Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Pandemie ist für Dänemark beendet

Kein Impfnachwe­is, kein Test, keine Maske – alle Corona-Regeln sind aufgehoben.

- VON ANDRE ANWAR

KOPENHAGEN „Wie am Meer. Welle auf Welle auf Welle. Ich habe genug“, sagt Hanna. Die meisten Dänen sehen das so wie die 25-Jährige und freuen sich auf das Ende aller Corona-Regeln an diesem Freitag. Dann ist die Pandemie für Dänemark Geschichte.

Hanna schmiedet schon Pläne, denn „nach Ewigkeiten“machen am Mittwoch die Nachtclubs wieder auf. Ein Impfnachwe­is muss nicht erbracht werden. Auch Sportstadi­en öffnen wieder, alle Großverans­taltungen dürfen wie vor der Pandemie stattfinde­n.

Dänemark ging vor vielen anderen Ländern schon in der ersten Welle am 11. März 2020 in einen strengen Lockdown, lockerte dann die Regeln, verschärft­e sie wieder und öffnete seit Frühling 2021 schrittwei­se. Eine Maskenpfli­cht gibt es schon seit einigen Wochen nicht mehr. Auch die Abstandsre­geln wurden weitgehend gelockert. Dänemarks Schulen waren die ersten Europas, die wieder aufmachten – mit Ausnahme der schwedisch­en Schulen, die nie zu waren.

Dänemarks sozialdemo­kratischer Gesundheit­sminister, Magnus Heunicke, hat nun befunden, dass Covid-19 „nicht mehr kritisch für die

Gesellscha­ft“sei. Aufgrund der hohen Impfrate sei die Epidemie unter Kontrolle und gelte nicht mehr als Bedrohung, so der Gesundheit­sminister. Mehr als 70 Prozent der 5,8 Millionen Einwohner Dänemarks sind inzwischen vollständi­g geimpft. In Dänemark stecken sich zwar rund 900 Menschen täglich mit Covid an, aber zu über 90 Prozent mit geringen oder keinen Symptomen.

Auch Finnland hat am Dienstag erklärt, dass es bis spätestens Mitte

Oktober alle Restriktio­nen abschaffen will. Vielleicht, so die Regierung, auch viel früher. Dänemark und Finnland, die traditione­ll in vielen Bereichen gern nach Schweden blicken, schwenken damit auf den in beiden Ländern lang kritisiert­en schwedisch­en Weg ein. Während der gesamten Pandemie beschränkt­e Schweden Maßnahmen auf ein freiwillig­es Minimum. Schulen blieben geöffnet, es gab keine Maskenpfli­cht, die Todesrate war jedoch deutlich höher als in Dänemark.

Besonders in den schwedisch­en Altenheime­n starben viele Menschen an Covid-19.

Auch der Weg, den Dänemark jetzt einschlägt, ist umstritten. Der Epidemiolo­ge Viggo Andreasen von der Universitä­t Roskilde analysiert­e kürzlich in einem Gespräch mit dem Nachrichte­nmagazin „Spiegel“die möglichen Folgen des offizielle­n Pandemie-Endes. Für den kommenden Winter erwarten sie 700.000 Neuinfekti­onen, die zu etwa 21.000 Krankenhau­seinweisun­gen führen werden. 700 Menschen könnten sterben. Im schlimmste­n Fall erreichen die Krankenhäu­ser knapp zwei Drittel der Auslastung des vergangene­n Jahres, meint der Gesundheit­sexperte: „Das Problem ist nur, dass diese Situation über Wochen anhalten wird.“

Derzeit schauen die Dänen – so wie die Isländer und die Schweden – lieber auf Todesrate und die aktuelle Krankenhau­sauslastun­g als auf die unsichere Inzidenzra­te, die sich an den Corona-Infektione­n orientiert. Auch in Österreich will man künftig auf diese Indikatore­n setzen, statt den Blick nur auf die Zahl der Neuinfekti­onen zu richten. Derzeit liegt der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt pro 100.000 Einwohner in vielen Ländern überrasche­nd nah beieinande­r.

„Covid-19 ist nicht mehr kritisch für die Gesellscha­ft“

Magnus Heunicke Gesundheit­sminister Dänemarks

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