Verein mit rund 25.000 Schlossher­ren und -damen gehört.

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