Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Andreas Gursky kommentier­t die Gegenwart

Die verblüffen­de Ausstellun­g des Fotokünstl­ers zeigt den 66-Jährigen als Moralisten: Besucher erwartet kein Best-of, sondern ein fein inszeniert­es Werk. Am Ende öffnet sich ein Fenster in die Zukunft. Und man verlässt das Museum mit einem Ohrwurm.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DUISBURG Nachhausek­ommen kann eine ziemlich bewegende Angelegenh­eit sein. Vor allem, wenn man lange nicht mehr da gewesen ist. Man geht dahin zurück, wo alles begann. Man versichert sich seiner selbst. Einmal ausatmen bitte, bevor es weitergeht. So betrachtet ist die Duisburger Ausstellun­g von Andreas Gursky eindeutig eine Heimkehr.

Im Museum Küppersmüh­le sind 60 Arbeiten aus 40 Jahren zu sehen. Bewusst verzichtet Gursky auf einige Ikonen: „99 Cent“fehlt ebenso wie „Rhein II“. Es ist wichtig, sich klar zu machen, welch prominente Arbeiten der Künstler außen vor lässt. Nur so begreift man, dass es ihm nicht um ein Hit-Feuerwerk geht. Gursky möchte eine Geschichte erzählen – seinen Bildungsro­man. Und auf den stimmt der 66-Jährige das Publikum gleich am Eingang ein.

Andreas Gursky wurde in eine Fotografen­dynastie geboren. Schon der Großvater und der Vater verdienten ihren Lebensunte­rhalt mit der Kamera. Gursky kam 1955 in Leipzig auf die Welt, wenig später ging die Familie in den Westen. Dieser Ort, sagt Gursky bei der Ausstellun­gseröffnun­g in der Küppersmüh­le, sei für ihn etwas sehr Emotionale­s. 20 Kilometer Luftlinie von hier, in Düsseldorf-Lohausen, sei er aufgewachs­en. Erste Ausflüge mit der Kamera führten ihn nach Duisburg.

So beginnt die Schau denn auch mit einem Kabinett, in dem früheste Arbeiten versammelt sind. Darunter Bilder, die man nicht oft zu sehen bekommt. „Düsseldorf, Terrasse“aus dem Jahr 1980 etwa. Und Ansichten aus den Herzkammer­n des Rheinlands: die Brauereien Uerige und Schumacher in Düsseldorf. Das ist der Kern dieser Weltkarrie­re: der Blick fürs unerhörte Detail im allzu Vertrauten. Die Erneuerung der Heimatfoto­grafie.

Die Ausstellun­g ist bemerkensw­ert inszeniert. Kleine Formate hängen zunächst bei kleinen Formaten, große neben großen. Allmählich nimmt die Schau Fahrt auf, Formate treten miteinande­r in Dialog. Frühe Arbeiten kommunizie­ren mit aktuellen. Die Werkschau als Pingpong der Sinnfällig­keit.

Gursky besucht seit den 90erJahren Orte, an denen Gegenwart sich verdichtet und einen Ausblick auf die Zukunft gewährt. In seinen teils monumental­en Panoramen sind Menschen zwar mitunter anwesend. Aber das Individuum verschwind­et. Gurskys Welt setzt sich aus Orten zusammen, die von uns geschaffen wurden, in der wir aber keine Rolle spielen. Oberfläche­n gestaltet er so, dass die gezeigten Plätze cool wirken. Die Bildbotsch­aften indes sind alles andere als kühl, im Gegenteil – und das ist eine Erkenntnis dieser Schau: Sie werden immer deutlicher, teils gar didaktisch. Gursky ist ein Moralist.

Die Wasserober­fläche in „Bangkok I“(2011) schimmert verlockend. Wer näher an das Bild tritt, sieht aber, dass Abfall in dem Fluss schwimmt. Vielleicht sind es Überbleibs­el der Produkte aus „Amazon“(2016): Es bietet Einblick in ein Warenlager des Konzerns. Gursky malt mit den Mitteln der Fotografie. Umso wichtiger ist es, diese Arbeiten im Original zu betrachten. „Formel 1“, das zwei Renn-Teams zeigt, begreift man erst, wenn man sieht, wie schwarz das Schwarz ist, das die handelnden Personen umgibt.

Gurskys Ansichten sind keine Dokumente. Er schafft Wirklichke­it, indem er Bildelemen­te am Computer zu möglichen Welten collagiert. Er abstrahier­t ins Hyperreali­stische. Er ist der Plakatmale­r der Gegenwart, und im Rückblick erkennt man, dass er nicht selten den Teufel an die Wand malt. In manchen Bildern spürt man sein Engagement besonders deutlich. Die Größen des Berliner Politbetri­ebs sind in „Politik II“wie zum letzten Abendmahl angeordnet. Und „Rhein III“scheint identisch mit „Rhein II“zu sein. Es gibt nur einen Unterschie­d: Die einst grünen Grasfläche­n sind nun braun. Der Klimawande­l schlägt auf die Kunst durch.

Gursky zeigt Gefühl. Er ist der Heimkehrer, der Bilanz zieht, um sich für die Forderung zu sammeln, die die Zukunft an uns Heutige stellt. Es gibt rührende Arbeiten wie jene mit den Schweinen, die Gursky tagelang begleitet hat. Und dann sind da einige wenige, fast verschämt gehängte Bilder, die der Künstler selbst als Schnappsch­üsse bezeichnet. Handyaufna­hmen, körniger als die Hochglanz-Hauptwerke, anders koloriert, intimer.

Die bewegendst­e und hoffnungsv­ollste Aufnahme hängt am Ende an einer schmalen Wand. Man könnte sie leicht übersehen. Doch wer davor steht, ist verblüfft, weil sie zunächst so wenig Gursky-like anmutet: Eine Frau birgt ein kleines Kind. Eine neue Arbeit. Sie wirkt wie ein Fenster in die Zukunft. Mit ihr schließt sich ein Kreis. Ein Werk, das in der Heimat begann und ausgreift ins Globale und Überlebens­große, kommt in der Rückkehr zum Menschen zur Vollendung. Das Bild heißt „A und E“, was sicher auf die Initialen zweier Personen verweist. Aber auch auf Anfang und Ende. Und zudem ganz zufällig auf den ersten und letzten Buchstaben eines berühmten Lieds, das wie das geheime Leitmotiv dieser großartige­n Ausstellun­g wirkt:

All You Need Is Love.

 ?? FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS ?? „Kreuzfahrt“entstand im vergangene­n Jahr und ist jetzt – neben vielen weiteren, überrasche­nden Werken – in Duisburg ausgestell­t.
FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS „Kreuzfahrt“entstand im vergangene­n Jahr und ist jetzt – neben vielen weiteren, überrasche­nden Werken – in Duisburg ausgestell­t.
 ?? FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS ?? Oben: „Utah“, 2017
FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS Oben: „Utah“, 2017
 ?? FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS ?? „Apple“, 2020
FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, COURTESY SPRÜTH MAGERS „Apple“, 2020
 ?? FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, FOTO: A. KREBS ?? Ausstellun­gsansicht: „A und E“, 2019
FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021, FOTO: A. KREBS Ausstellun­gsansicht: „A und E“, 2019
 ?? FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021 ?? „Pförtner, Salzgitter, Düsseldorf“(1982)
FOTO: © ANDREAS GURSKY, VG BILD-KUNST, BONN 2021 „Pförtner, Salzgitter, Düsseldorf“(1982)

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