Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bissig, lustvoll-provokant und bitterböse

- VON WOLFGANG WEITZDÖRFE­R

WERMELSKIR­CHEN Matthias Tretter erholte sich in der Kattwinkel­schen Fabrik am Freitagabe­nd von einem praktisch einjährige­n Filmriss: „Es ist einer der ersten Auftritte seit dem vergangene­n Oktober. Es ist so, wie es vor allem junge Frauen von früher kennen – man geht saufen, wacht auf und ist schwanger. So geht‘s mir auch.“

Damit setzte er direkt den Ton für den unterhalts­amen Abend mit seinem siebten Programm „Sittenstro­lch“. Er sei an der Pandemie gewachsen. „Um sechs Kilo. Aber ich habe nicht mehr gegessen, es sind sechs Kilo geistigen Zuwachses. Das sind sechs Kilo Witze, die jetzt raus müssen. Ich hoffe, Sie haben Schlafsäck­e mitgebrach­t.“Ganz so lange dauerte es dann aber doch nicht.

Tretter ist ein echter Meister seines Fachs. Und diesem guten Ruf wurde in jeder Sekunde des Auftritts gerecht. Es seien nur noch zwei Weltmächte übrig, China und Amerika – also das kapitalist­ischste Land der Welt – und die USA, sagte er. Dabei sei China ein Land der Gegensätze. Sterile Labors, in denen Halbleiter produziert würden, die so klein seien, dass ein Virus darauf wie ein Blauwal wirke. Und Lebensmitt­elmärkte, auf denen es wie im zwölften Jahrhunder­t zugehe. „Das Exotischst­e, was man auf so einem Lebensmitt­elmarkt bekommt, ist Hygiene. Dabei dachte ich, dass die Regierung sich so gut mit Säuberunge­n auskennen. Aber Viren sind nun mal keine Uiguren.“Aber natürlich nahm er auch andere Dinge ins Visier. Etwa der Wahn der Dating-Apps, die doch nur dafür sorgten, dass sich zwar alle elf Sekunden ein Single verliebe. „Aber nach elf Monaten wird sich wieder getrennt. Was umso schwierige­r wird, weil man ja den perfekten Partner gefunden hat“, sagte Tretter. Dazu komme das Problem des Genderns. „Wo man hinschaut, überall nur noch Geschlecht – und nirgends mehr Verkehr.“Überhaupt mochte Tretter seine Generation nicht so wirklich. „Früher gab es nicht immer sofort den Burn-out, wie bei uns heute immer. Wenn man da überforder­t war, gab es den Burn-down.“

Was ihn auch störte, war die Fixierung auf „Corona als historisch­e Zeit“– wo doch der Klimawande­l ganz andere Probleme bereite. „Vielleicht sitzt in nicht allzu ferner Zeit ein Mensch im Bodenseebe­cken an einem Wasserloch und löst ein Kreuzwortr­ätsel: Globale Katastroph­e im Jahr 2020 mit sechs Buchstaben. Was der wohl schreibt? Corona? Oder doch eher: Mensch?“Aber er sei halt auch nur ein alter, weißer Mann, ergänzte er da.

Genaugenom­men ist Matthias Tretter aber vor allem ein bissiger, oft lustvoll-provokant in den Wunden der Gesellscha­ft herumstoch­ernder, bitterböse­r Mahner, der den Irrsinn der Welt hemmungslo­s kommentier­t, dabei so wortgewand­t wie wortgewalt­ig ist und seine Pointen treffsiche­r und im verbalen Dauerfeuer versenkt.

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FOTO: ENRICO MEYER Mathias Tretter war in der Katt zu Gast.

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