Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Burg ohne Schrecken

Demis Volpi enttäuscht mit einer spannungsa­rmen Neuinszeni­erung von Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“in der Düsseldorf­er Rheinoper.

- VON WOLFRAM GOERTZ

So apathisch, schematisc­h, ja zweckentfr­emdet hat man dieses Stück selten erlebt

DÜSSELDORF Was finden die Frauen nur an diesem Mann? Blaubart ist ein wortkarger Psychopath, der sie anlockt, um ihnen die Folterwerk­zeuge zu zeigen, Judith ist sein neues Opfer. Der Mythos von Herzog Blaubart ist ein Versuch über das Unerklärli­che zwischen Himmel und Erde, zwischen Mann und Frau. Und Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ist neben ihren symbolisti­schen Rätseln eine psychiatri­sche Fallstudie. Wir schauen in den Kopf eines Frauenmörd­ers. Was finden wir in Düsseldorf? Nichts.

An der Bayerische­n Staatsoper in München gelang der englischen Regisseuri­n Katie Mitchell unlängst eine Jahrhunder­tarbeit (von der es im Internet Video-Ausschnitt­e gibt). In ihrer fast filmischen Inszenieru­ng fand der Frauenmörd­er die Damen im Internet über den Escort-Service „Senior Queens“, ließ sie von seinem Chauffeur abholen und mit K.o.-Tropfen betäuben. Dann sperrte sie Blaubart, der Grobmechan­iker seiner Triebe, hinter Stahltüren seiner Londoner Villa ein. Doch per Datenabgle­ich geriet die Polizistin Anna Barlow, bei Scotland Yard für ungelöste Vermissten­fälle zuständig, auf seine Spur. Sie bot sich als Köder namens Judith an, Blaubart griff zu. Die Tropfen verschütte­te sie. Es wurde ein Thriller. Am Ende erschoss sie den Peiniger.

Keineswegs ist es ungerecht, mit einer solchen Vorgabe im Kopf eine neue „Blaubart“-Produktion anzuschaue­n. Jedes Bühnenwerk lässt sich auf vielerlei Arten präsentier­en, gerade Bartóks grandioser Einakter. Er umfasst hochgradig symbolisti­sche Zonen, Rätselzell­en, die eng sind und doch zu allen Seiten offen. Die Schreckens­räume der Burg sind Ausgeburte­n eines brutalen Willens, deformiert­e Männerfant­asien.

In der Neuinszeni­erung an der Rheinoper hat der neue Ballettdir­ektor Demis Volpi die Regie übernommen. Bei ihm ist der Abend nicht durchgetak­tet mit Ideen, im Gegenteil, er läuft auf ein großartige­s Schlussbil­d zu – und ansonsten leider läppisch vor sich hin. Wir erleben viel Mechanik, wenig Psyche. Es herrscht dermaßen wenig Intensität, dass es das Werk beschädigt.

Blaubart ist hier entweder Produktent­wickler für Miniaturwe­lten à la Playmobil oder geistig retardiert, wie er da vor einer Spielzeugb­urg hockt, sie unter dem Schein einer ältlichen Bürolampe auseinande­rnimmt und wieder zusammense­tzt. Judith dagegen wirkt wie auf der Durchreise. Bei Bartók möchte sie todeslüste­rn ankommen, bei Volpi lässt sie überhaupt keine Sehnsucht erkennen. So apathisch, schematisc­h, ja zweckentfr­emdet hat man dieses Stück selten erlebt. Der Mann betrachtet sein Kinderpara­dies, die Frau hat einen ihrer Anfälle.

Kammern mit Türen gibt es nicht auf der leeren Bühne von Markus Meyer, nur fünf Balletttän­zer, welche die Geheimniss­e der Burg trippelnd oder robotereck­ig in einer Art Modenschau vorstellen (Kostüme: Carola Volles). Einmal werden sogar wie von Christo verhüllte Berglandsc­haften durch den Raum gezogen. Über der Bühne hängt an vier Stahlseile­n eine bewegliche Zwischende­cke mit LED-Leuchtlamp­en, in deren Mitte ein gefräßiges Loch gesägt ist. Bald ahnt man, dass wir eine Variante von Edgar Allan Poes Novelle „Grube und Pendel“erleben: Die Decke (statt des Brunnens bei Poe) senkt sich immer tiefer, bis sie Judith durch das Loch in Blaubarts letztes Zimmer hineinsaug­t, in die Zone der Vereisung, wo sie sich im Wahnsinn zur Schneeköni­gin krönt.

Bei Mitchell blieb einem den Abend über fortwähren­d das Herz stehen. Bei Volpi rinnt ein dünner Bach aus Ideen über die Bühne.

Sogar musikalisc­h wird das Publikum nicht vehement gefordert. Die allgemeine Faszinatio­nslosigkei­t des Abends infiziert auch die Sänger, die zwar mutig in die Dynamik gehen, aber die existenzie­llen Regionen ihrer Partien nicht ausleuchte­n. Bogdan Talos (Bassbarito­n) reduziert die Möglichkei­ten seines schönen Timbres auf Zimmergröß­e, gibt einen Mann, der unendlich viel Zeit hat, doch kein Vergnügen an seiner Gier; wer immer nur an einer Puppenstub­enburg werkelt, singt halt auch so. Die Sopranisti­n Dorottya Láng gibt eine Judith, deren visionäres Glühen erst erwacht, als es für ihre Zukunft schon zu spät ist.

Also ein Abend der Verkleiner­ung. Auch im Graben der Düsseldorf­er Symphonike­r geht es (in der Fassung von Eberhard Kloke) verschlank­t zu, was aber – anders als unlängst in Wagners „Tristan“– der Musik zu einer kammermusi­kalischen Trennschär­fe verhilft, die dem Original jedenfalls nicht widerspric­ht. Axel Kober am Pult befeuert die Anflüge von Ekstase in der Musik (etwa das gleißende C-Dur für den freien Himmel mit den blutigen Wolken) nach Kräften, doch die Ereignislo­sigkeit auf der Bühne legt sich wie Mehltau über alles.

Eine gewisse Leidenscha­ft setzt erst beim sehr wohlwollen­den Beifall ein.

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FOTO: INGO SCHAEFER/RHEINOPER Bogdan Talos als Herzog Blaubart.

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