Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Bissig, lustvoll-provokant und bitterböse
WERMELSKIRCHEN Matthias Tretter erholte sich in der Kattwinkelschen Fabrik am Freitagabend von einem praktisch einjährigen Filmriss: „Es ist einer der ersten Auftritte seit dem vergangenen Oktober. Es ist so, wie es vor allem junge Frauen von früher kennen – man geht saufen, wacht auf und ist schwanger. So geht‘s mir auch.“
Damit setzte er direkt den Ton für den unterhaltsamen Abend mit seinem siebten Programm „Sittenstrolch“. Er sei an der Pandemie gewachsen. „Um sechs Kilo. Aber ich habe nicht mehr gegessen, es sind sechs Kilo geistigen Zuwachses. Das sind sechs Kilo Witze, die jetzt raus müssen. Ich hoffe, Sie haben Schlafsäcke mitgebracht.“Ganz so lange dauerte es dann aber doch nicht.
Tretter ist ein echter Meister seines Fachs. Und diesem guten Ruf wurde in jeder Sekunde des Auftritts gerecht. Es seien nur noch zwei Weltmächte übrig, China und Amerika – also das kapitalistischste Land der Welt – und die USA, sagte er. Dabei sei China ein Land der Gegensätze. Sterile Labors, in denen Halbleiter produziert würden, die so klein seien, dass ein Virus darauf wie ein Blauwal wirke. Und Lebensmittelmärkte, auf denen es wie im zwölften Jahrhundert zugehe. „Das Exotischste, was man auf so einem Lebensmittelmarkt bekommt, ist Hygiene. Dabei dachte ich, dass die Regierung sich so gut mit Säuberungen auskennen. Aber Viren sind nun mal keine Uiguren.“Aber natürlich nahm er auch andere Dinge ins Visier. Etwa der Wahn der Dating-Apps, die doch nur dafür sorgten, dass sich zwar alle elf Sekunden ein Single verliebe. „Aber nach elf Monaten wird sich wieder getrennt. Was umso schwieriger wird, weil man ja den perfekten Partner gefunden hat“, sagte Tretter. Dazu komme das Problem des Genderns. „Wo man hinschaut, überall nur noch Geschlecht – und nirgends mehr Verkehr.“Überhaupt mochte Tretter seine Generation nicht so wirklich. „Früher gab es nicht immer sofort den Burn-out, wie bei uns heute immer. Wenn man da überfordert war, gab es den Burn-down.“
Was ihn auch störte, war die Fixierung auf „Corona als historische Zeit“– wo doch der Klimawandel ganz andere Probleme bereite. „Vielleicht sitzt in nicht allzu ferner Zeit ein Mensch im Bodenseebecken an einem Wasserloch und löst ein Kreuzworträtsel: Globale Katastrophe im Jahr 2020 mit sechs Buchstaben. Was der wohl schreibt? Corona? Oder doch eher: Mensch?“Aber er sei halt auch nur ein alter, weißer Mann, ergänzte er da.
Genaugenommen ist Matthias Tretter aber vor allem ein bissiger, oft lustvoll-provokant in den Wunden der Gesellschaft herumstochernder, bitterböser Mahner, der den Irrsinn der Welt hemmungslos kommentiert, dabei so wortgewandt wie wortgewaltig ist und seine Pointen treffsicher und im verbalen Dauerfeuer versenkt.